So., 13.04.14 | 19:20 Uhr
Das Erste
Algerien: Wahlkampf ohne Präsident
Die Begeisterung mag echt sein, aber der Kandidat, dem hier zugejubelt wird, steht gar nicht auf der Bühne. Von Algeriens Präsident Bouteflika sieht man nur ein Riesenposter, er ist schwer krank. Und weil Plakate nicht sprechen können, besorgt das Abdelmalek Sellal, der frühere Premierminister –
Er schwingt die feurigen Reden und macht Wahlkampf für ein Phantom. Immerhin gibt`s ja genügend Fotos von Bouteflika – ich frage den jungen Ismail, ob er den Kandidaten nicht vermissen würde.
Ismail Abboub:
Seit einem Schlaganfall vor einem Jahr ist Bouteflika nicht mehr aufgetreten - aber seine Wiederwahl gilt als sicher.
Um das besser zu verstehen, fahren wir mit Ismail zu seiner Textilfirma - der Jungunternehmer bekommt von Algeriens Regierung günstige Kredite und diese Produktionshalle zur Verfügung gestellt.
Rund 20 Näherinnen beschäftigt er nun selbst. Algeriens Regierung hat in den letzten Jahren Job-Programme aufgelegt, der Umbruch in den Nachbarländern Tunesien oder Libyen spielt sicherlich eine Rolle. Das reiche Algerien will mit großzügigen Wohltaten Unruhe im eigenen Land verhindern.
Ismail Abboub, Textilunternehmer:
Und dann geht er mit seiner Tochter und seinem Bruder zu der Schule im Ort – Ismail war zehn Jahre alt, als Islamisten das Gebäude niederbrannten. Die „schwarzen Jahre“ nennen die Algerier die 90er Jahre.
Das Land versank im Bürgerkrieg - freie Parlamentswahlen waren abgebrochen worden, als sich ein Sieg der Islamisten abzeichnete. Jahre des Terrors folgten, mehr als hunderttausend Menschen starben.
Ismail Abboub:
Aber nicht alle verehren Bouteflika. Tarek Saidji etwa kann richtig wütend werden. Wir stehen beim Präsidentenpalast in Algier, und werden schon bald kontrolliert. Es gehe fast zu wie in einem Polizeistaat, sagt Tarek, und nun mache sich das Land auch noch zum Gespött.
Tarek Saidji :
Seit dem Schulabschluss ist der 25jährige arbeitslos, mit Gelegenheitsjobs als Fotograf verdient er ein wenig Geld.
Die Jugendarbeitslosigkeit ist hoch, nicht alle profitieren von den staatlichen Programmen. Seit 15 Jahren regiert der Bouteflika-Clan, er verteilt die Wohltaten und kontrolliert das Land.
Tarek Saidji:
Tarek ist in der Protestbewegung „Barakat“ aktiv, das bedeutet: „Es reicht“. Die jungen Leute hier haben für die Kandidatur des Präsidenten nur noch Hohn übrig – sie werden die Wahlen boykottieren.
Ein Musikvideo zeigt den 77jährigen Präsidenten im Pyjama oder als gebrechlichen alten Mann. Bouteflika ist für die Aktivisten nicht mehr als eine Marionette.
Tarek Saidji:
Bei den spontanen Demonstrationen von „Barakat“ kommen meist nicht mehr als ein paar hundert Aktivisten zusammen, doch der Staat reagiert mit aller Härte. Teilnehmer werden von Polizisten eingekreist und abgeführt.
Barakat, das ist der Aufschrei in einem Land, in dem die Staatsmacht Proteste sofort im Keim erstickt – es herrscht ein Klima der Einschüchterung.
Bei der Tageszeitung „El Watan“ analysiert man die letzten Fotos des Kandidaten Bouteflika – woran er genau leidet, weiß keiner. Algerien bleibt undurchsichtig – eine Kaste aus Generälen, Geschäftsleuten und Parteibonzen ziehe hier die Strippen, sagt uns Faycal Metaoui.
Faycal Metaoui, Journalist « El Watan »
Prächtig wirkt der koloniale Charme der Hauptstadt Algier. Der Reichtum des Landes sind die Erdgas- und Ölvorkommen, die Tanker in der Bucht künden davon.
In Algerien geht es um viel Geld und viele Pfründe, die soll der Kandidat Bouteflika weiter sichern. Ein Geschäftsmann finanziert ihm einen eigenen Fernsehkanal. Bouteflika TV rund um die Uhr – auch das gehört zu diesem Wahlkampf.
Jungunternehmer Ismail verehrt Bouteflika wirklich, er habe dem Land Stabilität gebracht. Doch für viele Andere erscheint es absurd, dass ein Phantom wieder zum Präsidenten gewählt werden soll. Aufbruch-Stimmung sieht für sie anders aus.
Stefan Schaaf, ARD Studio Madrid
Stand: 15.04.2014 10:56 Uhr
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