Mo., 08.05.17 | 05:00 Uhr
Das Erste
Paris: Keine Wohnung, kein Job
Nicolas auf dem Weg zu seiner Arbeit. Seit er 16 ist, lebt, überlebt er auf der Straße. Das sind vier Jahre. Er bittet die Fahrgäste in der Pariser Bahn, um eine Hilfe. Für sich und seine kleine Kollegin – Hündin Bella. 15 Minuten später.
"Hier, ein bisschen was zu Essen. Kleine Teilchen. Ein ganzes Päckchen Zigaretten, das kommt sehr selten vor", erzählt Nicolas.
Obdachlose – typisch für Frankreich?
Die Menschen reagieren nicht abweisend, eher dezent freundlich, fast solidarisch. Frage an die Mitreisenden: Ist der bettelnde Nicolas eine Ausnahme oder typisch für Frankreich. "Es gibt viele Obdachlose, ist typisch französisch. Sie sind überall." "Nein, nein, es gibt viele. Er ist gar keine Ausnahme. Wenn man keine Wohnung hat, findet man keine Arbeit und umgekehrt. Das ist ein Teufelskreis." "Wird sich das nach der Wahl ändern?" "Nach den Wahlen, nein." "Unter Macron und Le Pen?" "Nein", so einige Mitreisende.
Ohne Job – keine Wohnung
Die Schule hat Nicolas in der zehnten abgebrochen. Mit seiner Familie möchte er nichts mehr zu tun haben. Zum "Warum" sagt er nur so viel: "Mein Vater hat Arbeit und er hat ein Haus. Meine Mutter auch." "Aber sie helfen Ihnen nicht?" "Nein. Wir haben ein besonderes Problem. Sie und ich." 30 Euro kostet der Quadratmeter im Schnitt in Paris. Sobald er irgendwo gratis ins Netz kann, bewirbt er sich. Die Arbeitgeber verlangen Berufserfahrung. Er kennt nur Gelegenheitsjobs. Schwierig. Ohne Job – keine Wohnung.
"Ich wäre gerne an einem Ort, wo ich reingehe, mich auf ein Sofa setzen kann und einfach weiß: Es ist vorbei. Ich bin nicht mehr in Gefahr. Keiner wird mich angreifen. Keiner wird mich stören. Früher, als ich auf der Straße anfing, gab es kaum jugendliche Obdachlose. Aber jetzt werden es immer mehr."
Viele obdachlose Jugendliche
Nicolas führt uns in einen Park zu anderen obdachlosen Jugendlichen. Er sagt, es seien viele. Zu jeder Jahreszeit. Sie schlafen in Zelten. Allein in Paris sollen etwa 15.000 Menschen auf der Straße leben. Etliche davon jugendlich. "Wird sich mit der Wahl etwas für sie ändern?" "Mit der zweiten Runde? Nichts. Kann man auf jeden Fall sagen." "Nichts?" "Nichts."
Die Nacht kommt langsam, er muss sich um seinen Schlafplatz kümmern. Vor dem Sozialamt einer Kleinstadt pfeift der Wind zwar ordentlich, aber dafür gibt es ein Dach. Seit März ist er öfter hier, mit Hund und Hängematte.
Kein Vertrauen in politisches System
"Die Leute in meinem Alter fragen sich nicht, ob sie essen werden. Und ich frage mich: Werde ich heute überhaupt irgendwas essen. Ich frage mich, wo ich schlafe, ob ich angegriffen werde. Das ist Stress. Der ist nicht gut."
Bella, treue Seele, vier Beine, sorgt für seine Wärme und seine Sicherheit. Und dann möchte er den deutschen Zuschauern gern direkt etwas sagen: "Wenn sie wollen, dass die Welt sich ändert, es keine Armut mehr gibt, sondern Frieden herrscht, die Liebe regiert und alle gleich sind, darf man nicht auf den Staat warten, man muss selbst etwas tun."
Auf seine Chance hofft Nicolas ganz fest, an das politische System glaubt er nicht.
Autorin: Isabel Schayani
Stand: 14.07.2019 13:40 Uhr
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