So., 03.05.20 | 19:20 Uhr
Das Erste
USA: Wundermittel Remdesivir?
Um das Ebola-Medikament Remdesivir ist in den vergangenen Tagen ein internationaler Streit unter Fachleuten entbrannt. Nach ersten positiven Tests in den USA kamen chinesische Forscher zu einem anderen Ergebnis: Remdesivir kann Patienten, die durch das Corona-Virus an Covid-19 erkrankt sind, nicht helfen. Für den US-amerikanischen Hersteller war diese Untersuchung ein Rückschlag, denn das Unternehmen hatte schon auf einen gewaltigen finanziellen Erfolg mit seinem Wirkstoff gehofft.
Inzwischen haben US-Forscher festgestellt, dass die Dauer der Erkrankung durch Remdesivir sehr wohl verkürzt werden kann – um bis zu 30 Prozent. Ob durch das Medikament weniger Menschen an Covid-19 sterben, ist indes nicht sicher. Allen ist klar, dass Remdesivir kein Wirkstoff gegen das Coronavirus ist, ein Impfstoff ist weiterhin noch nicht entwickelt worden. Aber der Krankheitsverlauf kann möglicherweise verbessert werden. Und deshalb ist mit dem Ebola-Medikament möglicherweise auch ein großes Geschäft zu machen.
Remdesivir – ein gegen Ebola gescheitertes Medikament
Raymond Sismaet hat kann wieder Ukulele spielen, er hat überlebt. Der Familienvater und Ex-Marine aus Seattle hat sich Anfang März infiziert, er war einer der ersten US-amerikanischen Covid-19-Patienten. Trotz seiner Fitness wurde seine Lungenentzündung so schlimm, dass er beatmet werden musste, um zu überleben. "Als ich im Krankenhaus war, dachte ich, das ist surreal, ich gehöre hier nicht hin, was soll das? Aber es war wohl schlimmer als ich dachte", erinnert sich Raymond. 18 Tage er beatmet, am Ende setzte seine Ärztin auf das Medikament Remdesivir. Innerhalb von fünf Tagen ging es ihm besser: "Ich war nahe dran, es nicht zu schaffen. Ich bin froh, dass diese Notfallbehandlung für mich eine Option war."
Der US-Pharma-Konzern Gilead hat sein einst gegen Ebola gescheitertes Medikament Remdesivir neu geprüft. Bei Covid-19 verkürzt es den Krankheitsverlauf. Das geht aus einer wissenschaftlichen Regierungsstudie hervor, bei der die Hälfte der Patienten Remdesivir bekamen und die anderen Injektionen ohne Wirkstoff. Anthony Fauci, Corona-Berater des Präsidenten, sieht das Medikament als Hoffnungsträger: "Die Daten zeigen, dass Remdesivir einen eindeutigen positiven Einfluss auf die Krankheitsdauer hat."
"Forschen und behandeln gleichzeitig"
An der Universitätsklinik Stony Brook in New York forscht die aus Deutschland stammende Infektiologin Bettina Fries schon seit Beginn der Krise mit Hochdruck an unterschiedlichsten Medikamenten gegen Covid-19. Auch Remdesivir hat sie in der Behandlung eingesetzt: "Wir müssen während dieser Pandemie klinische Studien machen, weil wir herausfinden müssen, wie man diese Patienten behandelt. Forschen und behandeln gleichzeitig ist für alle Ärzte eine Herausforderung."
Wissenschaftler hoffen, dass die Regierungsstudie stimmt und Remdesivir das Virus an der Vermehrung hindert. Dennoch werden die Ergebnisse mit Vorsicht aufgenommen. "Wenn ein Medikament überwältigend ist, wird die Studie sofort abgesetzt und alle bekommen das Medikament. Und das ist nicht passiert Das ist hier nicht der Fall. Wichtig ist es zu sehen, wer von diesem Medikament einen Vorteil hatte und man muss immer warten, bis die letztendlich Daten da sind", so Dr. Bettina Fries.
In Tacoma, an der Westküste der USA, bekamen in einer Studie des Herstellers Gilead alle erkrankten Patienten Remdesivir. Obwohl drei von ihnen starben, ist der zuständige Arzt optimistisch: "Immerhin können wir sagen, wir haben jetzt ein Instrument, mit dem wir arbeiten können – besonders wenn es früh eingesetzt wird. Bis jetzt haben wir 53 schwerkranke Patienten behandelt, 34 sind schon entlassen. Ein paar sind noch dazugekommen und noch im Haus", sagt Dr. Vinay Malhotra.
Remdesivir gegen Covid-19: Warnung vor zu großer Euphorie
Das New Yorker Montefiori Krankenhaus hat an der Studie des Nationalen Instituts für Allergie- und Infektionskrankheiten mitgeforscht und die ersten belastbaren Ergebnisse für die Behandlung mit Remdesivir erbracht: 91 Patienten haben teilgenommen, niemand litt unter Nebenwirkungen. "Bei dem schweren Grad der Erkrankung unseren Patienten, sind wir eigentlich ganz zufrieden, sofern man mit 16 Toten zufrieden sein kann. Patienten mit einer so schweren Krankheit haben sonst eine Sterblichkeit von 20 bis 30 Prozent. Und viele unsere Patienten waren sehr, sehr schwer erkrankt", erklärt Dr. Barry Zingman.
Alle Forscher warnen vor zu großer Euphorie, auch wenn Remdesivir jetzt schon eine Notfallzulassung der US-Arzneimittelbehörde FDA hat. "Jetzt will jeder Remdesivir haben und ich nehme an, dass Gilead versucht die Produktion zu intensivieren. Alles was diese Erkrankung mildert hat auf jeden Fall einen positiven Einfluss", sagt Dr. Bettina Fries.
Damit auch in Zukunft genug von diesem und künftigen Medikamenten und Impfstoffen für alle sein wird, appellieren die Vereinten Nationen an Regierungen und Unternehmen: "Dies ist ein Moment (...) in dem wir wirklich verstehen müssen, dass wir es hier mit einem Gut zu tun haben, das für die gesamte Menschheit von Relevanz ist und daher auch die Bedeutung eines einzelnen Unternehmens in der Form wachsen oder schrumpfen wird, wie es hier eine Rolle im positiven Sinne spielen kann", so Achim Steiner, Unterstaatssekretär für Entwicklung bei der UN.
Raimond hatte Glück , dass seine Ärztin Zugang zu Remdesivir hatte, auch wenn er nicht genau weiß, ob er deshalb überlebt hat. Aber jeder Tag, sagt er, sei ein Geschenk.
Autorin: Christiane Meier, ARD-Studio New York
Stand: 04.05.2020 17:04 Uhr
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