Mo., 18.02.19 | 04:50 Uhr
Das Erste
Japan: Okinawa – wo der Zweite Weltkrieg nicht zu Ende scheint
Sie geben einfach keine Ruhe: Verschwinden soll hier das Militär, und zwar am besten ganz. Protest gegen die, die gerade wieder einen Militärflughafen bauen, die ihre Heimat mit Zäunen und Stacheldraht durchschneiden. Manche demonstrieren schon ihr Leben lang. Andere haben sich jetzt angeschlossen, so wie Lima Tokumori. Die 31-jährige gehört zur neuen Generation des Protests auf der japanischen Insel Okinawa. Respekt vor Mensch und Natur, Verhältnisse auch mal in Frage stellen – ungewöhnlich in einem Land, in dem die offene Meinungsäußerung eher verpönt ist, nun ausgerechnet auf Okinawa, dem einst so hart umkämpften Außenposten Japans, seit mehr als 70 Jahren dominiert vom US-Militär.
Aktivistin Lima Tokumori erklärt: "Früher hing hier fast jeder Job von den Amerikanern ab. Da hat sich kaum einer getraut, etwas dagegen zu sagen. Aber inzwischen boomt der Tourismus auf Okinawa, und allmählich setzt sich die Stimmung durch, dass sich hier etwas verändern muss."
"Flugzeugträger Okinawa"
Was es bedeutet, "Flugzeugträger" einer Supermacht zu sein - hier wird es spürbar, in Grundschule "Nummer 2" in Ginowan auf Okinawa, einem Ort mit Symbolwert. Dort hinten, gleich jenseits des Sportplatzes, beginnt die Landespiste für den Fliegerhorst Futenma der US-Marines. Es ist nicht nur das Donnern der Rotoren, das einem hier den Atem stocken lässt: Zum Glück hatte Tomoko Miyagis Kind keinen Sportunterricht am 13. Dezember 2017. An diesem Tag schlug ein Gegenstand auf dem Platz ein. An dieser Stelle fand man ihn: offenbar das Fenster eines Hubschraubers. Tomoko Miyagi ist entsetzt: "Eine Schule sollte sicher sein. Deshalb ist das überhaupt nicht akzeptabel."
Mitten in der Stadt liegt der Stützpunkt von strategischer Bedeutung: Flugmanöver über dicht gepackten Siedlungen mit fast 100.000 Einwohnern.
Der Protest gegen die Platzhirsche wächst. Der Stützpunkt an der Schule soll schließen, so die Forderung. Die Regierung will ihn nur verlagern, an einen anderen Ort auf der Insel. Bei der Volksabstimmung Ende Februar wird Lima Tokumori daher gegen den neuen Standort stimmen. Es sei Zeit, dass Okinawa sein Schicksal in die Hand nehme. Das Referendum hat der Inselgouverneur angesetzt – zum Ärger der Zentralregierung. Zwar ist es nicht verbindlich, aber ein Signal der Veränderung.
Aktivistin Lima Tokumori: "In den Meinungsumfragen zeigt sich, dass viele die Militärbasen ablehnen. Wenn wir es jetzt schaffen, die Leute auch an die Urnen zu bringen, dann können wir die Abstimmung gewinnen."
Leben mit den Soldaten
Leben mit und von den Amerikanern – erlernte Realität auf Okinawa. Henoko, nach Regierungsplänen das Umzugsziel für die Fliegerstaffel: Der Ort erzählt von besseren Zeiten. Früher gaben die GIs hier ihren Sold hier mit vollen Händen aus. Kurz bevor sie nach Vietnam weiterflogen. Dann wurden sie nicht mehr gesehen.
Junge Marines aus einem nahen Camp wollen sich nützlich machen: Ausmisten, wo ihre Landsleute sich früher vergnügten – Nachbarschaftshilfe vom großen Bruder, aus gutem Grund: Das Fehlverhalten von Amerikanern hat den Protest über die Jahre groß gemacht. Verkehrsunfälle, Straftaten. Damit soll Schluss sein.
Der Gefreite Isaac Lee: "Könnte sein, dass es ein paar Probleme gegeben hat. Aber ich persönlich weiß darüber zu wenig. Es gibt vielleicht Gründe, aber ich bin mir nicht sicher."
Im Lokal mit dem Namen "Washington" werden die Amerikaner als Freunde empfangen: Familie Tamari hat die Speisekarte ganz auf die Kundschaft abgestimmt. Das Lieblingsgericht der jungen Soldaten: Taco-Reis mit Hackfleisch, Käse und Tomaten, mehr mexikanisch als japanisch – aber eben auch typisch Okinawa. Den Amerikanern verdankt die Familie ihre Existenz, daher heute eine Runde aufs Haus. Die Tamaris warten seit Jahren auf die Ansiedlung der Airbase in ihrer Nachbarschaft. Die Gegner haben das unnötig verzögert, meinen sie, beschlossen sei es doch längst, wie Tomoteru Tamari betont: "Wenn der Stützpunkt jetzt hierher verlagert wird, um den anderen Standort zu entlasten, dann kann man dagegen nichts machen. Ich würde es sogar sehr begrüßen. So einen Flughafen können wir vielleicht eines Tages auch zivil nutzen. Das würde die Entwicklung hier enorm vorantreiben."
Für die einen Vision, für die anderen Frevel. Auf einem der einsamen Traumstrände Okinawas entsteht die neue, V-förmige Landebahn für die Marines. Die Bauarbeiten schaffen Fakten, während sie wütend gegen die Strömung paddeln – und gegen die Küstenwache, die die Baustelle abschirmt. Mit ihren Kanus rasseln Umweltschützer in die schwimmende Barriere. Nadelstiche gegen die übermächtigen Gegner in Tokio und Washington. Die Aktivisten wollen die Transporte von Schüttgut zu Baustelle behindern. Doch wer die Barriere durchbricht, wird unsanft gestoppt – und kommt anschließend in Gewahrsam.
Ort der Versöhnung
Streit statt Frieden auf dieser Insel, auf der sich Amerikaner und Japaner einst so unerbittlich bekämpften. Die Schlacht von Okinawa war eine der blutigsten im Pazifik. 200.000 Tote – die Namen sind hier auf Tafeln verewigt. Auch Lima Tokumori findet Angehörige auf den Listen. Die Gegner symbolisch vereint – das sollte versöhnen.
Aktivistin Lima Tokumori: "Obwohl der Krieg schon vor mehr als 70 Jahren zu Ende ging, leiden die Einwohner von Okinawa immer noch darunter. Diese Insel sollte doch eigentlich für sie da sein, nicht für militärische Übungen."
Der Krieg ist vorbei. Doch auf Okinawa lässt der Frieden immer noch auf sich warten.
Autor: Ulrich Mendgen, ARD Tokio
Stand: 18.05.2019 17:12 Uhr
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