So., 31.08.14 | 19:30 Uhr
Das Erste
Indien: Die Nachtschule
Wenn es langsam dunkel wird, jeden Abend um halb 7 Uhr, wenn andere bald schlafen, gehen sie zur Schule: Die Kinder im kleinen Ort Ghirr in Rajasthan.Tagsüber müssen diese Schüler arbeiten. Lernen können sie nur unter Sternen – hier, in der Nachtschule. Und das tun sie mit Begeisterung. Auch die 11jährige Sonu ist glücklich, dass sie die Nachtschule besuchen darf. „Oft bin ich müde von der harten Arbeit auf den Feld. Aber wenn ich dann hier in der Abendschule bin, vergesse ich das. Etwas zu lernen, macht mir großen Spaß“.
Wie viele Steine braucht man, um eine Mauer für einen Viehstall zu bauen? So lernen die Schüler hier Mathematik. In Biologie stehen Krankheiten von Rindern und Ziegen und wie man sie heilen kann auf dem Lehrplan. Und natürlich wollen hier alle mit großem Eiferlesen und schreiben lernen.
Ebenso wie ihre Schüler, ist die Lehrerin von ihrer Arbeit in der Nachtschule begeistert. “Viele Eltern musste ich erst davon überzeugen, ihre Kinder abends zur Schule zu schicken. Aber dann kamen immer mehr. Mir macht meine Arbeit hier genauso viel Spaß wie den Kindern, denn die wollen wirklich etwas erreichen.“
Auch der zehnjährige Dhanna. Tagsüber muss er mit den anderen Dorfkindern dafür sorgen, dass die Kühe und Ziegen Futter bekommen. „Wir müssen mithelfen. Wir haben keine andere Wahl. Ohne Futter kein Vieh. Ohne Vieh keine Milch. Und ohne Milch kein Einkommen für die Familie. So ist unser Leben“. Ein mühseliges Leben, das frühmorgens kurz nach Sonnenaufgang beginnt. Dann ist es noch angenehm kühl im sonst brennend heißen Wüstenstaat Rajasthan.
„Komm! - Komm! -- Es gibt Futter! --- Komm!“ Auch Sonu arbeitet mit. Sie hütet die Tiere. Jeden Tag begleitet sie ihre Mutter auf die Felder. “Meine Mutter braucht meine Hilfe. Mein Vater ist abgehauen. Ich habe noch drei Geschwister. Alle müssen mit anpacken. Eine andere Möglichkeit gibt es nicht.“ Die Ziegen sind ihr einziger Besitz und bringen ein bescheidenes Einkommen. Es reicht gerade so zum Überleben.“
Die Dorfbewohner gehören zu den Ärmsten der Armen. Es sind so genannte Unberührbare. Auch der junge Dhanna. Im indischen Kastensystem stehen sie auf der gesellschaftlichen Skala ganz unten. Dhanna hat noch acht Geschwister. Auch er hat keinen Vater mehr. Der ist vor einem Jahr gestorben. Jeden Tag eine warme Mahlzeit zu bekommen, ist für Dhanna nicht selbstverständlich. Seine Mutter will er unterstützen, wo immer er kann.
“Ohne Mann ist es noch schwieriger geworden, die ganze Familie durchzubringen. Wir sind sehr arm". Der einzige Hoffnungsschimmer für Dhanna und die anderen Kinder ist die Nachtschule. Sonu träumt davon einmal Ärztin zu werden. Beide verpassen keinen Abendschul-Unterricht, obwohl sie tagsüber arbeiten müssen. Sie freuen sich richtig darauf, abends noch zu büffeln. Dhanna, so sagt er, kämpfe jeden Abend um mehr Wissen, denn das sei das Sprungbrett. Sein großes Ziel ist es, einmal eine richtige Schule zu besuchen. “Ich möchte später einmal eine Ausbildung machen. Ich möchte etwas für meine Familie tun. Für mein Dorf. Für ein besseres Leben. Deshalb lerne ich.“
Das klappt auch, dank dieser Solarlampen, die in einem nahe gelegenen Dorf von Frauen hergestellt werden, die selbst nie schreiben und lesen gelernt haben. Da sind Sonu und Dhanna schon weiter. Bis halb 10Uhr bleiben sie heute noch in der Schule. Erst danach gehen sie und die anderen Dorfkinder schlafen. Solange, bis die Sonne sie wieder weckt.
Autor: Jürgen Osterhage/ARD Studio Neu Delhi
Stand: 01.09.2014 09:00 Uhr
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