Mo., 03.09.18 | 04:50 Uhr
Das Erste
USA / Kanada: 9/11 – die Gestrandeten von Gander
Come from Away – sie kamen von weit her: Ein preisgekröntes Musical und derzeit eines der heißesten Tickets am Broadway..
Es spielt im kleinen Örtchen Gander im Osten von Neufundland, 2500 Kilometer von New York entfernt, und handelt von Güte und Gastfreundschaft, von herzlicher Willkommenskultur.
Lehrer, Polizisten, Busfahrer und einfache Bürger – um sie geht es, sie sind die Helden von "Come from Away": Zum Beispiel Dianne, pensionierte Lehrerein in Gander. Eine der wichtigsten Rollen basiert auf ihrer Person und einer weiteren Frau, Beula: "Wegen dieses Musicals bekomme ich viel Anerkennung für alles, was ich getan habe. Aber ich war nur eine von vielen."
Gespielt wird Dianne von Astrid, die schon hunderte Auftritte als Dianne hinter sich hat und immer noch von der Geschichte berührt ist. Mittlerweile sind die Frauen sogar befreundet: "Come from Away und die Menschen von Gander, das ist die authentischste Theaterrolle, die ich je gespielt habe. Klingt schmalzig, aber so ist es."
Der 11. September 2001
Begonnen hat alles am 11.September 2001: 39 Flugzeuge landeten an diesem Tag auf dem Flughafen des kleinen Ortes Gander, weil der Luftraum über dem Atlantik wegen der Anschläge geschlossen wurde. 6600 Menschen wurden eine Woche lang versorgt und alle halfen mit. Dianne erzählt: "Hier waren Menschen aus der ganzen Welt, die überall hin telefonierten um zu sagen, dass es ihnen gut geht. Viele hatten keine blasse Ahnung, wo auf diesem Planeten sie überhaupt gelandet waren."
Heute ist das kleine Gander für viele sehr wohl auf der Landkarte, plötzlich sogar Touristenziel. Viele wollen die guten Menschen von Gander persönlich kennenlernen, wie Kathy aus New York: "Ich bin so stolz auf alle hier, auf diese Menschlichkeit."
In einer 9/11-Bustour werden die Besucher dann durch den Ort gefahren, auf Spurensuche der Menschlichkeit: Im Rathaus sind Dankesbriefe und Erinnerungsstücke von 2001 zu besichtigen, zum Beispiel von Lufthansa-Passagieren: "Wir wussten nicht, dass wir hier Freunde haben, bis wir nach Gander umgeleitet wurden."
Als Höhepunkt der Tour treffen die Gäste Zeitzeugen. Diesmal ist es Dianne, die die Besucher in ihren Bann zieht mit Geschichten der Hilfsbereitschaft für die gestrandeten Fluggäste. Besonders für viele New Yorker ist der 11. September noch immer eine traumatische Erinnerung:
"Ich habe an dem Tag viele Kollegen verloren. Und dann kommt alles wieder hoch", blickt Blaine Scarpalone zurück. Kathy Scarpalone ist beeindruckt: "Ich bin eigentlich gekommen um meinen Respekt zu zollen, aber ich habe so viel gewonnen."
Ein emotionales Erlebnis
"Wir dürfen Gefühle zeigen", sagt Dianne, "wir können stolz darauf sein, Gutes zu tun. Wenn ich unsere Geschichte erzähle, werde ich immer emotional, die Leute auch und dann umarmen wir uns. Und das tut gut."
Rührung und Freude wechseln auch im Musical gekonnt ab, wie im wahren Leben; vor dem Hintergrund des 11. September eine mutige Dramaturgie.
"In dieser Stadt haben 9000 Menschen gelebt und fast 7000 kamen dazu. Und alle haben einfach losgelegt. So ist das mit der Güte. Sie ist ansteckend. Wenn die ersten helfen, wollen alle mitmachen, wie beim Feuerlöschen. Niemand will nur am Rand stehen und zusehen", beschreibt Astrid van Wieren.
In Gander hat jeder seine eigene 9/11-Geschichte zu erzählen, auch Oz, der damalige Ortspolizist, und Brian, damals Fernsehreporter. Beide kommen im Musical vor und beide kümmern sich heute ehrenamtlich um die 9/11-Touristen in Gander: Screeching heißt das Ritual. "Kiss the Fish": wer Ehrenbürger von Neufundland werden will, muss einiges erdulden. Dafür ist er dann Teil einer freundlichen Gemeinschaft. Die Gäste sind begeistert: "Es war eine Ehre, die echten Menschen hinter den Charakteren des Stückes zu sehen." "Die Menschen sind hier viel netter als anderswo." "Es war schon sehr emotional. Die ganze Freundlichkeit und Großzügigkeit hier."
Die neuen Ehrenbürger gehören jetzt dazu und Reporter Brian Mosher erklärt das Gefühl: "Dieser Rummel um Gander ist für uns ein ganz großes Ding geworden. Die Leute wollen Teil der Gemeinschaft werden. Also sagen wir: 'Willkommen an Bord!'"
Ex-Polizist Oz Fudge: "Am 11. September haben wir gesagt: 'Sie kamen als Fremde, sie wurden Freunde und am Ende waren sie Familie.' Und so ist es immer noch."
Eine Familie ist entstanden
Die Großfamilie umfasst inzwischen auch die Darsteller des Musicals: Oz und sein Alter Ego, der Schauspieler Arturo, sind sich erstmals begegnet, als die ganze Truppe nach Gander flog und ihr Stück dort aufführte. Alle Bürger von Gander waren eingeladen – für alle ein bewegender Moment, auch für den Darsteller des Dorfpolizisten: "Das normale Publikum erlebt diese Kettenreaktion: Sie sind Zeugen, dass Gutherzigkeit sich durchsetzt, auch wenn schreckliche Dinge in der Welt passieren."
In New York läuft "Come from Away" weiter und in Neufundland wird es bald wieder neue Touristen geben, die sich die guten Menschen von Gander mal von der Nähe ansehen wollen: "Es war großartig!" "Ergreifend!" "Ich will da hin! Ich will diese wundervollen Menschen kennenlernen!" "Wir wollen jetzt mehr über diese Stadt lernen. Der nächste Urlaub wird geplant."
Autorin: Christiane Meier, ARD New York
Stand: 27.08.2019 22:41 Uhr
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