Mo., 18.02.19 | 04:50 Uhr
Das Erste
Südafrika: Die Gangs von Kapstadt
Manche sagen hier herrscht Krieg: Rund 70 Tote, Monat für Monat. Dutzende Gangs kämpfen um die Vorherrschaft in den Armenvierteln Kapstadts und um die Kontrolle des Drogenmarkts, um das Geschäft mit Crystal Meth und Heroin.
Einer der gefährlichsten Plätze der Welt liegt ganz nah am Tafelberg und den Touristenattraktionen der Stadt.
Auch sie haben jemanden verloren: Levis Vater wurde erschossen, weil der sich weigerte Mitglied der lokalen Gang zu werden. Fünf Jahre alt war Levi als der Mord geschah: "Ich hörte die Schüsse", erinnert er sich. "Dann kamen Leute zu unserem Haus gerannt und sagten, dass mein Vater erschossen wurde." Avril Andrews: "Mein Sohn Alcardo hat mir sogar gesagt, dass sie ihn ermorden wollten", sagt die Mutter des Toten. "Ich habe ihn nicht ernst genommen, denn er war so ein friedfertiger Mensch. Damals sagte er mir: 'Mutter, wenn mir etwas passieren sollte, dann vergiss bitte nicht, dass ich nie Mitglied dieser Gang wurde.'"
Alcardo hätte nicht sterben müssen, sagt seine Familie – anderswo auf der Welt hätte er die Polizei um Hilfe bitten können. Hier aber, so sagen sie, hat die Polizei den Kampf um Recht und Ordnung längst aufgegeben.
Engagement für Waffenstillstand
Mit Computer und Spezialsoftware wollen nun sie für Sicherheit sorgen: der örtliche Pastor Craven Engel und sein Team. Überall in ihrem Viertel haben sie Mikrofone und Kameras installiert. So sehen sie sofort, wenn es wieder eine Schießerei gibt. Rund dreimal am Tag passiert das. Auf die Polizei warten sie dann nicht. Sie rücken lieber selbst aus – und haben ihre ganz eigene Strategie, wie Craven Engel von "Ceasefire" erklärt: "Uns geht es nicht darum, jemanden festzunehmen", erklärt der Pastor. "Sie kommen viel zu schnell wieder frei. Und selbst im Gefängnis steuern sie noch die Gewalt hier in unserem Viertel. Was wirklich hilft, ist das Verhalten der Gangster zu ändern."
Sie gehen dorthin, wo geschossen wird, und versuchen eine friedliche Lösung auszuhandeln. Heute ist es ruhig auf der Straße. Der Pastor hat einen Waffenstillstand erreicht für diesen Teil des Viertels – zwei Tage hält er schon.
Respekt genießt der Pastor, weil fast alle in seinem Team früher selbst schwer kriminell waren, Leute wie Wilfred Mc Kay: 12 Jahre war er im Gefängnis, schon mit 14 besaß er eine Pistole, Raubüberfälle waren seine Spezialität, bis er beschloss sein Leben zu ändern: "Als mein Sohn auf die Welt kam, hatte ich nur noch einen Gedanken: ein guter Vater zu sein“, erklärt er. "Ich will jetzt auch ein Vater für andere sein – für die Kinder auf der Straße."
Seit die Waffen schweigen, gehen die Leute wieder auf die Straße, auch die Kinder. Viele von ihnen waren aus Angst nicht mehr zur Schule gegangen. Und heute haben der Pastor und sein Team wieder ein wichtiges Treffen: In seinem Schlafzimmer empfängt sie einer der Bosse der lokalen Gang. Er nennt sich "Lord" – also "Gebieter" – und er sagt uns, er habe kein Problem damit gefilmt zu werden. Immer wieder betont er, wie gut er mit dem Pastor zusammenarbeite. Die Polizei dagegen, so sagt er, genießt hier keinen Respekt. Dann macht er einen Vorschlag, den man aus dem Mund eines Gangsters nicht erwarten würde: "In anderen Ländern gibt es doch die Todesstrafe", sagt er. "Wir brauchen sie hier auch – nur dann haben die Menschen Angst davor jemanden zu töten."
Plötzlich vor dem Haus: Polizei! Doch "Lord" bleibt ganz gelassen und beendet das Treffen in aller Ruhe, ganz so, als habe er schon vorher gewusst, dass die Polizisten nach wenigen Minuten wieder abfahren werden.
Demonstration für Sicherheit
Levi und seine Großmutter macht solches Verhalten der Polizei wütend: die beiden sind mit dabei bei einem Protestmarsch für mehr Sicherheit in den Armenvierteln, einem Marsch quer durch die Innenstadt Kapstadts.
Hier ist plötzlich ganz viel Polizei im Einsatz – Beamte, die die Demonstranten lieber in ihren Heimatvierteln sehen würden. Doch Polizeipersonal ist in der Stadt angeblich knapp – und drastisch sind manche Ideen zur Lösung des Problems: Dan Plato, Bürgermeister von Kapstadt: "Wir brauchen hier die Armee", sagt der Bürgermeister Kapstadts. "Ein Soldat, der über der Menge steht - das große Auge, das Dich beobachtet – das ist etwas, das den Menschen das Gefühl von Sicherheit geben würde."
Sicherheit – manche finden sie nur hier: auf einer Düne vor den Toren der Stadt. Hier leben Kriminelle, die aus ihren Gangs aussteigen wollen. Sie alle wurden schon als Teenager zu Verbrechern, mit 13 oder 14 Jahren; manche von ihnen sind Mörder. Für vieles wurden sie nie verurteilt. Chevano Williams will trotzdem mit uns sprechen, doch nicht über Details seiner Geschichte, vor allem nicht darüber, ob und wie oft er schon getötet hat: "Vor den Polizisten hatte ich jedenfalls keine Angst", sagt er. "Einige von ihnen sind selbst Mitglieder der Gangs. Du begehst heute einen Mord – und schon morgen kommst Du wieder aus dem Gefängnis."
Wie viel an der Geschichte dran ist, ist schwer zu beurteilen. Angst haben Chevano und die anderen jedenfalls vor allem vor den Bossen ihrer Gangs. Fern von ihnen lernen sie deshalb hier das Gärtnern – manche auch erstmals Lesen und Schreiben.
Bis vor kurzem gab es für dieses Projekt noch Unterstützung von der Stadtverwaltung. Vor fünf Monaten aber hat sie den Geldhahn zugedreht.
Levis Großmutter hat deshalb selbst damit begonnen, für mehr Sicherheit zu sorgen: jeden Tag gibt sie vor ihrem Haus kostenlos Essen an die Nachbarn aus. Die Spende kommt von einem privaten Geschäftsmann. Die Idee: die Not zu lindern, die Straße zu beleben und so Kriminalität zu verhindern.
Avril Andrews: "Dann allerdings standen in der Schlange auch Mitglieder der Gang, die meinen Sohn umbrachte", erzählt Avril. "Seine Witwe gab ihnen Essen aus und begann zu weinen. Ich habe ihr gesagt, sie soll einfach weitermachen. Das war hart für uns, aber uns blieb nichts anderes übrig. Wir müssen das tun. Wir leben hier zusammen. Die Gangster sind Teil von uns. Wir müssen es tun."
Eine zweite Chance für die Mörder in der Nachbarschaft – eine zweite Chance auch für Chevano Williams. Der Bandenkrieg werde noch in hundert Jahren nicht enden, sagt er. Er aber werde in diesem Krieg nicht mehr kämpfen.
Autor: Thomas Denzel, ARD Johannesburg
Stand: 18.05.2019 17:12 Uhr
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