Mo., 08.05.17 | 05:00 Uhr
Das Erste
Reims: Erst links, dann rechts
In Reims lebt man von und mit dem Champagner. Früher gut, doch heute längst nicht mehr. Immer mehr Firmen schließen, die Angst vor Abstieg und Ausgrenzung wächst.
Trübe Stimmung bei den Wählern
Das Büro der Kommunisten ist klein, ihre Macht inzwischen auch. Bis vor zwei Jahren haben sie im Rathaus mitregiert. Viele in Reims sind ein bisschen nach rechts gerückt. Jetzt haben die Konservativen die Macht und auch der Front National hat ordentlich zugelegt. "Unsere Stadt war sehr industrialisiert, mal abgesehen vom Champagner. Dann hat eine Firma nach der anderen zugemacht und die Leute haben keine Arbeit mehr gefunden", sagt Cédric Lattuada, Vorsitzender der Kommunistischen Partei.
Auf dem Markt ist das Angebot üppig aber die Stimmung trüb. Metzgermeister Audinot will Marine Le Pen wählen, auch wenn er nicht so recht überzeugt ist. "Wir haben die Wahl zwischen der Pest und der Colera. Jetzt müssen wir den Besten auswählen."
"Es ist wie mit allen Präsidenten. Sie versprechen alles Mögliche und dann: Verpisst euch." "Wenn Sie Marine Le Pen wählen, geht’s bergab, sagt die mit den Flugblättern von Macron", sagen einige Marktbesucher. Ist mir doch egal, sagt die junge Frau. Was der sagt, ist doch auch nur so. Und dann ruft sie noch: Es lebe Le Pen!
"Ich habe Angst um meine Kinder, die hier geboren wurden. Sie sind schwarz, aber in ihrer Seele sind sie Franzosen. Wird es hier überhaupt noch einen Platz für sie geben", fragt eine Marktbesucherin.
Franzosen wollen Erneuerung
Zwei völlig unterschiedliche Kandidaten. Doch wen wählen? Emanuel Macron, den jungen unabhängigen Aufsteiger? Oder Marine Le Pen vom rechtsextremen Front National? Eine schwierige Wahl finden viele. Seine Partei steht nicht zur Wahl. Bürgermeister Arnaud Robinet ist von den Konservativen. Deren Kandidat Fillion war im Strudel seiner Affären untergegangen. "Die Franzosen haben damit sicher der politischen Klasse einen Denkzettel verpassen wollen. Sie wollen eine Erneuerung. Wir müssen einsehen, dass die bisherigen Parteien es nicht geschafft haben, Antworten auf die Sorgen der Franzosen zu geben. Es ist eine Wahl der Angst und des Trotzes, und jetzt liegt es an uns, den Lokalpolitikern."
Gute Lokalpolitik also? "Wenn man von außen auf Reims guckt, denkt man, das ist eine reiche und bourgeoise Stadt, durch ihre Geschichte und ihren Champagner. Aber in Reims gibt es auch 43 Prozent Sozialwohnungen, gesetzlich ist nur die Hälfte vorgeschrieben", sagt Robinet.
Jeder Dritte in Reims hat keine Arbeit mehr
Doch wovon bezahlen? Nur jeder Zweite in Reims zahlt Steuern. Am Stadtrand in Orgeval leben sogar 71 Prozent in Sozialwohnungen. Jeder Dritte hier hat keine Arbeit mehr. Der Front National gewann überdurchschnittlich hinzu.
"Hier bei uns im Stadteilteilbüro, da kommen zwar viele her, aber zwischen den beiden Wahlgängen wird nicht viel über die Wahlen gesprochen. Es ist fast wie ein neutraler Ort, an dem sich die Leute nicht darüber austauschen wollen. Ich habe den Eindruck, dass alle wie gelähmt sind, von dem was gerade passiert. Bei den Präsidentschaftswahlen 2002 bin ich noch gegen Jean-Marie Le Pen auf die Straße gegangen. Da standen wir alle unter Schock. Jetzt habe ich den Eindruck, dass wir nicht reagieren. Und das macht mich betroffen", erzählt Marie Chapu vom Stadtteilbüro in Orgeval.
Unzufriedenheit im ganzen Land
Währenddessen werben in der Innenstadt die Anhänger von Marine Le Pen. Vor ein paar Jahren hatte der Front National noch keinen leichten Stand. Heute ist das anders. Hier streiten sie gerade, wie Frankreichs Wirtschaft wieder in Schwung kommen könnte. Man muss ausländische Produkte stärker besteuern, meint der Aktivist von Front National. Nie im Leben funktioniert das, sagt der Student mit dem Rucksack. Doch, doch, das war früher auch so. Und dann kommen die Jungs und sehen die von Front National. "Fuck you", rufen sie und heben den Mittelfinger.
Um die Ecke im Büro der Kommunisten sind sie immer noch fleißig. Nachdem ihr Favorit Mélenchon ausgeschieden ist, setzen sie nun alles daran, Marine le Pen zu verhindern.
"Die Situation ist beunruhigend. Die Rechtsextremen haben hier mit mehr als 21 Prozent so viele Stimmen bekommen wie noch nie. Das bedroht die Demokratie und das Zusammenleben. Daher müssen wir uns mobilisieren, damit Marine Le Pen so wenig Stimmen wie möglich bekommt", fordert Cédric Lattuada.
Unzufrieden sind sie hier irgendwie alle. Egal ob rechts oder links. Vielleicht wird der neue Präsident etwas ändern, damit die Stadt nicht nur im Abendlicht so glänzt wie einst.
Autoren: Mathias Werth / Ursula Duplantier / ARD Studio Paris
Stand: 14.07.2019 13:40 Uhr
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