Mo., 11.09.17 | 04:50 Uhr
Das Erste
Japan: Angst vor Raketen aus Nordkorea – Ab in den Bunker!
"Leute, holt die Wäsche rein, es wird ernst!" "Konnichiwa!" Vermieter Hiroyuki Ando lädt zur Räumung des Gebäudes. Evakuierungsübung in Annaka, Präfektur Gunma: drei Stockwerke, 14 Familien. Doch von 40 Bewohnern tauchen nur 20 auf – das muss besser werden, Gefahr ist in Verzug wie Hiroyuki Ando, Bauherr und Vermieter, erklärt: "Es ist so, dass nordkoreanische Raketen reinfliegen könnten. Deshalb diese Übung. Ich führe sie in meinen Atomschutzraum!"
Ando, der Visionär: Vor elf Jahren schon baute der 67-Jährige hier eine Festung - freiwillig, drei Meter unter der Erde: 70 Quadratmeter für 80 Personen – mit Lüftung, Generator, Gasherd, Toilettenbeuteln.
Mission "Menschenleben retten"
Ando erklärt sich: "Im Ernstfall möchte ich so viele Menschen retten wie möglich. In Japan gibt es nur sehr wenige Häuser mit Bunkern, eigentlich fast gar keine. Deshalb dachte ich, ich baue einen und zeige ihn den Menschen."
Mieterin Yoshie Moteki klingt begeistert: "Ich bin überrascht, wie dick die Betonwände sind und wie viel Platz hier drinnen ist. Es kann ja so viel passieren. Und dann gibt es keinen Schutz. Die Menschen rennen weg, wissen aber nicht, wohin."
Böse Überraschung
Japan wacht auf und stellt fest: Es hat eine offene Flanke. Nur für 0,02 Prozent der Bevölkerung gibt es Bunker. Aktionismus setzt ein: Übungen landesweit, von denen auch die Japaner denken: "Na, ob das was bringt?" Da gilt noch der alte Leitfaden aus den USA und den Kindertagen des Kalten Krieges.
Erst Tapete, dann Beton: Nobuko Oribe führt uns in ihre Katakomben. Fiele 600 Meter von hier eine Hiroshima-Bombe, ihr Keller wäre sicher. Frau Oribe, 73, führt ein Bunker-Business. Und das hier ist ein Musterbunker. Nobuko Oribe über die gute Geschäftslage: "Wir bekommen so viele Anfragen zu unseren Schutzräumen und sind so beschäftigt, dass wir gar keine Zeit hatten, hier sauber zu machen. Aber ein bisschen muss ja sein, oder?"
Vor fast 30 Jahren übernahm sie das Geschäft des Vaters in Kobe. Der war - wie sie später - fast geächtet in Japan. Nach 1945 sprach man nicht mehr über atomare Bedrohung – tabu!
Oribe war nie verheiratet, hat keine Kinder. Sie hat Bunker: "Wir dachten, Japan braucht Schutzkeller. Und wir haben den Leuten gesagt, dass man sich vor Radioaktivität schützen kann. Aber allein der Begriff hat ihnen Angst gemacht. Die dachten, wir wollen Krieg, wir seien gefährlich. So hat man uns behandelt."
Das Geschäft läuft
Doch jetzt, wo die Raketen fliegen, verkauft Oribe plötzlich mehr Bunker im Monat als sonst in einem Jahr. 40 Quadratmeter, Platz für acht Personen mit Frischluftzufuhr – notfalls im Handbetrieb. Wandstärke: halber Meter, Vorräte für zwei Wochen, Not-Strom, Not-Klo. Kosten: 200.000 Euro.
"Zwei Wochen nach einem Atomangriff sollte man draußen mal messen", erklärt die Fachfrau. Soweit ist es zum Glück noch nicht, die Luft ist rein, die Sonne scheint. Also kurbelt Oribe jetzt oben weiter. Und mahnt zum Abschied: "In Japan gibt es noch viel zu wenig Atomschutzbunker. Und stattdessen noch immer viel zu viele Leute, die wohl denken: 'Wir können doch besser alle gemeinsam sterben.'"
Das Trauma der Atombomben
Nur auf Japan fielen jemals Atombomben – ein nationales Trauma. Und nun: Nordkorea, große Verunsicherung. Können die USA uns noch beschützen? Brauchen wir jetzt eigene Atomwaffen? Japans rechtskonservativer Regierung ist diese Diskussion recht. Trotz Protesten will sie aufrüsten und die Nachkriegsverfassung ändern.
Gefahr erkannt und gebannt: Yoshihiko Kurotori aus der Küstenstadt Wakayama hat noch jeder Gefahr ins Auge gesehen, der Japan je ausgesetzt war und ist: "Wir liegen hier auf 2,80 Meter über dem Meeresspiegel. Wenn ein Riesen-Tsunami käme, dann nimmt man an, dass der acht Meter erreicht. Das würde bedeuten: Das alles hier wird mitgerissen." Und wo kommt jetzt die Rakete her? Kurotori zeigt nach kurzem Überlegen in die Himmelsrichtung. Er kennt sich aus mit nordkoreanischen Raketen. Und: Er ist äußerst bewandert in Schweizer Zivilschutzliteratur. Deshalb hat sich der frühere Lehrer einen Bunker in den Garten gesetzt, vor vier Jahren schon, für knapp 50.000 Euro: "Der hier überlebt alles. Auch, wenn drum herum alles andere zerstört wird: Dieser Bunker bleibt stehen."
Stahlbeton, anderthalb Meter Fundament, und die Haustechnik aus der Schweiz – wie bei Frau Oribe. Im Angebot auch Walfleisch in Dosen, doch ebenso wichtig sind dem 75-Jährigen seine Münz- und die Telefonkartensammlung mit Motiven japanischer Burgen. Und während sich Kurotori sogar um Nymphensittich und Rosenköpfchen sorgt, verwundern ihn seine Landsleute: Es gebe einfach kein Gespür für Gefahr: "Die Leute glauben, dass uns der Verfassungsartikel 9 vor allem schützt. Als ob uns ein Friedensparagraph in unserem Gesetz gegen äußere Angriffe hilft... Dann hätte man auch gleich reinschreiben können, dass Tsunamis und Taifune verboten sind."
Evakuierungsübung beendet. In Annaka klettern sie wieder aus dem Bunker. Bauherr Ando sieht seine Mieter nur bedingt abwehrbereit: "Es war nicht so einfach. Wenn nur alle so krisenbewusst wären wie Familie Moteki. Viele erkennen nicht, dass man vorher handeln muss. Denn wenn’s passiert, dann ist es schon zu spät."
Alarm in Japan: Nordkorea hat ein weiches Ziel.
Autor: Uwe Schwering, ARD Tokio
Stand: 20.07.2019 18:17 Uhr
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