Mo., 18.02.19 | 04:50 Uhr
Das Erste
Peru: Warten auf Gerechtigkeit
Feuer Entfachen – so beginnt jeder Tag für Rute Zuñiga. Während die 48-Jährige das Frühstück für ihren Mann, die Tochter und den Enkel macht, schmerzen ihre Knie, die Hüfte und der Rücken – seit 20 Jahren schon, seit sie – gegen ihren Willen – sterilisiert wurde: "Sie fesselten meine Arme ans Bett. Und auch meine Beine. Sie pressten meinen Kopf auf die Matratze und gaben mir die vorbereitete Betäubung per Infusion. Während sie auf mich einredeten, verlor ich etwas das Bewusstsein, aber nicht ganz. So spürte ich, wie sie nach der OP meine Wunde zunähten. Das tat sehr weh."
Es war gängige Praxis – vor 20 Jahren – in den Anden Perus. Schon damals eine extrem arme Gegend, geprägt von der Landwirtschaft.
Rute kann seit der Zwangssterilisierung nicht mehr schmerzfrei auf dem Feld arbeiten. Ihrer Familie helfen, geht nur selten. Rutes Schicksal – kein Einzelfall: Bis zu 300.000 indigene Frauen wurden in Peru zwangssterilisiert.
Rute trifft sich mit Nachbarinnen, die sich trauen, darüber zu sprechen, über den Druck der Ärzte vor dem Zwangseingriff. Viscentina Usca erzählt: "Die Ärzte sagten: Du hast doch schon vier Kinder, wie viele willst Du denn noch? Lass dich sterilisieren! Sonst bist Du nichts anderes als eine Hündin oder ein Schwein."
Rute hat diese Frauen nun überzeugt, ebenfalls zu berichten, was sie erlebt haben. Marta Kayo Surquo schildert ihre Symptome: "Seit der Zwangssterilisierung tut mir alles weh, meine Knie bis hin zur Narbe der OP, die sich entzündet hat."
Tabu Zwangssterilisation
Lange Zeit war all das ein Tabu-Thema hier in den traditionellen Andentälern Perus. Doch immer mehr Frauen wollen nicht länger schweigen. Auch über die Konsequenzen auf das Familienleben. Josefina Quispe Gonzales: "Mein Mann wollte mich vor den Augen der Krankenschwester schlagen. Er schrie: 'Was machst Du hier?' Er dachte, ich wurde freiwillig operiert. Ich will mich gar nicht mehr daran erinnern, wie bitter das Leben mir mitgespielt hat. Seit diesem Datum ist das Leben mit meinem Mann nicht mehr wie vorher."
Meist kamen Krankenschwestern und Polizisten in die Dörfer und brachten die Quechua-Frauen ins örtliche Gesundheitszentrum.
Hier praktiziert noch heute – 20 Jahre danach – der Arzt Washington Ortíz, den die Frauen beschuldigen, sie damals gegen ihren Willen sterilisiert zu haben. Doch weder hier, noch nebenan in einer privaten Klinik, in der er arbeiten soll, treffen wir den Arzt an. Wir werden abgewiesen. Eine schriftliche Interviewanfrage bleibt unbeantwortet.
Kurz darauf führt uns Rute zu einer Frau, die es besonders schlimm getroffen hatte: Serafina Quispe wurde bei dem Eingriff so stark betäubt, dass man sie anfangs, nach der Sterilisierung, für tot erklärte: "Meiner Familie sagte man: in der Leichenhalle liegt eine wieder Auferstandene, die eure Namen ruft. Ich war tot und hatte das Glück wieder zurück ins Leben zu kommen."
Staatliche Kampagne
Serafinas düsteres Drama fand hier statt, im Krankenhaus Alberto Lorena, eigentlich ein dem Leben verpflichteter Ort.
Wir treffen eine Krankenschwester, die darüber redet, was passierte. Libia Pinares berichtet, wie systematisch die Sterilisierungen durchgeführt wurden: "Es war eine Anordnung des Gesundheitsministeriums. Deshalb wurden die Krankenhäuser dazu verpflichtet, sie durchzuführen."
Hier in Cusco genauso wie in vielen anderen Orten mit indigener Bevölkerungsmehrheit. Es war eine Kampagne des Staates, die sich gegen die Quechua-Ureinwohner richtete, erzählt Libia: "Wir mussten eine monatliche Quote erfüllen. Sonst hätte man uns gefeuert. Es war so extrem, dass sich sogar Krankenschwestern selbst sterilisieren ließen, um die Vorgaben zu erfüllen."
"Woher kam der Befehl?", fragen wir Libia Pinares: "Aus dem Ministerium in Lima. Das kam alles von der Regierung des Präsidenten Fujimori."
In den 90ern regierte Perus Präsident Alberto Fujimori autokratisch. Sein Programm zur Zwangssterilisierung galt offiziell der Armutsbekämpfung, als Weg Perus aus der Rückständigkeit. Längst ist jedoch klar: Es war zutiefst rassistisch, weil es sich gegen die indigene Minderheit richtete.
Jetzt wächst der Protest, weil das Unrecht bis heute nicht aufgearbeitet wurde.
Die Frage der Entschädigung
Rute Zuñiga leidet seit 20 Jahren unter schweren Folgeerkrankungen. Doch eine Entschädigung für das Leid hat sie bis heute nicht erhalten: "Mein Mann und ich sind nicht mehr glücklich, weil ich das wenige Geld, das wir verdienen für meine Medikamente ausgeben muss. Außerdem kann ich nicht mehr auf dem Feld arbeiten. Das tut mir so weh."
Ein bitteres Schicksal, das viele Frauen hier oben in den Anden teilen. Nach der erzwungenen Sterilisierung weigert sich der peruanische Staat bis heute, Verantwortung für das Unrecht zu übernehmen.
Josefina Quispe Gonzales von der Opfervereinigung AMAEF: "Wir hoffen, dass wir irgendwann eine Art Entschädigung vom Staat erhalten oder zumindest anerkannt werden als Opfer. Darauf warten wir."
Rute Zuñiga fasst sich: "Mein Enkel ist es, der mir Kraft gibt. Nur dank ihm habe ich den Mut, weiter zu kämpfen."
Für ein Leben in Würde nach dem Leid, das ihnen vor 20 Jahren angetan wurde, in einem der düstersten Kapitel in Perus Geschichte.
Autor: Matthias Ebert, ARD Rio de Janeiro
Stand: 18.05.2019 17:12 Uhr
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