Mo., 03.07.17 | 04:50 Uhr
Das Erste
Russland: Der Leoparden-Freund
Es ist schon etwas unheimlich: Wir sind in einem Fleckchen Erde – einzigartig in Russland; ein Schutzgebiet, das es so in ganz Europa nicht gibt. Natur wie vor 100 Jahren – bislang unter Totalschutz. Nur in Begleitung dieser Wissenschaftler und Ranger dürfen wir überhaupt hier sein. Wir sind im Land der Leoparden. Früher lebten hier viele. Doch die meisten wurden ausgerottet, die anderen zogen in den Ostkaukasus. Das soll sich nun ändern.
Aus drei Leoparden sollen 100 werden
Im letzten Jahr haben sie hier drei Leoparden ausgewildert. Eines Tages könnten hier wieder 100 Großkatzen leben, so der Biologe Alim Pjitikow. Das ist jedenfalls sein Traum. Jetzt will er sehen, was aus ihnen geworden ist: Alim hat Kameras aufgestellt, um mehr über die Leoparden und den Tierbestand im Westkaukasus zu erfahren. Noch sind es viel zu wenige Fotofallen. Es müssten viel mehr sein. Er ist hier, um die Fotokarten auszuwechseln.
Alim Pjitikow über die Schwierigkeit seines Projekts: "Den Leoparden steht etwa eine halbe Million Hektar Land zur Verfügung. Die Wahrscheinlichkeit, dass einer von ihnen von einer unserer Videokameras aufgenommen wird, ist ziemlich gering. Doch die Fotofallen liefern wichtige Hinweise über die Beute. Und da der Leopard seiner Beute folgt, schon möglich, dass er irgendwann hier vorbeikommt."
Auf Spurensuche
Zusammen mit seinem Kollegen und Freund Sergej untersucht er alles ganz genau: "Hier ist zwar alles zertreten. Aber hier sind Spuren. Hier ist eine ganz klare Fährte, ganz frisch. Man sieht, hier war ein Weibchen mit Jungen. Gemsböcke."
Er hatte recht: neugierig werden wir beäugt. Nicht nur die Leoparden, auch das Wild wurde hier früher gnadenlos gejagt. Alim und Sergej sind zufrieden: Die Wildbestände haben sich erholt. Die beiden Biologen dokumentieren alles ganz genau, schließlich ist es das erste Mal, dass hier Leoparden ausgewildert wurden. Und im nächsten Jahr sollen fünf weitere Tiere folgen. Aber nur, wenn es mittlerweile wieder genügend Nahrung für die Großkatzen gibt. Alles deutet daraufhin: Gemsböcke in Hülle und Fülle.
Die Großkatzen brauchen Raum
Sorgen machen sich die beiden Biologen eher um die Bewegungsfreiheit der Katzen. Das Überleben der Leoparden im Kaukasus kann nur gesichert werden, wenn die alten Wanderrouten, die Korridore nach Aserbaidschan und Armenien offen bleiben, damit sie sich mit den Leoparden dort vermehren können.
Manchmal läuft Alim 20 Kilometer am Tag quer durch den Westkaukasus, denn nicht immer hat er das Geld für Pferde. Doch er weiß, wie wichtig es ist, jetzt so viele Informationen zusammenzutragen wir möglich. Denn nur dann können weitere Tier ausgewildert werden. Täglich wertet er im Camp alles aus. Langsam ergibt sich ein Gesamtbild: Kadaver, vor allem die sogenannten Cluster geben Auskunft über die Jagdreviere der Leoparden. Alles wird in eine Karte eingezeichnet.
Alim Pjitikow, Biologe WWF: "Die Leoparden sind ideale Raubtiere, weil sie nur das nehmen, was sie brauchen. Und das zahlenmäßige Verhältnis zwischen Huftieren und Leoparden gibt keinen Anlass zur Sorge. Man muss nicht befürchten, dass die Huftiere unter Druck geraten und radikal reduziert werden."
Die Bewegungsmuster der Leoparden zeigen: Sie haben sich ausgezeichnet angepasst: Sie jagen, gehen aber an Siedlungen vorüber.
Die Auswilderung
Alim hat ein ganz besonders Verhältnis zu den Großkatzen. Er war dabei, als die drei jungen Leoparden vor einem Jahr ausgewildert wurden. Es ist das erste großangelegte Experiment dieser Art weltweit: Leoparden, die in menschlicher Obhut heranwuchsen, wurden in freier Wildbahn ausgesetzt. Zwar wurden sie in einem Gehege aufgezogen, doch ohne Kontakt zu Menschen. Nur selten sind die scheuen Großkatzen bisher gesichtet worden. Sie meiden Menschen. Und das ist gut so, denn vom Menschen geht die größte Gefahr aus, so der Direktor des WWF in Russland. Vor den Olympischen Spielen in Sotschi hatte sich die russische Regierung verpflichtet das Gebiet unangetastet zu lassen, sogar zu vergrößern. Doch mittlerweile stehen wirtschaftliche Interessen im Mittelpunkt. Gerade hat sie einen wichtigen Teil des Parks, der für die Wanderung der Leoparden wichtig ist, zur kommerziellen Nutzung freigegeben: Straßen und Skilifts sollen dort gebaut werden.
Igor Tschestin, Direktor des WWF Russland ist alarmiert: "Die größte Gefahr geht von einer Ausweitung der Skiressorts aus. Es geht in erster Linie um die Gazprom- und Interros-Resorts, die über die Pläne verfügen, sich nicht nur weiter in Richtung Wildpark auszudehnen, sondern auch in Richtung Kaukasisches Naturschutzgebiet. Wenn diese Pläne realisiert werden, wird diese Gruppe, die von uns gerade frisch gebildet ist, isoliert sein, sich nicht mehr mit den Leoparden, die im östlichen Kaukasus leben, austauschen."
Gefahr für die Leoparden
Und das könnte dann irgendwann das Aus bedeuten. Doch die beiden Biologen geben nicht auf. Sie wollen kämpfen für diesen besonderen Schutz dieser einzigartigen Landschaft. So eine wilde, urwüchsige Natur und Artenvielfalt gibt es sonst nirgendwo in Europa.
Auch das gehört dazu: plötzlich zieht ein Unwetter auf. Sergej wird alleine weitergehen – zu Fuß – entlang der alten Wanderouten, in völlig unzugängliches Gelände. Die Hinweise mehren sich, dass einer der Leoparden da draußen sein Revier etabliert hat. Sergej will so viel wie möglich darüber herausfinden.
Alim lebt fast die meiste Zeit hier draußen in der freien Natur: "Wenn der Mensch dafür verantwortlich ist, dass diese herrlichen Raubkatzen hier ausgerottet wurden, dann müssen wir jetzt dafür sorgen, dass das Gleichgewicht wieder hergestellt wird. Das ist unserer Verantwortung. Der Leopard lebte hier ja früher. Er ist also eigentlich unentbehrlich, keine fremde Art. Er war Teil dieses Ökosystems, eine feste Komponente des unberührten Biotops. Der Leopard ist eine Art Indikator dafür, dass das System in Ordnung ist, dass hier alles richtig funktioniert, dass alle Glieder dieser Kette erhalten geblieben sind."
Alim ist zwar stolz, macht sich aber auch Sorgen um diese letzte bisschen Urwald am Rande von Europa: Sollte Russland den Schutz des Westkaukasus als Weltnaturerbe nicht gewährleisten, ist mit harten Gegenmaßnahmen der UNESCO zu rechnen.
Autorin: Birgit Virnich, ARD Moskau
Stand: 16.07.2019 04:33 Uhr
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