So., 18.01.15 | 19:20 Uhr
Das Erste
Russland: Pfeifen auf den Westen
Morgenappell auf dem Segelschulschiff „Nadezhda“, ein tägliches Ritual im Hafen von Vladivostok, militärischer Drill und Patriotismus, zwei der Elemente, die das größte Land der Erde zusammenhalten.
Vladivostok ist der Ort, in dem in Russland die Sonne aufgeht, China liegt um die Ecke, Japan und Korea, dies ist der Kriegshafen für das chinesische Meer, der Handelshafen für halb Asien.
Wir sind mit dem Mann am Fernglas verabredet, Viktor Schtanenkow ist Kapitän eines Schleppers und hat eine besondere Sicht auf Russlands aktuelle Lage, wir sollen ihn nach der Schicht mit seiner Frau treffen.
Für den asiatischen Teil des Riesenreichs, sei die Ukraine-Krise eine Chance, sagt unser Kapitän.
Viktor Schtanenkow, Kapitän:
Wer die letzten Jahre nicht in Vladivostok war, kommt sich vor wie in einer vollständig anderen Stadt: Eine nagelneue Brücke über das goldene Horn, Ausbau des Hafens, Baustellen überall, Bürotürme, Milliardeninvestitionen, Wohnsiedlungen, überall ist das neue Geld aus Moskau zu sehen.
Auch Viktor baut, direkt am Steilufer der Amur-Bucht, es ist ein Neubau der besonderen Art, eine Kapelle soll es werden, Tausende von Euro teuer, gebaut aus reinem Patriotismus.
Zhanna Schtanenkow, Ehefrau:
Zur Einweihung im Sommer haben beide schon Vladimir Putin eingeladen, sollte er kommen, wird er Freude an der Innendekoration haben, das wird russischer Patriotismus pur.
Viktor Schtanenkow, Kapitän:
Eine Kapelle aus nationaler Begeisterung? Militarismus? Wie kommt jemand wie Viktor auf die Idee, dafür so viel Geld zu opfern? Aus der eigenen Tasche? Ein Fanatiker, möchte man denken.
Abend auf Viktors Datscha, seine Freunde sind gekommen. Die Überraschung: Alle hier denken wie er. Bei Fischsuppe und Vodka wird auch klar, warum: Moskau interessiert sich jetzt für sie und für Asien, von den negativen Folgen der Ukraine-Krise haben sie bestenfalls gehört.
O-Töne von diversen Gästen:
Der nächste Morgen, Vladivostok mit seinen neuen Brücken sieht aus wie eine europäische Stadt, aber wir sind definitiv in Asien.
Man muss nur einmal auf den Chinesen-Markt hier gehen, um sich eine Welt ohne europäische Waren ansehen: Zhanna und Viktor können darauf zählen, dass die meist illegalen chinesischen Händler dafür sorgen, dass das Leben in Vladivostok bezahlbar bleibt. Wenn hier wirklich einmal Waren von Sanktionen betroffen wären, würden sie einfach durch chinesische ersetzt.
Der Osten Russlands, jahrzehntelang ein Stiefkind blüht auf: Der Handelshafen, soll jetzt zum großen Freihafen umgebaut werden, draußen wartet Frachter nach Frachter aus Fernost auf die Einfahrt nach Vladivostok.
Der asiatische Wirtschaftsboom ist nahe, man ist plötzlich wichtig geworden.
Das neue Opernhaus ist ein Sinnbild dafür. Teure Architektur, in Rekordzeit gebaut, natürlich führen uns Viktor und Zhanna hierher, für die immer noch opernverrückten Russen hält dieses Haus hier jeden Vergleich stand, an Paris oder London denkt man hier allerdings nicht.
Zhanna und Viktor Schtanenkow, Ehepaar:
Von der Ukraine-Krise kommt hier im Osten nur ein fernes Echo an, das des wieder starken Russlands. So gesehen erscheint einem Viktors Idee mit der Putin-Kapelle zwar immer noch irgendwie absurd, aber etwas verständlicher.
Man gehört zum Großen und Ganzen, das Riesenreich wird auch durch so etwas wie Tschaikowskis Musik zusammengehalten.
Russlands alte Musik für Russlands aufstrebenden Osten, für Vladivostok und die Region ist die europäische Krise zur großen Chance geworden.
Autor: Stephan Stuchlik
Stand: 26.01.2015 12:07 Uhr
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