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Polen: Heimatlos in Krakau

Polen: Heimatlos in Krakau | Bild: WDR

Bloggerasyl

Der Marktplatz von Krakau. Ein Touristenmagnet. Und das gewohnte Bild: Menschen flanieren durch die historischen Tuchhallen, fotografieren die Marienkirche und halten so ihre Urlaubserinnerungen fest. Nicht ganz. Denn dieser Mann, der hier durch Krakau schlendert, mußte das erst lernen. Er ist kein Tourist. Es ist Kareem Amer. Der 28jährige kommt aus Ägypten. Und weil er in seiner Heimat in Lebensgefahr schwebte, hat ihn die Stadt Krakau aufgenommen. Für ein Jahr. Er soll eine Atempause bekommen, sich endlich einmal wieder sicher fühlen. Kareem ist Blogger – und seine ersten Eindrücke in Krakau waren ausgerechnet diese Tauben.

Kareem Amer, Blogger:

„Sowas gibt’s in Ägypten nicht. Tauben würden nie auf meiner Hand sitzen und keine Angst vor mir haben. In Ägypten haben Vögel Angst vor den Menschen. Die Polen sind nicht so aggressiv Schwächeren gegenüber wie in Ägypten. So etwas habe ich noch nie in meinem Leben gesehen.“

Der Blogger Kareem Amer
Der Blogger Kareem Amer | Bild: WDR / WDR

Mitten im Grünen hat ihm ein polnischer Verein in diesem Haus im Westen Krakaus ein Appartement zur Verfügung gestellt. Hier bloggt Kareem regelmäßig –

Kareem Amer, Blogger:

»Ich habe gemerkt, dass die derzeitige Situation in Ägypten sehr viel Zeit braucht. Unter Mubarak wurde ich verfolgt, und danach waren wir so dumm zu glauben, daß unser Problem Mubarak war und dass nach seiner Absetzung alles gut werden würde. Dabei hätte ich es wissen müssen, weil ich in einer salafistischen Familie aufgewachsen bin. Jetzt ist die Muslimbruderschaft an der Macht, und ich stelle fest, daß sie gefährlicher ist als Mubarak.«

1470 Striche hat Kareem auf die Vorderseite dieses Buches gezeichnet. Für jeden Tag im ägyptischen Gefängnis einen. Im Internet zeigt er uns den Todestrakt in Borg el-Arab. 1470 Tage, das sind fast vier Jahre, inmitten von Schwerstkriminellen – wegen angeblicher Gotteslästerung. Sie wollten seinen Willen brechen.

Kareem Amer, Blogger:

„Mein Wärter begrüßte mich mit dem Satz: Vor dir saß in dieser Zelle ein Drogendealer, den haben wir gehängt. Jetzt kommt sein böser Geist jede Nacht zurück in die Zelle. Ich hab geantwortet: Das macht nichts. Ich mag Geister, dann bin ich wenigstens nicht alleine hier.“

Er wurde auch gefoltert, aber darüber will er nicht sprechen. Seine Eltern haben ihn nie besucht. Sein Vater hatte noch im Gerichtssaal Kareems Tod gefordert. Seitdem er in Polen ist, ist der Kontakt komplett abgerissen, sie haben ihn verstoßen. Was ihm von seiner Familie blieb, sind zwei fingernagelgroße Fotos von seinem Vater und von einem seiner Brüder.

Kareem Amer, Blogger

»Ich spreche nicht gern über meine Familie. Als ich acht war, drohte mein Vater, mich zu töten, weil ich nicht gebetet hatte. Dabei lehrt der Islam, daß ein Kind dazu gar nicht verpflichtet ist. Aber mein Vater sagte: Wenn Du nicht in die Moschee gehst, schneide ich Dir die Kehle durch.«

Kareem braucht Hilfe. Aber einen Psychologen, der Arabisch kann, haben sie in Polen nicht gefunden. Selbst wenn er unter Menschen ist, ist er oft allein. Polnisch kann er nicht, Ägyptern traut er nicht, seine Freundin und er haben sich getrennt. Wenn er polnische Frauen auf der Straße sieht, allein, frei, ungezwungen, fällt ihm der Unterschied zu Ägypten auf.

Kareem Amer, Blogger:

»Frauen werden in Ägypten belästigt, angefasst, vergewaltigt. Männer gehen auf die Straße, um sie anzugrapschen und ihnen die Kleidung vom Leib zu reißen. Sie tun den Frauen schreckliche Dinge an, über die zu sprechen ich mich schäme. Frauen in Polen leben ohne Angst. Das können Sie nicht vergleichen. Sie vergleichen ja auch nicht den Himmel mit der Erde.«

Kareem hat alles versucht, seinen Willen im ägyptischen Gefängnis nicht brechen zu lassen. Das Trauma, daß er erlebt hat, war trotzdem schrecklich für ihn, hat seine Psyche belastet. Das Jahr in Krakau ist auch wie eine Therapie.

Kareem Amer, Blogger

»Alles, was ich schlechtes erfahren habe, das Leiden im Gefängnis, hat mich trotzdem stärker gemacht. Ich will nicht, daß die Menschen, die meinen Blog lesen, denken, daß ich extrem bin. Aber meine Leser sollen die Wahrheit über Ägypten und den Islam erfahren. Ich bin trotz allem davon überzeugt, daß ich den richtigen Weg gehe.«

Das Jahr in Krakau ist fast um. Nach Ägypten zurück kann Kareem nicht, er bemüht sich gerade um politisches Asyl in Skandinavien. Jeden Abend schreibt er im Blog und verfolgt dabei die neuesten Nachrichten aus Ägypten. Sie sind schlecht. Aber das wird so bleiben, sagt er uns zum Abschied, dabei träume ich doch immer davon, eines Tages sagen zu können: Ich bin Kareem, ein arbeitsloser Blogger.

Autor: Ulrich Adrian

Stand: 22.04.2014 14:12 Uhr

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