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Italien: Palast der Gestrandeten

Italien: Palast der Gestrandeten | Bild: ARD

Früher machten andere für sie den Haushalt. Ihre Familie gehörte zu den reichsten Clans in Somalia. Heute schlägt sich die 26jährige Muna mit Spülen durch. Seit einigen Jahren lebt sie nun schon in diesem besetzten Gebäude mitten in Rom. Für ihre Küchenarbeit bekommt sie vom Hausmeistehepaar Lebensmittel.

„So ist mein Leben im Augenblick. Doch ich hoffe, dass eines Tages meine Kindheitsträume in Erfüllung gehen und ich Schauspielerin werde und einen Ferrari fahre. Noch vor kurzem hat eine Frau zu mir gesagt, ich müsse zum Film. Mit so einem Gesicht müsse ich zum Film.“

Sie sind gekommen auf der Suche nach Frieden. Deshalb nennen die Flüchtlinge ihr Haus Palazzo Selam – Friedenspalast. Es ist ein ehemaliges Universitätsgebäude. Der italienische Staat kümmert sich schon lange nicht mehr darum. Noch nie durfte ein Kamerateam im Palazzo drehen. Erst nach vielen Gesprächen bekommen wir Zutritt zu dieser abgeschotteten Welt. Es ist das größte afrikanische Ghetto in Europa.

Alles hier organisieren die Bewohner selbst. Das gilt auch für den Strom . Der ist offiziell im ganzen Haus schon lange abgestellt. Deshalb werden illegal öffentliche Leitungen angezapft. Niemanden stört das, und auch die Sicherheit interessiert hier keinen.

Palast der Gestrandeten
Muna aus Somalia

Wann immer sie kann, versucht Muna dem Chaos in diesem riesigen Gebäude zu entkommen. Wenn sie nicht in der Küche spült, bleibt sie in ihrem Zimmer. Es ist ein kleiner, fensterloser Raum, aber es ist ihr Zuhause. Dass sie hier allein wohnen kann, ist für sie ein großes Glück.

„Als ich klein war, war meine Familie noch eine reiche Familie. Heute nicht mehr. Heute sind sie sehr arm. Nein, sie sind nicht mehr reich. Sie essen, normalerweise sollte man dreimal am tag essen. Sie essen nur noch einmal, mittags oder abends.“ Als sie aus Somalia flüchtete, war sie 13 Jahre alt. Im Sudan wurde Muna festgenommen. Später schaffte sie es bis nach Äthiopien, fuhr dann mit einem Schlepper über die Wüste nach Libyen. Drei Jahre lang war sie unterwegs, bis sie die italienische Halbinsel Lampedusa erreichte. Ihre Eltern sind in Somalia geblieben, manchmal telefoniert Muna mit ihnen.

Das Geld für die Reise hatte nur für die Tochter gereicht. „Ich bin 26, ich möchte einfach ein normales Leben führen können, ich will gar nicht steinreich sein. Wie jede andere 26jährige Frau. Studieren, einer Arbeit nachgehen, eine Wohnung haben, einen Freund, heiraten, Kinder, normale Dinge halt.“

Das wünschen sich auch viele andere Bewohner im Friedenpalast. Dicht an dicht leben sie hier, jeder mit seiner eigenen Geschichte, mit seinen eigenen Hoffnungen. Doch vorerst müssen sie sich mit einem Leben am Rande der Stadt und der Gesellschaft arrangieren. Denn ohne Arbeit und ohne Papiere bleibt ein friedliches Leben für die meisten ein Traum.

Schauspielerin möchte sie werden
Schauspielerin möchte sie werden

Aber Muna gibt nicht auf. Für ihr Glück kämpft sie jeden Tag und hat kleine Erfolge. Sogar ihrem Traum Schauspielerin zu werden, ist sie ein klein wenig näher gekommen. Seit kurzem spielt sie am Theater. „Wer bist du?“ heißt das Stück. Es handelt von der Ankunft der Migranten in Italien und ihren ersten Kontakten mit Italienern. Auf der Bühne kann Muna ihrer Leidenschaft nachgehen und kann mit anderen jungen Leuten spielen. Immerhin bekommt sie fünf Euro für jede Probe und die Chance, drei mal wöchentlich ihrem Ghetto zu entfliehen.

„Normalerweise bin ich alleine in meinem Zimmer. Manchmal bekomme ich Besuch von meinen Freunden aus dem Haus. Aber hier treffe ich auf Italiener. Mit ihnen kann ich über andere Dinge reden.ich fühle mich wohl mit ihnen. Es ist so schön. Wir lachen, haben Spass, umarmen uns. Genau das, was mir im Palazzo fehlt.“

Die fünf Euro Gage erlauben ihr sogar, manchmal mit der U-Bahn zu fahren. Muna hatte auch schon Jobs gefunden, in einer kleinen Bar und als Putzfrau, doch mit der Wirtschaftskrise und der hohen Arbeitslosigkeit in Italien, ist es für Muna jetzt noch schwieriger geworden.

Theaterspiel
Abwechslung durch Theaterspiel

„Meinen großen Traum Schauspielerin zu werden, habe ich noch nicht aufgegeben. Aber im Augenblick ist es nur ein Traum. Ich würde auch als Altenpflegerin arbeiten oder als Babysitterin oder Putzfrau. Ich würde jeden Job nehmen: Hauptsache, ich finde eine Arbeit.“

Doch wer sollte ihr und den anderen helfen? Die Stadt Rom kümmert sich nicht um die Flüchtlinge. Nicht einmal die Polizei traut sich in den Friedenspalast.

Aber Muna hat einen Zufluchtsort gefunden, ihr eigenes Zimmer. Manchmal trifft sie sich hier mit Freunden, sie machen Musik, reden miteinander und vergessen für ein paar Stunden ihre Heimatlosigkeit. „Im Auffanglager sagen sie dir: Es sind 1000 Personen da, ihr müsst den Platz für die Neuen frei machen. Sobald ihr eure Papiere habt, müsst ihr gehen. Und alle, die gehen, kommen hierher, ins Selam. Alle. Alles ist schmutzig, zum Beispiel die Toiletten, stimmts Manuel?“

Dann wird es für Muna ernst. Ihr Theaterstück hat Premiere. Erstmals wird sie vor Publikum spielen und das Theater ist voll. „Hört auf damit, Theater zu spielen, aber es ist Schluss damit. Ihr habt alle ein Zuhause, wo ihr heute zurückkehrt, ich nicht, wollt ihr kommen und sehen, wo ich wohne? Haben Sie eine Arbeit für mich? Und Sie? Vier Sprachen spreche ich, was lachst Du? Schön! Ich habe das erste Mal vor dem Publikum gespielt. Man sieht doch, dass ich glücklich bin, oder?“

Autorin: Chiara Sambuchi

Stand: 01.09.2014 08:59 Uhr

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