So., 29.11.20 | 19:20 Uhr
Das Erste
USA: Georgia – Der Wahlkampf geht weiter
Die Nachzählung der Ergebnisse zur Präsidentenwahl könnte sich noch Wochen hinziehen, weil jeder Wahlzettel auf Antrag der Republikanischen Partei per Hand überprüft werden wird. Noch-Präsident Donald Trump verbreitet weiter Vorwürfe der Wahlfälschung, obwohl es bisher keine Belege dafür gibt. In Georgia geht der Wahlkampf derweil weiter. Am 5. Januar sollen in einer Stichwahl die beiden SenatorInnen-Posten vergeben werden, die der Bundesstaat in der zweiten Kammer des Kongresses besetzen wird. Im ersten Wahlgang, der gemeinsam mit der Präsidentenwahl stattfand, konnte niemand aus dem KandidatInnenkreis die notwendige Mehrheit erreichen. Erstmals seit 1992 hatten die Demokraten bei der Präsidentenwahl in Georgia die Mehrheit der Stimmen erreicht. Die beiden SenatorInnen-Sitze des Bundesstaates sind wichtig: Wenn die Demokraten diese am Ende für sich gewinnen, herrscht im US-Senat zumindest ein Patt, das die Arbeit des neuen US-Präsidenten einfacher machen würde. Sollten die Republikaner gewinnen, könnten sie viele Projekt von Joe Biden blockieren.
"Ich muss hier drinnen Energie spüren", ruft Kajara Anderson denen zu, die an Hunderttausende Türen klopfen sollen. "Wir haben den Staat gedreht, jetzt kommt der Senat." Alle Augen richten sich auf Georgia. Ihr Heimatstaat war noch nie einer dieser Staaten, in dem mal demokratisch, mal republikanisch gewählt wurde. Das hat sich bei dieser Präsidentschaftswahl geändert. Kajara will, dass sich der knappe Erfolg bei der Senatswahl wiederholt: "Es ist doch interessant. Dieser kleine Staat, auf der Landkarte umringt von republikanischem Rot, ist jetzt demokratisch. Wir spüren die Veränderung. Ich predige meinen Leuten immer wieder, wenn ihr etwas wollt, dann könnt ihr es Euch holen. Ihr müsst die Gelegenheit ergreifen", sagt Anderson.
Die Helfer werden eingeschworen: Die richtige Kleidung, Schutz vor Corona, Freundlichkeit. Sie bekommen 15 Dollar die Stunde. Aber das Geld sei nicht leicht verdient, das ist Kajara wichtig. Sie weiß, die Demokraten brauchen wieder eine hohe Wahlbeteiligung: "Das ist eine sehr wichtige Arbeit."
Atlanta: Großes Wählerpotenzial für Demokraten
Atlanta verändert sich. Die Stadt wächst. Sie wird jünger, vielfältiger. Hier gibt es ein großes Wählerpotenzial für die Demokraten und ein Dorn im Auge der konservativen Regionen auf dem Land. In Atlanta sind mehr als 50 Prozent der Bevölkerung schwarz. Ihre Stimmen sind wichtig, aber noch immer wird ihnen das Wählen schwer gemacht. Das wollte Stacey Abrams nach ihrer Niederlage bei der Gouverneurswahl vor zwei Jahren nicht länger hinnehmen. Ihre Organisation hat seitdem 800.000 Wähler neu registriert.
Rund um das Kapitol von Atlanta demonstrieren auch einen Monat nach der Wahl noch immer mal wieder Menschen, die die Niederlage von Präsident Trump nicht akzeptieren wollen. Alan Keck ist einer von ihnen. Dass er an diesem Tag allein ist, enttäuscht ihn. "Eine Menge Trump-Anhänger sind nach dieser Wahl desillusioniert. Trotzdem sollten sie an der Senatswahl teilnehmen. Aber man redet darüber, dass viele es nicht tun werden. Trump sollte nach Georgia kommen und die Truppen sammeln. Wir verschwinden ja nicht, nur weil Biden übernimmt."
Viele Organisationen investieren in Georgia, damit Menschen wie Kajara und ihre MitstreiterInnen von Tür zu Tür gehen. Sie sollen keine Werbung für eine Seite machen, sondern nur zur Wahl aufrufen. Das Misstrauen, das Trump gegen die Rechtmäßigkeit von Wahlen schürt, scheint manche Republikaner abzuschrecken: "Einer sagte mir, er werde nicht wählen, weil sein Kandidat, Trump, verloren habe. Er wolle gar nicht mehr wählen. Ich sagte ihm: 'Bitte, gehen Sie wählen, Ihre Stimme zählt. Sie können doch bei dieser Senatswahl einen Unterschied für die Republikaner machen.' Aber er wollte nichts davon hören und knallte nur die Tür zu."
Den Demokraten kann das nur recht sein. Kandidat Jon Ossoff macht zurzeit Distanzwahlkampf. Er will zeigen, dass er Corona ernst nimmt. Auch weil der Umgang mit der Pandemie für seine potenziellen Wähler besonders wichtig ist. "Corona hat die Schwarzen am härtesten getroffen. In Georgia sind sie Herz und Seele der demokratischen Wählerschaft. Sie müssen wir überzeugen. Wir dürfen uns ihrer Stimmen nicht sicher glauben." Das weiß auch Kajara. Sie will alles dafür tun, dass die Angst der Republikaner vor einer erneuten Rekordbeteiligung der Schwarzen wahr wird: "Wir gehen bewusst auf die zu, die oft vergessen wurden. Damit sie sich registrieren und verstehen, wie einfach es ist zu wählen."
Wähler der Republikaner auf dem Land
Die Republikaner dagegen müssen ihre Wähler auf dem Land mobilisieren. Auch ohne Donald Trump als Zugpferd. Dave Dalton, Betreiber eines Schießplatzes, hofft, dass das gelingt: "Alle Republikaner werden jetzt zusammenhalten, egal ob sie für oder gegen Trump waren. Sie verstehen, wie wichtig es ist, den Senat zu kontrollieren. Denn das macht eine Blockade der Demokraten möglich." Auf Daltons Schießplatz hält der republikanische Kandidat eine Kundgebung ab. Die Strategie von David Perdue: Die Wähler müssten Amerika vor dem Sozialismus retten. "Der Demokrat Schumer hat gesagt, wir erobern Georgia und verändern Amerika. Das lassen wir nicht zu."
Doch genau diesen Wandel wünscht sich Kajara Anderson. Am Abend gönnt sie sich einen Ausflug zur Rollschuhbahn mit der Familie. Ihr Sohn ist erst zwölf, aber sie hofft, dass er versteht, genau wie andere der jungen Generation, wie wichtig politisches Engagement ist: "Ich will ein Vorbild für ihn sein, damit er später mit uns kämpft. Ich hab ihm gesagt, jeder hat seinen Platz in der Bewegung. Es gibt welche, die protestieren. Ich helfe, dass gute Menschen gewählt werden."
Wählen gehen sei das eine, erklärt Kajara, aber wirkliche Veränderung für die Schwarzen gebe es erst, wenn diese auch vermehrt Ämter übernehmen.
Autorin: Claudia Buckenmaier, ARD-Studio Washington
Stand: 29.11.2020 20:15 Uhr
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