So., 24.02.13 | 19:20 Uhr
Das Erste
Italien: Wahl – jung und arbeitslos
Die Politik schaut weg
Neapel, “Napule mille coloure”. Neapel der Tausend Farben, der tausend Gesichter wie es im Schlager heißt. Die Stadt von der Silvio Berlusconi stets sagte, er liebe sie besonders. In Italien wollte er zeigen, er ist zurück auf der politischen Bühne.
Hier in Neapel ist Antonio zu Hause, 17 Jahre alt. Er wächst in einem der verrufensten Viertel der Stadt auf. Die Jugendarbeitslosigkeit ist eine der höchsten in Italien und die Bürger des Stadtviertels bleiben noch immer unter dem Müll. Antonio macht sich fein für seinen Auftritt. Für ihn eine Frage der Ehre. Die Schule hat er längst geschmissen. Arbeit findet auch er hier keine. Aber trotzdem, Antonio gibt nicht auf.
Kein Glaube mehr an Recht und Gesetz
Sein einziger Halt ist seine Klarinette. Alle Träume und Hoffnungen verbinden sich mit seinem Lieblingsinstrument und sein Lieblingsplatz in Neapel ist hier, weit oben, allein und ganz weit entfernt von den Sorgen und Nöten zu Hause. Und hier unten gilt nur ein Gesetz und das wird vorgegeben von den Chefs der Kleinkriminalität und von den kleinen Bossen der allmächtigen Camorra. In den Gassen tobt ein stiller Kampf um die Vorherrschaft beim Drogendealen. Jedes Jahr gibt es Tote, hier im Keller Neapels.
Antonio hat im Stadtviertel Sanità mit 17 Jahren schon vieles erleben müssen. Er zeigt uns die Kapelle, die an den Tod zweier Spielkameraden erinnert. Beide mit 14 Jahren umgekommen. Ein Unfall. Ursache ungeklärt. Hier an der Kapelle trifft sich Antonio mit seinem Onkel. Er soll Antonio beschützen, vor Drogen und vor der Kriminalität. Doch den Glauben an Recht und Gesetz hat der Onkel längst verloren:
Onkel Rosario Russo
Und wen würde Antonio wählen, wenn er schon wählen dürfte? „Keinen von denen.“ Und der Onkel führt an: „Oder vielleicht doch noch einmal Berlusconi. Monti taugt nichts.“
Und so wollte Berlusconi wieder einmal zum Helden in Neapel werden. Seine Anhänger berauschten sich an der Vision seiner glänzenden Rückkehr doch es gab eine Überraschung. Kurz vor Beginn sagte Berlusconi ab, wegen einer Augenentzündung. Stattdessen gab es ein Videoschalte. Seine Anhänger jubelten trotzdem.
Kein Wort zur Jugendarbeitslosigkeit
Der augenkranke Berlusconi, er, der sich keine Schwäche eingestehen will, muss in Neapel zeigen, auch seine Kräfte sind begrenzt. Aber noch immer schwebt er, wenn auch nur auf der Leinwand, weit über seiner Partei. Zur Jugendarbeitslosigkeit gab es, wie im ganzen italienischen Wahlkampf kein einziges Wort.
Es ist wie eine Gegenwelt zu Neapel. Mantua, da wo Lombardei und Emilia Romagna aneinander grenzen, die italienischen Wohlstandregionen. Hohe Einkommen, fast keine Arbeitslosigkeit, die Jugend mit Schulabschlüssen. Die Rentner mit hohen Pensionen. Hier hat in nur einer Generation die Familie Marcegaglia ihr Stahlimperium praktisch aus dem Nichts aufgebaut. Irgendwo auf den Feldern der Po-Ebene. Und die Tochter des Gründers, Emma Marcegaglia, war die Gegenspielerin von Berlusconi. Die Frau, die Reformen forderte und Berlusconi als unfähig bloß stellte.
Emma Marcegaglia
Wer kann aber jetzt in der Krise den notwendigen Wandel herbeiführen?
Wie anders Berlusconi. Im Fernsehen beantwortete er die Frage einer jungen Arbeitslosen, wie er in Not geratenen Familien helfen wolle, mit dem ihm eigenen Zungenschlag:
Antonio übt jeden Tag zu Hause mit eisernem Willen. Seine Schwester, 22 Jahre alt, auch sie ist seit Jahren ohne Arbeit, erträgt geduldig und still was Antonio ihr vorspielt. Antonio probt so verbissen, weil er auftreten will, in seinem Orchester. In einem Orchester für sogenannte schwierige Jugendliche. Da heißt es, Noten büffeln. Und das erwartet auch Maestro D’Accunzo von ihm. Er hat die Jugendlichen zusammengebracht. Mit Musik. Antonios Alterskollegen veralbern ihn wegen dieser Musikstunden.
Antonio hat seinen Platz gefunden. Im Jugendorchester seiner Kirche Santa Maria della Sanità und die Mutter ist stolz auf ihn.
Mutter Maria Russo
Und während das Orchester der arbeitslosen Jugendlichen spielt, träumen die Mütter von einer Zukunft, von der sie gar nicht so viel verlangen: nur Arbeit.
Autoren: Bernhard Wabnitz / Karl Hoffmann
Stand: 22.04.2014 14:05 Uhr
Kommentare