Mo., 18.04.16 | 04:50 Uhr
Das Erste
USA: Sehnsucht nach dem starken Mann – Bürgerwehren im Vorwahlkampf
Sie sind weiß, freiheitsliebend und waffenverrückt. Manche gelten aber auch als rechtsradikale und rassistische Anhänger von Verschwörungstheorien. Mitglieder der Bürgerwehren, die es überall in Amerika gibt, vertrauen nur ihresgleichen. Das politische Establishment verachten sie.
"Ich möchte tun und lassen dürfen, was ich will"
Der Stadtrand von Detroit ist keine besonders gute Adresse. Chris Nehr ist auf Haussuche und hat seinen Revolver dabei. Mit Waffe fühlt sich der 29-Jährige sicherer. Chris ist Mitglied einer Bürgerwehr – der Southeast Michigan Miliz.
Zum Spottpreis von 6.000 Dollar ist ein Haus zu haben. Das könnte sich der Lebensmittelverkäufer leisten – und bei seinen Eltern ausziehen. "Nein, ich hätte kein Problem, hier für eine Weile zu wohnen. Auch wenn es nicht gerade meine Traumgegend ist. Aber eigentlich suche ich ein größeres Grundstück, wo ich ungestört rumballern kann", erzählt er.
Wo andere in der Wirtschaftskrise aufgeben mussten, will Chris endlich frei sein. Der Staat soll seine Bürger am besten in Ruhe lassen, findet er: "Ich möchte tun und lassen dürfen, was ich will, solange ich niemandem schade. Das ist es doch, was den amerikanischen Traum ausmacht!"
"Wir fürchten nichts und niemanden!"
Chris nimmt uns mit zu einem Treffen seiner Kameraden. Die Miliz besteht fast ausschließlich aus weißen Männern. Weil sie immer wieder als rassistisch und rechtsradikal verdächtigt werden, waren sie lange medienscheu. Sie dulden unsere Kamera. "Wir fürchten nichts und niemanden!", lautet ihr fast religiös anmutendes Treuegelöbnis. "Wir kämpfen nicht gegen die Regierung, sondern für unser Land!" Das Recht auf Waffenbesitz wollen die Männer mit aller Macht verteidigen.
Es ist Wahlkampf und aus Washington erwarten sie nichts Gutes: "Diese Elite besteht doch aus lauter Klugscheißern", schimpft einer. "Und die bilden sich ein, für uns zu sprechen!" Dann ergreift Lee Miracle das Wort. Der alleinerziehende Vater ist schon lange dabei und das Alphatier der Truppe. Er mahnt seine Männer, keinem Kandidaten die Stimme zu geben, der gegen Milizen ist oder wie Hillary Clinton Waffengesetze verschärfen will. Es ist kein Geheimnis, viele von ihnen wünschen Präsident Barack Obama zur Hölle. Aber ob erzkonservativ oder libertär, über ihre Gesinnung schweigen sie lieber. Wir spüren das großes Misstrauen.
Bei Aprilwetter durch das Unterholz
Als wollten sie ganz allein eine Armee in die Flucht schlagen, kommen die Milizionäre am nächsten Tag zur Wehrübung in den Wald. Lee und Chris sind in ihrer Kampfmontur kaum wiederzuerennen. Viele Mitglieder waren lange Soldaten. Auch als Freischärler fühlen sie sich wie Verteidiger uramerikanischer Bürgerrechte. Selbst die stärkste Nation brauche Milizen: "Verbrechen, Desaster und Terrorismus passieren nun einmal. Das sind ja keine eingebildeten Bedrohungen. Auch Rom und das britische Empire hatten das stärkste Militär der Welt. Untergegangen sind sie trotzdem. Wir sind ja nicht gegen unsere Soldaten, sondern unterstützen sie. Viele von uns sind Veteranen“, erklärt Lee Miracle.
Die Leidenschaft für Schnellfeuerwaffen verbindet sie – ob Arbeiter, Motorradfreak oder Akademiker. Doch sie wollen als Freiheitsliebende gesehen werden, nicht als schießwütige Spinner: "Mich hat die Webseite der Michigan Miliz schon mit 14 fasziniert. Und natürlich trage ich eine Waffe, ich kann ja schlecht einen Polizisten mit mir rumschleppen", sagt Chris Nehr.
Und so schleichen sie durchs Unterholz und trotzen dem launischen Aprilwetter – die Gewehre schussbereit, die Nerven angespannt. Irgendwo da draußen lauert der Feind. Mit monatlichen Manövern wappnen sie sich gegen eine Terrorattacke oder den Einmarsch fremder Truppen. Einer rechnet sogar mit einer Invasion anti-amerikanischer UN-Blauhelme. Plötzlich gibt es Alarm. Sie stellen einen Hinterhalt nach. Doch im Wald dürfen die stolzen Männer der Miliz nur "Peng, Peng" rufen. Scharf schießen ist zum Schutz der Spaziergänger verboten.
"Wir hoffen auf Trump"
Am Lagerfeuer geht es dann noch um Politik. Und einer traut sich offen auszusprechen, was viele denken: "Amerika wird erst wieder auf die Beine kommen, wenn wir wieder einen richtigen Präsidenten haben, einen echten Anführer!", meint Fritz, der aus Holland eingewandert ist. "Der muss die richtigen Gesetze machen und die falschen abschaffen. Wir hoffen auf Trump – aus meiner Sicht die einzige Wahl!"
"Dieser Vorwahlzirkus ist doch irre. Ich sehe im linken wie rechten Lager nur Politiker, die gar nicht wollen, dass wir frei wählen. Der Sozialist Sanders und der Milliardär Trump stehen doch letztlich beide für dasselbe autoritäre Regierungssystem", ergänzt Chris Nehr.
Misstrauen gegen Amerikas sogenannte politische Klasse
Abgrundtiefes Misstrauen gegen Amerikas sogenannte politische Klasse ist der ideale Boden für Verschwörungstheorien. Das Nationalbanner weht auch über der Sozialbausiedlung, in der Lee Miracle wohnt. Der ehemalige Postbeamte lädt uns zu sich nach Hause ein. Er jobbt als Nachtwächter im Altersheim. Der alleinerziehende Vater hat vier Teenager zu versorgen.
Konservative Werte vermittelt Lee seinen Kindern, die in der Verfassung verbrieften Bürgerrechte müssten verteidigt werden. Die Wahl eines Nachfolgers für Obama fällt ihm schwer: "Wenn ich vor der Wahl Clinton oder Trump stünde, bräuchte ich erstmal einen starken Whiskey. Aber dann würde ich für Trump stimmen. Statt Clinton dann doch lieber Trump!"
Schießen als Familientradition
Lee hat seinen Töchtern das Schießen beigebracht – bevor sie Fahrrad fahren konnten. Das ist Familientradition. Ein Leben ohne Gewehre und Pistolen? Undenkbar! "Großmütter wären dann wehrlos, Kinder ohne Schutz. Waffen sorgen dafür, dass alles zivilisiert bleibt! Ohne Waffen würden die Starken die Schwachen brutal unterdrücken. Das wäre keine Zivilisation, das wäre die Hölle!“
Mit ihren Waffen sollen auch seine Kinder eines Tages in der Bürgerwehr und mitkämpfen gegen all das Böse – gleichgültig, ob die größte Bedrohung am Ende aus Washington kommt oder von irgendwo aus der beängstigenden Welt.
Autor: Stefan Neimann, ARD-Studio Washington
Stand: 11.07.2019 15:01 Uhr
Kommentare