So., 01.11.20 | 19:20 Uhr
Das Erste
USA: Evangelikale ringen um Einfluss
Eine riesige Anlage im ländlichen Georgia: die Rock Springs Kirche, eine sogenannte Megachurch. Trotz Corona finden an Sonntagen gleich mehrere Gottesdienste statt. Schutzmasken, Abstandsregeln – Fehlanzeige. Die evangelikale Gemeinde gibt sich ganz in die Hände von Gott und Pastor. Benny Tate hat bereits im Kongress gebetet. Er ist Beichtvater eines republikanischen Senators. Sein Einfluss reicht weit über diese Kirchengemeinde hinaus: "Ohne die Stimmen der Evangelikalen kann niemand gewählt werden. Jemand sagte, die Mehrheit entscheidet Wahlen. Das stimmt nicht. Die Mehrheit, die wählt, entscheidet. Deshalb ist es zwingend erforderlich, dass Christen wählen."
Konservative Werte zählen mehr als Trumps Charakter
Bei der letzten Wahl haben an die 80 Prozent der Evangelikalen für Trump gestimmt, knapp 20 Prozent aller Wahlberechtigten. Sie wissen, dass der Präsident nicht der perfekte Christ ist. Aber konservative Werte zählen mehr als Trumps Charakter: "Mir geht es um Freiheit. Die Freiheit, eine Religion auszuüben. Die Freiheit, Maske zu tragen oder nicht. Die Freiheit im Herzen. Darum geht es bei Trump", sagt Gemeindemitglied Billy Nichols. Und Malesa Thompson ergänzt: "Auf einer Rallye sagte Trump, er sei ziemlich beliebt, nur eine Person sei wichtiger, und zwar Jesus Christus."
Trump hofiert die Evangelikalen. Aus ihrer Sicht hat er geliefert: Der Präsident hat junge konservative Richter auf Lebenszeit ernannt, vor allem am Obersten Gericht. Dort gibt es jetzt eine deutliche konservative Mehrheit. Diese Richter könnten auch noch lange nach Trump strittige Fragen wie das Recht auf Abtreibung im Sinne der Evangelikalen entscheiden. Sie danken es ihm mit ihrer Stimme und beten für ihn.
Ralph Reed gilt als einflussreicher Lobbyist der Evangelikalen. Er ist einer der konservativen Christen, die gezielt versuchen, Einfluss auf die Trump-Regierung zu nehmen. Er hatte sich auch für den umstrittenen Brett Kavanaugh als neuen Richter am Obersten Gerichtshof eingesetzt. Trump persönlich bedankte sich dafür. Reed ist überzeugt, dass die neuen Richter eine große Rolle für die christliche Wählerschaft spielen.: "Das ist wirklich sehr wichtig für uns. Wir wollen eine zweite Amtszeit für Donald Trump. Er ist der Präsident in Amerikas Geschichte, der am stärksten für das ungeborene Leben ist. Und er hat sein Wort gehalten, als er freie Richterstellen besetzte."
Trumps Ernennung von Amy Coney Barrett, so kurz vor der Wahl, ist ein direktes Signal an die christliche Wählerschaft. "Es hat viele gläubige Wähler daran erinnert, warum sie Donald Trump als Präsidenten wollen. Auch wenn wir nicht alles mögen, was er sagt oder tweetet, so eine Entscheidung ist wichtiger", sagt Reed.
Lobbyisten der Evangelikalen erfolgreiche Strategen
Historiker Daniel Williams von der University of West Georgia sieht in Lobbyisten wie Reed sehr erfolgreiche Strategen, die die Republikanische Partei konservativer gemacht haben – durch einen langen Atem: "Ralph Reed hat richtig erkannt, dass die christliche Rechte Washington D.C. nur verändern kann, wenn sie auf lokaler Ebene beginnt. In wenigen Jahren konnten mit seiner Hilfe Evangelikale eine stattliche Anzahl republikanischer Wahlkreise übernehmen. Daraus speisen sich dann auch die Kandidaten für den Kongress. Und die sind seitdem nach rechts gerückt. Bei sozialen Themen sind sie zum Beispiel besonders konservativ."
Trump sei nicht perfekt. Das räumen viele Evangelikale ein, aber Gott könne auch nicht-perfekte Menschen nutzen. Trump als Mittel zum Zweck. Nicht weniger, aber vielleicht auch nicht mehr. “Kandidaten kommen und gehen, Anführer auch, aber Werte, Prinzipien, ein politisches Programm, Prinzipien, die für alle Ewigkeit gelten, bleiben bestehen“, sagt Reed.
Auch in der Rock Springs Church ist es vielen wichtiger, dass Trump sich mit ergebenen Christen umgibt, als dass er selbst unfehlbar ist. Was aber falls er verlieren sollte? “Jeder hat eigene politische Überzeugungen. Aber am Ende sitzt Jesus auf dem Thron. Wir vertrauen darauf, dass Gott die gewählte Person als Werkzeug nutzen wird, um zu erreichen, was getan werden muss“, sagt ein junges Paar vor der Kirche.
Gott und dem Glauben ergeben. In den USA spielt Religion eine sehr große Rolle, im Alltag, aber vor allem auch im Kampf um Wählerstimmen.
Autorin: Claudia Buckenmaier
Stand: 01.11.2020 20:30 Uhr
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