Mo., 03.09.18 | 04:50 Uhr
Das Erste
USA: Endstation Motel
Einen Schreibtisch für ihre Hausaufgaben hat Kyra nicht. Kyra ist elf und lebt mit ihrer Großmutter in einem Motel. Sie hat sich mit ihrer Schwester gestritten, die bei anderen Verwandten lebt. Jetzt muss sie lernen. Die Oma hilft. Ein Aufsatz über Ziele und Träume. Die Aufgabe gefällt der 54-Jährigen. Sie will alles tun, dass ihre Enkelin einmal ein besseres Leben hat und eine Zukunft außerhalb eines heruntergekommenen Motels.
Kyra ist nicht glücklich: "Manchmal vermisse ich mein Zimmer. Dort konnte ich mich zurückziehen. Ich habe keine Nachbarn gehört, die hin und her laufen und an die Wände klopfen. Ich hatte meinen eigenen Raum. Hier fühlt es sich an wie in einem Klassenzimmer, nur kleiner."
Weil ihr altes Haus voller Schimmel war, fanden sie hier Unterschlupf. Überall stapeln sich Habseligkeiten. Regelmäßig frische Laken gibt es nicht. Dauergäste haben darauf keinen Anspruch trotz 1200 Dollar monatlich. Der größte Teil von Theresas Geld geht für diese Miete drauf, ihre Witwen- und Invalidenrente. Etwas zur Seite legen, zum Beispiel für eine Mietkaution, ist nicht drin: "Gib dich nicht auf. Das ist das Wichtigste. Wenn Du weinen musst, dann weine. So ist es nun mal. Geh nicht raus, nimm Drogen oder betrinke dich. Wenn Du wieder nüchtern bist, dann ist alles immer noch genauso wie vorher."
Motels nicht für Reisende
Solche Motels gibt es in den USA unzählige: nichts für Dienstreisende oder gar Touristen. Diese Orte bewahren Menschen, die noch etwas Geld haben, vor Obdachlosigkeit – ein gutes Geschäft für die Betreiber, ein Teufelskreis für die Bewohner, schwarze wie weiße.
Donna Howard hat beschlossen, Menschen wie Theresa zu helfen. Hier in Brunswick, einer Stadt in Georgia, gibt es kaum bezahlbare Wohnungen. Aber problematischer ist für viele das fehlende Startkapital, wie Donna Howard von "Saved by Grace Glynn" erklärt: "Sie müssen die erste Monatsmiete haben und dazu noch eine Kaution in der gleichen Höhe. Auch für die Nebenkosten muss Geld hinterlegt werden. Jemand, der nur den Mindestlohn verdient, kann sich das nicht leisten. Man muss ja alles vorab bezahlen. Deshalb nimmt das mit den Motels so zu. Wer dort lebt, braucht das alles nicht."
Gemeinsam mit ihrer Freundin Maria hat sie eine gemeinnützige Organisation auf die Beine gestellt. In ihrer Freizeit verteilen die beiden Frauen Nahrungsmittel an Menschen, die sich überlegen müssen, ob sie Miete oder Essen bezahlen – alles Spenden, unter anderem von Restaurants. Seit knapp zwei Jahren machen sie das jetzt. Davor war ihnen gar nicht bewusst, wie viele Menschen in Motels wohnen müssen. Und das oft über Jahre. Fast 20 Prozent der Einwohner in dieser Gegend leben unter der Armutsgrenze. Viele haben Arbeit, aber der Verdienst reicht kaum zum Überleben.
Hilfe für Motel-Bewohner
Eine Frau ist glücklich, als die beiden ankommen: "Gott schickt die beiden. Sie sind Engel mit versteckten Flügeln."
Donna und Maria wissen, dass jemand, der in einer Autowaschanlage arbeitet und oft nur das Trinkgeld ausgezahlt bekommt, immer mit der Angst lebt, selbst dieses Dach über dem Kopf zu verlieren. Donna Howard: "Schaut Euch diesen Ort an: einfach traurig. Ich denke, oft wollen sie nur mit einem reden, der nicht hier lebt, der von außen kommt. Aber meistens brauchen sie etwas zum Essen."
Ebenfalls in Brunswick, ganz in der Nähe eines alten Kraftwerks, ein kleineres Motel, ein Familienbetrieb. Kamal Patel weiß, seine 13 Zimmer sind nicht gerade luxuriös. Auch er will Geld verdienen, aber seinen Mietern für 200 Dollar die Woche trotzdem einen gewissen Standard bieten. Sogar die Duschvorhänge wäscht er regelmäßig: "Es gibt ein Sprichwort. Darf ich fluchen? Also: Serviere keinen Scheiß, den Du nicht bereit bist zu essen. Wenn ich nicht in einem meiner Zimmer wohnen will, warum sollte das jemand anders wollen?"
Viele seiner Gäste leben jahrelang in diesem Motel. Eine Frau wohnt mit Partner und zwei Stiefkindern hier: Tamoka Hughes. Sie ist Kellnerin. Als sie einmal kurz arbeitslos war, reichte das Geld nicht mehr für die Miete. Ab dem ersten Tag Verzug gab es Mahngebühren. Das war zu viel: "Ich hab alles gemacht, wie es von mir erwartet wurde: Ich bin nicht früh schwanger geworden, ich hab die Schule fertiggemacht und gearbeitet – also alles, wie es sein sollte, aber ich bekomme keine Hilfe. Es ärgert mich, dass diese Mädchen, die rechts und links Babys in die Welt setzen, alle möglichen Sozialleistungen kriegen und noch dabei nicht einmal arbeiten."
Tamokas Stiefsohn Ely zeigt stolz die Smileys in seinem Schulheft. Trey, der Vater, arbeitet als Teppichleger. Obwohl das Paar zwei Gehälter hat, reicht es nicht für eine eigene Wohnung. Zum Abendessen gibt es Salat. Wie immer muss das Bett als Tisch herhalten. Trey Clark versucht nicht zu resignieren: "Der amerikanische Traum, tja! Sich darüber zu beklagen, hilft nichts. Versuch locker zu bleiben und es besser zu machen." Spätestens Anfang nächsten Jahres will Trey es geschafft haben, auszuziehen. Bis dahin bleibt das Oleander Motel ihr Zuhause, das einzige, das sie sich leisten können.
Autorin: Claudia Buckenmaier, ARD Washington D.C.
Stand: 27.08.2019 22:41 Uhr
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