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Südamerika: Ursachen für die Bürgerproteste

Südamerika: Ursachen für die Bürgerproteste | Bild: AP / dpa / Luis Hidalgo

Jetzt auch noch Chile: Bei Protesten in der Hauptstadt Santiago de Chile sind in der vergangenen Woche mehr als ein Dutzend Menschen gestorben. Ausnahmezustand in einem Land, das häufig als Musterknabe Südamerikas bezeichnet wurde. Aus Widerstand gegen eine Erhöhung der Ticketpreise im Nahverkehr entwickelte sich ein genereller Protest gegen soziale Ungleichheit. Die Eruption in Chile steht in einer Reihe mit anderen Protestbewegungen in Süd- und Mittelamerika. In Ecuador gingen die Menschen auf die Straße, in Peru, Honduras und natürlich Venezuela. Auch Argentinien, wo am Sonntag eine neue Regierung gewählt wird, steuert auf eine Staatspleite zu und der Unmut der Argentinier ist groß. Was ist los auf dem Kontinent?

Argentinien: Drohender Staatsbankrott

Wahlplakate an einer Wand
Die Linkspopulisten stehen vor der Machtübernahme – wieder mal. | Bild: NDR

Argentinien droht der Staatsbankrott. Die Folgen der Wirtschaftskrise treibt immer mehr Menschen in die Armut. Was das bedeutet, sieht man außerhalb des Zentrums von Buenos Aires – zum Beispiel im Slum "Villa 21", wo Dagna Alva lebt. Sie muss sich beeilen. Vor Dagnas Haus warten bereits Nachbarn auf Essen. Seit Kurzem verwandelt sich ihr Wohnzimmer jeden Mittag in eine Essensausgabe für Arme. Dagna und ihre Helferinnen machen das ehrenamtlich. Für immer mehr Argentinier, die es sich schlicht nicht mehr leisten können, im Supermarkt einzukaufen. "Eigentlich sollten die Eltern selbst für ihre Kinder kochen können. Doch das ist zu teuer geworden. Also packen wir seit ein paar Jahren mit an", erklärt Dagna Alva.

Dagna erzählt, dass viele Fabriken in der Peripherie von Buenos Aires schließen mussten. Sie waren mit einem Mal nicht mehr konkurrenzfähig, nachdem die wirtschaftsliberale Regierung Subventionen gestrichen hatte – für Strom, Wasser und Gas. Die Arbeitslosigkeit steigt – wieder einmal: 35,4 Prozent. Jeder Dritte lebt unterhalb der Armutsgrenze. Im Staatshaushalt klafft mal wieder ein gewaltiges Loch. Argentinien macht Schulden – beim Internationalen Währungsfonds, der einen Rekordkredit von 51 Milliarden Euro genehmigte. Doch selbst der konnte die Märkte nicht beruhigen.: Für 2019 wird eine Inflation von 55 Prozent erwartet. Auch deshalb sei die derzeitige liberale Wirtschaftspolitik gescheitert, sagt Fondmanager Diego Bragaño: "Die Menschen sehen, dass ihre Gehälter schrumpfen. Sie können sich damit immer weniger kaufen. Das wiederum schafft sozialen Frust, worauf wiederrum politische Unsicherheit folgt."

Das heißt konkret: Die Linkspopulisten stehen wieder mal kurz vor der Machtübernahme. Dass die es bislang ebenso wenig schafften, die Wirtschaft zu stabilisieren, ist Dagna von der Essensausgabe herzlich egal: "Die Linken denken wenigstens an uns Arme. Die Liberalen dagegen überhaupt nicht."
Die soziale Frage ist das Thema der Wahlen in Argentinien.

Ecuador: Gefangen in der Schuldenspirale

Demonstranten bauen Straßenbarrikaden aus Pflastersteinen.
Regierung und Opposition suchen in Ecuador einen Ausweg aus der Krise. | Bild: NDR

Ecuador ist gefangen in einer Schuldenspirale. Das hat tagelange Proteste ausgelöst. Die Hauptstadt Quito wurde völlig lahmgelegt. Auslöser war die Kürzung der Treibstoff-Subventionen. Dadurch verdoppelte sich der Preis für Diesel. Die Kürzungen waren Bedingung des größten Kreditgebers, des Internationalen Währungsfonds. Dieser hatte Ecuador 3,8 Milliarden Euro geliehen. Wegen der gestiegenen Diesel-Preise bangten vor allem ärmere Ecuadorianer um ihre Existenz. Ihre Wut entlud sich auf der Straße.Die Auflagen des Währungsfonds – das Spardiktat und die Privatisierungen – sorgen wieder mal für sozialen Zündstoff in Südamerika. Nach tagelangem Ausnahmezustand nahm Ecuadors Präsident die Kürzungen zurück. Jetzt suchen Regierung und Opposition nach einem Ausweg aus der Krise.

Chile: Soziale Marktwirtschaft?

Immer mehr Chilenen fordern eine soziale Marktwirtschaft. Gegen die Sozialproteste ging die Polizei anfangs rücksichtslos vor. Eine Woche lang wurde der Ausnahmezustand verhängt. Angie und Jaime demonstrieren, weil sich ihre Stromrechnung innerhalb weniger Monate verdoppelt hat. Weil alles immer teurer wird. "Dieser soziale Ausbruch wegen der steigenden Kosten hat sich verschärft, weil wir wissen, dass es einige Wenige gibt, die viele Privilegien genießen", erklärt Angie Giaverini. Am Abend wollen sie in ihrem Vorort friedlich demonstrieren. Mit Pfanne und Kochlöffel. Doch selbst dieser harmlose Nachbarschaftsprotest für mehr soziale Gerechtigkeit wird von der Polizei unterbunden. Andernorts schossen die Sicherheitskräfte sogar scharf. Es kam zu Toten.

Viele der Demonstranten verdienen gerade mal den Mindestlohn von 380 Euro im Monat. Gleichzeitig profitiert eine kleine Elite des Landes vom neoliberalen Wirtschaftsmodell Chiles. Sie züchten zum Beispiel Eukalyptus-Monokulturen – für die Verpackungsindustrie. Oder sie exportieren Avocados – auch nach Europa.
Schließlich zeigt der Protest von einer Million Chilenen Wirkung. Präsident Piñera macht Zugeständnisse und will Reformen angehen.  Aber erst ein Ende der krassen sozialen Ungleichheit wird die Länder in Südamerika langfristig befrieden können.

Autor: Matthias Ebert, ARD Rio de Janeiro

Stand: 27.10.2019 20:16 Uhr

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