Mo., 13.11.17 | 04:50 Uhr
Das Erste
Kanada: First Nations gegen Fischfarmen
Respektiert unser Land und unsere Gewässer, hat Molina Dawson auf das Schild gemalt. Ihr Onkel Mike singt das uralte Lied über die Schöpfung ihrer Welt. Ihre Welt ist abhängig vom jährlichen Zug der Wildlachse, Nahrung für ihre Familien, Nahrung für die Tierwelt an der Pazifikküste.
Seit Monaten halten die First Nations vom Stamm der Mikwaka an der Küste von British Columbia zwei Fischfarmen besetzt. Morinas Großvater Willie Moon führt sein Volk an: "Dem Wildlachs droht die Ausrottung in unserem Gebiet. Dagegen müssen wir etwas tun. Wir leben vom Fisch seit alters her."
Die Fischfarmen
Das Problem: Seitdem es diese Farmen gibt, kommen immer weniger heimische Wildlachse aus dem Pazifik – vorbei an den Fischfarmen – zurück in die Flüsse und Bäche an der Küste, um hier zu laichen. Im Fraser-Mündungsgebiet ist der Bestand an Wildlachs rapide gesunken. Das hatte schon die Fraser River-Untersuchungskommission im Jahre 2009 festgestellt.
Die Besetzer haben einen kleinen Unterstand gebaut. Hier wird gekocht und kommuniziert. Morina bereitet sich auf eine kühle Nacht im Zelt vor auf den Alurosten gleich neben den Netzen. Seit gut zehn Wochen dauert ihr Protest auf zwei Fischfarmen von Marine Harvest an. Die Firma lässt sie gewähren.
Milina Dawson gibt sich kämpferisch: "Ich bleibe solange, bis die Fischfarmen weg sind."
Ernest Alfred, Chief der Namgis ist wütend: "Dies ist mein Haus, unser Land. Diese Firmen versauen das Meer, von dem wir leben!"
Der Wildlachs infiziert sich
Die Häuptlinge der First Nations nennen sie respektvoll Gwimsi – großer Wal: Alex Morton ist Biologin und forscht seit Jahren zum Thema Wildlachs. Sie ist sich sicher, dass der pazifische Wildlachs sich infiziert, wenn er an den Fischfarmen vorbeischwimmt auf dem Weg ins offene Meer. Am PC erklärt sie den Zusammenhang, so wie sie ihn sieht: In Rot der Weg der jungen Wildlachse, wenn sie nach der Geburt im Fraser Mündungsgebiet in den Pazifik ziehen. Die Punkte sind die Fischfarmen in der Gegend: "Wenn nun eine der Fischfarmen von einer Krankheit befallen wird, dann breiten sich die Viren schnell aus und füllen den gesamten engen Kanal. Das ist der Weg, den der junge Wildlachs, der im Fraser River geboren wurde, nimmt. Und hier stecken sie sich an."
Für Menschen sind die Viren ungefährlich. Aber bei den Wildlachsen greifen sie über das Blut das Herz an. So geschwächt wird Wildlachs im Meer aufgefressen und kommt nie zum Laichen zurück – so die These: "Diese Fischfarmfirmen verhalten sich wie früher die Wikingerhorden, die in dein Land einfallen. Ich studiere den Wildlachs, der hier vorbeischwimmt seit 17 Jahren und er wird aufgefressen von Seeläusen, infiziert mit dem Piscine Reovirus, eingeschleppt über diese Fischfarmen."
Industrielle Fischzucht
Marine Harvest pumpt vorgezogenen Jungfisch in die Netze der Fischfarm. So wurde das Problem nach Kanada eingeschleppt - sagt Alex Morton. Die Eier für diesen Zuchtlachs stammen aus Norwegen – und in Norwegen gibt es das Virenproblem, das den Wildlachs tötet, schon seit langem.
Dies ist ein Werbefilm der Firma Marine Harvest, Hauptsitz in Norwegen, weltweit bei weitem der größte Anbieter von Zuchtlachs. Atlantischer Zuchtlachs in British Columbia ein Milliardengeschäft, bietet Jobs für 3000 Menschen. Die Firma bestreitet nicht den rapiden Rückgang des Wildlachses an dieser Küste. Allein der habe nichts mit den Produktionsmethoden und schon gar nicht mit angeblich eingeschleppten Viren zu tun, wie Ian Roberts, Pressesprecher von Marine Harvest Kanada, betont: "Unsere Technologie hat sich in den zehn bis 20 Jahren dramatisch verbessert. So stellen wir einen gesunden Fisch her: schnell und effizient. Und mehr und mehr sinkt auch der Einfluss, den wir auf die Umwelt ausüben. Die Leute vertrauen darauf, dass wir gesunden, nahrhaften Fisch für sie herstellen."
Die Aktivisten nutzen die Besetzung, um unter Wasser den Zuchtlachs zu filmen. Sie finden an diesem Tag neben vielen gesunden Fische auch solche, die krank aussehen – so wie diese. Alex Morton untersucht das Bildmaterial danach an Bord des Begleitschiffes: "Ich sehe das Material zum ersten Mal. Der hat da eine große Schwellung, ich kann nicht genau sagen, woher die kommt, ob das ein Tumor ist oder das von einem Virus stammt."
Dann zeigt uns Alex Morton Bilder von offenbar kranken Fisch, den die Umweltaktivisten auf anderen Fischfarmen gedreht hatten. Marine Harvest sagt, die kranken Fische würden entfernt; nur gesunder Lachs erreiche den Verbraucher.
Alex Morton: "Wenn es um ihren Ruf geht, dann tritt Marine Harvest aggressiv auf. Das ist meine Erfahrung."
Protest in der Fischzucht
Die Besetzer hängen ein Protest Plakat auf: Hat dieser Fisch den Reovirus? Der Reovirus schwächt die Fische nachhaltig. Marine Harvest schickte Mitarbeiter los, um das Plakat zu entfernen. Morina Dawson versucht einzugreifen, das Plakat sei Eigentum der First Nations und dürfe nicht mitgenommen werden. Ein Mitarbeiter von Marine Harvest reagiert: "Wir nehmen es nicht mit, aber es muss abgehängt werden. Das geht einfach zu weit."
Dem ARD Team droht Marine Harvest mit Strafverfolgung, weil es ohne Genehmigung den Protest auf den Fischfarmen gedreht habe. Im Übrigen sei das, was Alex Morton behaupte, wissenschaftlich nicht haltbar.
Das sieht der frischgewählte Premierminister der Provinz British Columbia Horgan erheblich differenzierter: Er ist nach Alert Bay in das kulturelle Zentrum der Stämme gekommen. Ohne die Einwilligung der Regierung können die Fischfarmen nicht operieren. Und die versammelten Häuptlinge fordern von ihm eindringlich einen Kurswechsel. John Horgan, Ministerpräsident von British Columbia: "Ich bin zu ihnen gekommen, damit wir gemeinsam arbeiten und eine Lösung finden, um unseren pazifischen Wildlachs zu schützen und zwar für immer."
Gut möglich, dass den Fischfarmen bald die Lizenzen entzogen werden. Es wäre ein großer Erfolg für die Umweltaktivistin Alex Morton.
Autor: Markus Schmidt, ARD New York
Stand: 31.07.2019 11:15 Uhr
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