Mo., 13.11.17 | 04:50 Uhr
Das Erste
Spanien: Katalonien in der Blase?
Woche für Woche auf den Straßen Barcelonas unterwegs: die Befürworter einer Unabhängigkeit Kataloniens. Perfekt organisiert, immer friedlich, ein Ritual der Empörung. Unermüdlich ihr Ruf nach Freiheit, der von Europa ungehört verhallt. Was treibt diese Menschen an?
In der Universität von Barcelona, medizinische Abteilung, stoßen wir bei dem Psychologen Adolf Tobeña auf interessante Antworten. Über Jahre schon vereine diese Menschen eine gemeinsame Utopie, die eines freien Kataloniens. Das führe zu einem Zustand "kollektiver Verliebtheit", wie Tobeña in seinem Buch schreibt: "Ich rede von dieser Verliebtheit bei den Separatisten, weil sie alle ihre Hoffnung auf eine herrliche Aussicht am Horizont setzen. Sie sind überzeugt, dass sie die perfekte Republik erreichen können."
Separatisten in der Blase
Die Republik-Anhänger informierten sich meist nur über katalanische Medien, die eine Loslösung befürworten – so lebten sie in einer Blase: "Dahinter steckt eine enorme Intelligenz im publizistischen Bereich oder beim Marketing. Sehen Sie, die besten Zeichner, die besten Publizisten und die besten Journalisten in Katalonien sind alle Separatisten."
Der Regionalsender TV 3, ein Exempel für mediale Macht: er sendet in katalanischer Sprache, kontrolliert wird er vom Parlament in Barcelona. Kritiker werfen dem Sender einseitige Parteinahme für die Unabhängigkeit vor, etwa im Kinderprogramm. Über das illegale Referendum am 1. Oktober wurde so berichtet: Das Aufstellen der Urnen wird als heroische Tat gefeiert, ebenso die Stimmabgabe der Erwachsenen. Die katalanische Polizei sei nett zu den Menschen gewesen. Gewalttätig dagegen die spanischen Polizisten.
Mit solchen schlicht gestrickten Beiträgen hat Fernsehdirektor Vicent Sanchis kein Problem. Der bekennende Unabhängigkeitsbefürworter wurde erst diesen März an die Spitze des Senders berufen: "Wir bestreiten kategorisch, dass unser Sender nicht wahrheitsgemäß, neutral und ausgewogen berichtet. Das genaue Gegenteil ist der Fall. Und das garantieren bei uns zahlreiche Kontrollinstanzen."
Protest bei TVE in Madrid
Ortswechsel Madrid: Spaniens öffentlich-rechtlicher Sender TVE. Auch er agiert im Katalonien-Konflikt nicht immer glücklich. Der interne Redakteursausschuss hat die Berichterstattung über das umstrittene Referendum am 1. Oktober scharf kritisiert. Diese Bilder sorgten damals weltweit für Aufsehen – spanische Polizisten, die mit Schlagstöcken gegen Wähler vorgingen. In den Nachrichten von TVE sah man davon relativ wenig, dafür aber freundliche Polizisten, die einem Familienvater und seinem Kind weiterhelfen. Das war dann auch einigen Journalisten von TVE zu viel – spontaner Protest in den Redaktionsräumen gegen diese "Schande". Alejandro Caballero vom Redakteursausschuss bei TVE: "Es wurden am Tag des Referendums keine zusätzlichen Teams nach Barcelona geschickt. Es ging zu wie an einem ganz gewöhnlichen Sonntag. Deswegen war die Berichterstattung so schlecht. Der Grund dafür ist keine professionelle, sondern eine politische Entscheidung."
Madrid legalistisch – Barcelona propagandastisch
Die politischen Entscheidungen, die trifft Spaniens Ministerpräsident Rajoy. Er argumentiert in diesem Konflikt stets legalistisch, verweist auf Verfassung und oberste Gerichte. Doch Rajoy unterschätzt anscheinend die Macht der Bilder. Die beherrscht die Gegenseite in Katalonien umso mehr. In Barcelona werden bei Bedarf in Windeseile Demonstrationen von den Unabhängigkeitsbefürwortern organisiert – immer mit dem notwendigen Zubehör: Fahnen, Aufklebern, Spruchbändern. Beraten werden sie dabei auch von ausländischen Unternehmen. Die katalanische Regierung hat im August mit der amerikanischen Lobby-Firma SGR einen Beratervertrag abgeschlossen. Diese Firma ist in den USA selbst wegen ihrer Russland-Kontakte umstritten.
Für die Organisation der Massenproteste sind zwei Initiativen verantwortlich, die Katalanische Nationalversammlung und Omnium Cultural. Sie mobilisieren über die sozialen Netzwerke und verbreiten dramatische Videos. Dieses ist, nach Auffassung vieler Beobachter einem ukrainischen Video aus den Tagen der Majdan-Revolution nachempfunden: Mit tränenerstickter Stimme berichtet da eine Schauspielerin von der Unterdrückung durch Spanien. Ukrainische Verhältnisse in Katalonien, das soll wohl hier suggeriert werden.
Beliebte Märtyrer-Rolle
Den Psychologen Tobeña überraschen solche Videos nicht. Auf den Zustand kollektiver Verliebtheit folge nun die Frustration: "Sie spielen mit etwas, das in Katalonien Tradition hat: man gibt sich als Märtyrer, als Opfer, an die man sich noch lange erinnern wird. Damit wird hier gespielt – der Märtyrer-Rolle."
Und so werden die Massenproteste wohl weitergehen, denn im Katalonien-Konflikt geht es nicht zuletzt um die Macht der Bilder.
Autor: Stefan Schaaf, ARD Madrid
Stand: 31.07.2019 11:15 Uhr
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