So., 15.03.20 | 19:20 Uhr
Das Erste
Syrien: Neun Jahre Bürgerkrieg
Sie stehen zusammen, gewinnen zusammen – ein eingeschworenes, ein junges Team. Die Champions im Frauenfußball Syriens. Sie sind Stars weit über Syrien hinaus und ganz ohne Allüren. Im Januar haben die Frauen von Amuda den Meistertitel geholt – den ersten überhaupt. Die Frauenliga gibt es erst seit vergangenem August und den Club kaum länger. 2017 wurde er im Nordosten Syriens aus dem Nichts gegründet. Mit Disziplin und Siegeswillen haben sich die Kurdinnen an die Spitze gekämpft – ohne Halle, Hightech und Sponsoren. "Das Erfolgsgeheimnis ist ihre Liebe zum Sport. Und außerdem wollten wir allen zeigen, dass wir Frauen haben, die tollen Fußball spielen – trotz Krieg, Zerstörung und Flucht", sagt Ibrahim Ali, Trainer des Amuda SC.
Für die Spielerinnen ist Fußball weit mehr als die schönste Nebensache der Welt. Es geht auch um Respekt, Anerkennung und gleiche Rechte für Frauen in einer Machowelt. "Wir sind durch schwere Zeiten gegangen. Viele Mädchen können nicht spielen, weil die Gesellschaft es nicht erlaubt. Wir alle müssen diese Mauern einreißen", sagt Soline Gandhi Omar und Mitspielerin Hils Haji ergänzt: "Unser Teamgeist beflügelt uns. Deshalb haben wir gewonnen. Wir verstehen uns einfach sehr gut."
Solines Weg vom Club nach Hause führt entlang der Grenze zur Türkei. 40 Kilometer mit beklemmenden Erinnerungen. Im Oktober geriet ihr Dorf unter Beschuss. Der türkische Präsident Erdogan befahl eine Militäroffensive, besetzte einen Teil des Grenzgebiets. Die Autonomie der Kurden vor seiner Haustür ist ihm ein Gräuel. Für die 17-Jährige waren es Tage von Angst und Wut. "Wir mussten fliehen. Bomben schlugen in der Nähe des Dorfs ein. Unser Vater ist dann mit allen anderen Männern zurückgekehrt, um es zu verteidigen. Wir wollten es nicht kampflos aufgegeben."
Frauenfußball viele Jahre ein Tabu
Mutter Fahima wollte aus ihren beiden Töchtern starke Frauen formen, gerade auch in schweren Zeiten. Sie hat Soline und Lana auch zum Fußball hingeführt. Vor drei Jahren haben sie auf dem Bolzplatz des Dorfes zum ersten Mal gemeinsam gekickt. Der Beginn einer Leidenschaft, sehr zum Argwohn vieler Nachbarn. Zwar haben Frauen bei den Kurden mehr Rechte als anderswo – sie kämpfen an der Front, gehen in die Politik – aber Frauenfußball blieb viele Jahre ein Tabu. Fahima ließ sich davon nicht beirren, gründete ein Frauenteam im Dorf. Soline zog an allen vorbei. Die Rechtsaußenspielerin ist ein Ausnahmetalent. Zu Hause hatte sie den Freiraum, den sie brauchte, die Rückendeckung der Familie für ihren Weg, jenseits aller klassischen Klischees. "Über Jahrzehnte hatten wir als Frauen keine Rechte. Jetzt haben wir sie und sollten davon auch Gebrauch machen. Ich finde es klasse, dass meine Töchter Fußball spielen und Jobs machen, die sie mögen" , sagt Mutter Fahima.
Hils entdeckte ihre Leidenschaft zum Fußball schon mit sechs. Die Begeisterung bei ihren Eltern hielt sich Grenzen. Sie aber zog durch, gewann schon in der Schule reihenweise Medaillen, auch die Meisterschaft. Irgendwann waren auch die Eltern überzeugt. "Wir hatten Angst davor, dass sie sich die Knochen brechen könnte. Sie war ja schließlich noch ein Mädchen. Vor allem ihr Vater war zunächst dagegen. Später aber haben wir sie dann unterstützt", erinnert sich Amina Muhammed, Mutter von Hils. Einer hat ihren Weg zum Frauenfußball ohne alle Vorbehalte unterstützt, bis zuletzt: ihr Freund Diyar. In der Schlacht um Deir Essor im Osten Syriens kam er Ende 2017 ums Leben. So wie viele andere Kurden im Kampf gegen die Terrormiliz IS auch. "Er wurde vom Islamischen Staat gefangengenommen und umgebracht. Ich war lange tieftraurig. Aber ich bin auch stolz auf ihn. Er hat gegen Terroristen gekämpft", sagt Hils.
Neun Jahre Krieg, Terror, Leid
Neun Jahre Krieg, Terror, Leid hat sie zusammengeschweißt. Erst haben die Kurden Assad abgeschüttelt, dann gegen den IS gekämpft, zuletzt gegen die Türkei. Solidarität zählt viel für sie. Gerade auch gegenüber denen, die vor Erdogans Truppen fliehen mussten. Soline und Hils bringen den Kindern in einem Flüchtlingscamp bei Amuda Spielsachen und ein paar Fußbälle vorbei. Es sind Augenblicke des Glücks nach dem bitteren Verlust von Heimat. "Wir wollen den Kindern nur eine kleine Freude machen, ein wenig Hilfe anbieten. Wir als Spielerinnen, so wie alle anderen es ja auch machen", sagt Soline.
Ihrem Land den Rücken zu kehren, das kam für Soline und ihre Schwester nie in Frage. Obwohl sie die Chance dazu hatten. Ihr Vater arbeitete in Dubai, hätte sie dorthin holen können. Sie aber wollten bleiben. Trotz allem. "Seit neun Jahren läuft dieser Krieg jetzt schon. Hoffentlich geht er bald zuende. Erst dann können wir uns hier auch etwas aufbauen", sagt Soline. "Die Situation für Mädchen hat sich in unserer Region total verändert. Familien hätten früher niemals ihre Töchter Fußball spielen lassen. Aber jetzt machen immer mehr mit. Sie sind stolz, Fußball zu spielen. Es ist eine Zeitenwende.“
Eine Zeitenwende für Frauen in einer Welt, in der sie lange Jahre nichts zu sagen hatten.
Autor: Daniel Hechler, ARD Kairo
Stand: 15.03.2020 20:22 Uhr
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