So., 29.11.20 | 19:20 Uhr
Das Erste
Vereinigte Arabische Emirate – Die Marsmission der Frauen
Eingeloggt im Hirn der Sonde. Die liefert gerade Daten, die beruhigen. Khalisfasat ist auf Kurs. Mit mehr als 100.000 Stundenkilometern Richtung Mars. Im Februar soll der Hightech-Kolloss in die Umlaufbahn des Roten Planeten eintauchen. Bislang läuft alles wie am Schnürchen. Ayesha Al Sharafi steht im Kontrollraum als Risikomanagerin voll in der Verantwortung. Und hatte schon manche schlaflose Nacht: "Den Kontakt zur Sonde zu verlieren wäre das Schlimmste.Wir haben Notfallpläne, sind trainiert für Situationen, wenn etwas aus dem Ruder läuft, wir keinen Kontakt mehr haben."
"Hope" soll Image aufpolieren
Es ist ein Aufbruch in völlig neue Sphären für eine arabische Nation. Am 20. Juli hebt die Trägerrakete im japanischen Tanegashima ab. "Hope" heißt die Mission, die in den Vereinigten Arabischen Emiraten große Erwartungen weckt. Jubel bei den Ingenieuren in Dubai. Die Ziele sind hoch gesteckt. Die Sonde soll Staubstürme erforschen, eine Gesteinsprobe entnehmen, den Weg für eine bemannte Mission zum Mars ebnen. Vor allem aber soll "Hope" das Image des Staatenbundes aufpolieren. Das eines erzkonservativen Emirats, dessen Schicksal am Öl hängt, in dem alte Männer das Sagen haben. Man will sich weltoffen geben, als Hightech-Standort der Zukunft.
Das Mohammed bin Rashed-Weltraumzentrum ist das Herzstück des Wandels. Seit 2006 werden hier schon Satelliten entwickelt. Das Know-how wurde mit viel Geld von anderen Ländern eingekauft. Die 28 Jahre alte Ingenieurin Aysha Al Sharafi aber war von Anfang an dabei – direkt nach dem Chemie-Studium zum Traumjob. Sie entwickelte den Antrieb für die Mars-Sonde mit. Ein Abenteuer mit Höhen und Tiefen. "Es gibt so viele Momente, in denen einfach alles schiefläuft. Und dann schaffen wir es immer irgendwie, das zu lösen. Es ist eigentlich ständig aufregend."
Khalisfasat – vor allem von Frauen entwickelt
Seit an Seit mit einer Frau zu tüfteln, war für Mohsen Al Awad zunächst etwas gewöhnungsbedürftig. Doch mittlerweile sind der gelernte Fluzgeugingenieur und die Chemikerin ein eingespieltes Team auf Augenhöhe. "Wir haben hier von Anfang an auch mit Ingenieurinnen zusammengearbeitet. Auch in technischen Bereichen, in denen normalerweise nur Männer arbeiten. Aber es ist überraschend zu sehen, wie viele Frauen sich am Ende doch dafür interessieren", sagt Mohsen Al Awad.
Khalisfasat ist der erste Satellit, der ganz in den Emiraten entwickelt wurde. Vor allem von Frauen. Sie stellen 80 Prozent des wissenschaftlichen Stabes bei der Mars-Mission. Eine kleine Sensation in der arabischen Welt. Hessa Al Matroushi und Mariam Al Shamsi aber halten das für völlig selbstverständlich. "Eine Forscherin zu sein, heißt nicht, keine Kinder bekommen zu können. Ich bin eine Mutter, habe ein Kind, kümmere mich um meine Familie. Aber wir können dem Land ja schließlich auch als Wissenschaftlerinnen dienen." Und Mariam Rashid Al Fandi Al Shamsi ergänzt: "Wir bekommen hier viel Unterstützung vom Zentrum. Mit flexiblen Arbeitszeiten, Sonderurlaub und ähnlichen Angeboten."
Langer Weg zur Gleichberechtigung
Bei der Gleichberechtigung von Frauen und Männern geben die Emirate gerne den Musterschüler. Doch auch im Glitzerparadies am Golf sind gut 70 Prozent aller Beschäftigten noch immer Männer, trotz vieler gut ausgebildeter Frauen. Das zu ändern, ist erklärtes Ziel von Sarah al-Amiri, Chefin der Marsmission. Der Start ganz ohne alte Seilschaften habe für Frauen viele Chancen eröffnet, erzählt die 33-Jährige: "Wir sind eine kleine Organisation mit der Kultur eines Start-ups, das sich sehr schnell entwickelt, sich hohe Ziele steckt. Da können sie niemanden diskriminieren. Sie müssen einfach die Besten nehmen, um den Job zu machen."
Und doch bleibt es ein weiter Weg zur Gleichberechtigung im Nahen Osten. Das Weltraumzentrum immerhin eröffnet für Frauen wie Ayesha ungeahnte Möglichkeiten. Sie kann forschen, entwickeln und zu den Sternen greifen.
Autor: Daniel Hechler, ARD-Studio Kairo
Stand: 29.11.2020 20:16 Uhr
Kommentare