So., 01.11.20 | 19:20 Uhr
Das Erste
USA: New Yorks Reiche und die Krise
New York ist eine Metropole der Superlative, bei der man an glitzernde Hochhäuser oder etwa den Broadway denkt. Aber New York ist auch eine enorm ungleiche Metropole – diese Ungleichheit entscheidet jetzt mit über Leben und Tod: In den Vierteln, die ohnehin schon ärmer waren, sterben jetzt mehr Menschen an Corona. Sie bekommen auch die wirtschaftlichen Folgen heftiger zu spüren als die Menschen in den reichen Vierteln, in denen deutlich mehr Weiße leben. Wie ergeht es denen, die ganz oben stehen, merken sie überhaupt was von der Pandemie?
Lockdown: Reiche verlassen New York
Das Meer haben sie gleich vor der Haustür: Die Familie Bickley in den Hamptons, dem Strandort der Superreichen, zwei Autostunden von ihrer Stadtwohnung in New York entfernt. Hier verbringt die Familie den Lockdown. Vater Ian ist in der Modebranche zum Multimillionär geworden. Heute sitzt er in verschiedenen Aufsichtsräten: "Erfolg ist für mich eine Kombination aus harter Arbeit und Glück. Davon bin ich überzeugt."
Seine Töchter, Sophie (28) und Charlotte (26) sind Mode-Influencerinnen, Mutter Kim ihre Managerin. Sie verdienen ihr Geld mit Werbefotos. Die Pandemie bedeutet für sie, dass sie noch gefragter sind: “Den Leuten zu Hause ist zurzeit langweilig, viele kaufen online ein – und sie sind den ganzen Tag auf Instagram, weil es sonst nichts zu tun gibt“, erzählt Sophie Bickley.
Die Familie muss auch jetzt auf nichts verzichten. Die Hamptons sind ein sicherer Rückzugsort für die Familie, während zeitgleich in New York das Virus wütet. Auf dem Gipfel der Krise sterben in der Stadt sieben Mal so viele Menschen wie in den Hamptons.
Die Mexikanerin Alicia wäre aus Vorsicht lieber zu Hause geblieben. Die Familie Bickley hat sie heute zum Nägel machen engagiert, ihre ersten Hausbesuche seit Beginn der Pandemie. "Ich habe vier Kinder – vor allem um sie habe ich Angst. Ich brauche Geld. Mein Mann und ich sind zwei Monate zu Hause geblieben, jetzt fangen wir wieder an zu arbeiten“, erzählt Alicia.
Umgang mit Reichtum spaltet Bickleys
Sophie und Charlotte zeigen auch jetzt alle Details ihres Lebens online. Ihrem Vater ist das immer wieder unangenehm. Der Umgang mit dem eigenen Reichtum, gerade jetzt, spaltet die Familie. "Ich bin oft empfindlich, was die Mädchen auf Instagram machen. Und frage mich, warum?“, sagt Ian Bickley. "Warum machen sie das? Aber das ist nur meine Meinung. Es ist ihre Marke und sie sollen mit ihrem Instagram machen was sie wollen. Ich kontrolliere das nicht. Ich sage nur – es ist nicht das, was ich von meinem Lebensstil auf Instagram teilen würde."
Der Familienstreit bleibt erstmal ungelöst. Ian zeigt seine sieben Millionen teure Stadtwohnung an der noblen Upper East Side in Manhattan. Sie steht leer, wie so viele andere Wohnungen in den reichen Vierteln. Ihn stimmt nachdenklich, dass viele in der Stadt gleichzeitig nicht mehr wissen, wie sie ihre Miete zahlen sollen: "Schaut mich an, schaut meine Familie an, welche Art von Leben wir führen können. Uns haben die Folgen der Pandemie kaum berührt, vor allem aus finanzieller Sicht. Wir können uns es schlicht leisten, dem Ganzen zu entfliehen. Viele andere können das nicht."
Dieses Bewusstsein wünscht er sich auch für seine Töchter. Die werden für eines der wenigen Live-Events der Fashion Week gestylt. In diesem Jahr läuft fast alles online. "Am meisten Spaß macht das Aufhübschen. Normalerweise trage ich ja kein Make up", sagt Sophie Bickley. Und Charlotte ergänzt: "Ich finde es wichtig, sich trotz der Pandemie bei der Fashion Week zu zeigen. Ich bin fest entschlossen mein Leben zu leben. Ich höre nicht auf wegen Corona."
Ian hält sich von der Fashion Week fern. Er fährt die Hunde im Central Park spazieren.: "Ich möchte, dass die beiden die richtige Sicht auf die Dinge haben. Verstehen sie wirklich, welche Privilegien sie haben und könnten sie nicht mehr daraus machen?"
Coronavirus wirkt wie ein Verstärker der Ungleichheit
Die Töchter beschäftigen sich bislang lieber mit ihrer Welt – Glitzer und Glamour. Und doch – die ungleichen Auswirkungen der Pandemie wirken bei ihnen nach. Einige Wochen später: Die Familie Bickley trifft sich zu Hause in Manhattan zum Dinner. Vater Ian freut sich über neue Ideen seiner Tochter. "Ich möchte jetzt gerne Kindern Nachhilfe geben, die keine Laptops haben oder keine Eltern, die ihnen helfen können. Ich will mehr tun", sagt Sophie.
Die US-Präsidentschaftswahl steht vor der Tür. Die Familie hofft auf Biden – auch wenn das für sie höhere Steuern bedeuten könnte. "Die Schere zwischen Arm und Reich, und sogar der Abstand zur Mittelklasse ist so viel größer geworden, und die Leute leiden. Daran muss der nächste Präsident unbedingt arbeiten", sagt Mutter Kim Bickley.
Das Coronavirus wirkt wie ein Verstärker der Ungleichheit, an der New York schon lange krankt. Wie sich die Pandemie anfühlt, wie gefährlich sie ist – das bestimmt hier vor allem der Geldbeutel.
Autorinnen: Stefanie Dodt / Christiane Meier
Stand: 01.11.2020 21:33 Uhr
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