So., 01.11.20 | 19:20 Uhr
Das Erste
USA: Abgehängt vom Gesundheitssystem
Seine Berufung hat der katholisch-orthodoxe Father Paul erst spät im Leben entdeckt: Nach einem Studienabschluss für Internationale Beziehungen und Theologie geht es dem Irak-Veteranen jetzt nur noch um die Armen und ihrer Gesundheit: "Wir müssen uns um die Seele kümmern, aber natürlich auch den Körper. Wir können beide nicht vernachlässigen. Die Menschen sind bedürftig und wir müssen helfen."
Mit seinem Trauma-Bus fahren er und seine Mitarbeiter häufig zu den Armenstadtteilen von Pittsburgh, wo vor allem Schwarze leben. "Das Leben von Afroamerikanern in dieser Stadt ist schlimmer als in den meisten anderen Städten der Vereinigten Staaten. Wir müssen zu den Leuten hingehen. Statt zu erwarten, dass sie zu Institutionen gehen, die nichts mit ihnen zu tun haben."
Suche nach Freiwilligen für Corona-Impftests
Father Paul und sein Team helfen dabei, Freiwillige für Corona- Impftests anzuwerben. Seine Mitarbeiterin Miss Carla ist schon seit Wochen dabei. Sie weiß, dass die Impfforscher die Schwarzen brauchen und umgekehrt: "Eine Menge Medikamente werden nicht auf der Grundlage von allen gemacht, sondern von denen, die bei Tests mitmachen. Ich will, dass unsere Afroamerikaner und Menschen mit dunkler Hautfarbe einen Platz am Tisch haben. Damit wir wissen, es funktioniert für alle. Wir fragen Leute, ob sie sich bei der Universität von Pittsburgh registrieren lassen um Impfstoffe für Covid-19 zu testen."
"Ich nehme gerne die Information, aber ich schreibe mich nicht ein. Ich lasse mich nicht impfen. Ich arbeite an vorderster Front. Ich warte lieber ein paar Jahre und sehe mir an, wie es bei anderen wirkt. Ich bin kein Versuchskaninchen", sagt Feuerwehrmann Patrick Wolf. Die Skepsis gegenüber der Regierung geht auf unethische medizinische Experimente zurück, sagt Miss Carla. Vor allem das Tuskegee Projekt, eine 40 Jahre lange Regierungs-Studie, die 1970 endete, wirkt nach. Hunderte schwarzerTeilnehmer hatten Syphilis und wurden vorsätzlich nicht behandelt, obwohl Penicillin damals schon erfunden war. "Sie wollten damals wissen, wie die Krankheit sich auswirkt. Die Leute schauen zurück und sehen dass es die Regierung war, die ihnen das angetan hat. Deshalb vertrauen Menschen mit dunkler Haut der Regierung bis heute nicht. Wegen der Dinge, die sie in der Vergangenheit getan haben", erklärt Carla Arnold.
Pittsburgh in West-Pennsylvania war einst eine reiche Industrie-Stadt. Heute bringen Dienstleistungen, medizinische Forschung und fünf Universitäten neuen Wohlstand. Geforscht wird hier auch an Impfstoffen gegen Corona. Für ihre Test braucht die Universität auch Schwarze Probanden, die sich die neuen Impfstoffe injizieren lassen und setzt auf Vertrauenspersonen wie Father Paul und Miss Carla: "Für jede Forschung ist Diversität bei den Untersuchungsdaten entscheidend. Wir wissen aus vielen, vielen Fehlern der Vergangenheit , dass wir ohne Vielfalt – sei es wie Männer und Frauen, Schwarz und Weiß, amerikanisch und Latino – Fehler machen und entscheidende Details übersehen können", sagt Mylanda Massart von der University of Pittsburgh Medical School.
Hoffen auf besseren Zugang und Bezahlbarkeit der medizinischen Versorgung
Carla sieht das genauso. Sie gehört zu einer Testgruppe für die Covid-Impfungen und hat selbst bereits zwei Injektionen erhalten. Das erhöht die Glaubwürdigkeit. Und bei den Jungen ist es sowieso einfacher. Auch Father Paul setzt sein Vertrauen in die Wissenschaft – aber er hofft auch auf die Politik: "Wir brauchen bessere Chancen, besseren Zugang zu medizinischer Versorgung. Wir brauchen eine bessere Verteilung von Wohlstand. Bevor wir das nicht haben, wird es in diesen Gemeinden kein Vertrauen in die US-Regierung geben."
Im Hill Viertel sieht man ausschließlich Biden Poster, nur von ihm erwarten sie die Auseinandersetzung mit dem strukturellen Rassismus und der Ungleichheit auch im Gesundheitswesen.
Weil in der schwarzen Community viele gar nicht oder nur unzureichend versichert sind, hat Father Paul eine kleine Praxis mit einem Team von freiwilligen unbezahlten Ärztinnen aufgebaut. Auch Odette Bailey hat keine Krankversicherung, sie verdient einfach zu wenig. Hier wird sie mit Respekt behandelt und fühlt sich wohl. "Sie sind so warm und freundlich hier. Wenn man hierher kommt , ist man ja krank, aber dann fühlt man sich gleich wohler." Ihre Ärztin konnte sie sogar für eine OP an eines der besten Krankenhäuser überweisen: Bezahlen muss Odette gar nichts, alle Ärztinnen behandeln kostenlos.
Aus der Not ist auf dem Hill eine Gemeinschaft entstanden. Ein Ersatz für angemessene Versorgung ist das nicht: "Wir brauchen besseren Zugang und Bezahlbarkeit der medizinischen Versorgung, keine Frage. In diesen Tagen herrscht große Anspannung und Verunsicherung in Amerika. Die Menschen setzen große Hoffnungen und Träume in diese Wahl", sagt Father Paul. Hier auf dem Hill, ruhen womöglich noch größere Hoffnungen auf der kleinen Organisation von Father Paul. Denn die wird auch nach der Wahl noch für alle da sein.
Autorin: Christiane Meier
Stand: 01.11.2020 20:23 Uhr
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