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Brasilien: Das Leid der Tagelöhner auf den Kaffee-Plantage

Brasilien: Das Leid der Tagelöhner auf den Kaffee-Plantage | Bild: NDR

Hier müssen sie eben noch gewesen sein. Marcelo Campos wechselt eilig von einer Kaffeereihe zur nächsten. Wo sind die Frauen, die hier gerade noch gearbeitet haben? "Hier wurde geerntet, wir wollen sie finden und mit ihnen reden, um die Situation zu verstehen." Wir begleiten den Einsatz der Inspekteure des Arbeitsministeriums, der Staatsanwaltschaft und Bundespolizei auf den Kaffeeplantagen von Minas Gerais. Sie wollen Erntehelfer aufspüren, die hier unter sklavenähnlichen Bedingungen arbeiten sollen.

Versteckt unter Büschen haben die Inspekteure zwei Frauen entdeckt. Seit über einem Monat arbeiten sie bereits unbezahlt, ohne irgendeine Schutzkleidung, Essen, Wasser, oder eine Toilette. Die Situation ist angespannt. "Mir ist das unangenehm. Ich mache mir Sorgen", sagt Arbeiterin Ida da Conceiçao. Doch es sind nicht die Arbeiter, die bestraft werden sollen, sondern der Arbeitgeber. "Vor gerade etwas mehr als 100 Jahren waren Arbeiter hier noch Sklaven, Objekte, eine Ware. Ein Land mit einer Geschichte von 300 Jahren Sklaverei hat eine patriarchale Kultur, die die Rechte der Arbeiter weder wertschätzt noch erfüllt", erklärt Campos.

Anonyme Anzeigen gegen Kaffeeplantagen-Betreiber

Ein Gruppe von Männern in einer Kaffeeplantage.
Erntehelfer arbeiten unter sklavenähnlichen Bedingungen. | Bild: NDR

Das Team geht anonymem Anzeigen nach. In nur drei Monaten haben Ermittler 1.000 Arbeiter in Brasilien aus unwürdigen Bedingungen gerettet. Es sind Rekordzahlen, weil verstärkt gefahndet wird. Kurz vor dem Einsatz steigt bei Marcelo die Anspannung: "Wir werden von der Bundespolizei begleitet, weil es eine Situation ist, die für die Plantagenbesitzer eine Menge Schaden mit sich bringen kann, und es kann passieren, dass sie in einigen Fällen mit Gewalt reagieren wollen."

Das nächste Ziel wirkt auf den ersten Blick wie ein Sägewerk. Aber dazu gehört eine Kaffeeplantage. Sehr schnell wird das Team fündig. Iran arbeitet ohne Schutzkleidung und statt Geld zu verdienen türmen sich Schulden auf: "Alle Werkzeuge, die ich hier benutze, muss ich bezahlen, es gibt also keinen Ausweg, ich muss arbeiten, um Schulden zu bezahlen, die nicht enden. Sie machen Sklaven aus uns. Ich arbeite und zahle drauf, ich verdiene kein Real, um für zu Hause Essen zu kaufen. Das ist schlecht."
Auch João hat keinen Vertrag, dafür lange Arbeitszeiten ohne Pause, sagt er. Beide Männer schlafen mit dünner Matratze in einer Art Wohnzimmer, ohne Kleider-Schrank, keine Rückzugsmöglichkeit.

Der Besitzer der Fazenda ist nicht vor Ort, nur Vorarbeiter João Carlos. Er hat nun eine Woche Zeit Stellung zu beziehen, muss die Männer sofort gehen lassen und später einen Höchstsatz für ihre Arbeit bezahlen. Der Vorarbeiter wehrt sich. Die Männer wollten Arbeit und haben sie bekommen: "Ich sehe keine Sklavenarbeit, du etwa? Geh doch mal zu denen nach Hause und schau dir an, wie es da aussieht." Marcelo sagt, es gibt so gut wie nie ein Einsehen.

BASF: Menschenunwürdige Arbeitsverhältnisse bei Saatgut-Produktion

Brasilien ist der größte Kaffee-Exporteur der Welt. Und Kaffee ist das beliebteste Getränk der Deutschen. Doch der Kaffee könnte auch unter unwürdigen Bedingungen geerntet worden sein. Menschenunwürdige Arbeitsverhältnisse gibt es aber nicht nur auf den Kaffee-Plantagen. Im März befreien Inspekteure 85 Arbeiter auf einer Farm im Süden Brasiliens. Das Subunternehmen produziert Saatgut für die deutsche BASF. Der Subunternehmer beschäftigt ebenfalls Subunternehmer für die Arbeiter. Einer von ihnen ist der 15-jährige Eduardo Soteiro. Als er schwer verletzt wird, muss er über Stunden auf Hilfe warten, erzählt er. Seine Mutter habe ihn anschließend ins Krankenhaus gebracht. Ein Zeh sei jetzt unbeweglich. "Wir hätten Arbeitsschuhe gebraucht, einen Platz zum Essen, Schutz gegen die Sonne - das ist doch alles schlecht", sagt Eduardo Soteiro.

Die Inspekteure ermitteln: Bei 40 Grad fanden die Arbeiter Ruhe nur auf dem nackten Boden. Weil Wasser fehlte, kam es zu Ohnmachtsanfällen. Und wer krank ausfiel erhielt keinen Lohn. "Als wir hörten, dass die BASF hinter der Saatgutproduktion steht, waren wir schockiert. Weil ein Unternehmen dieser Größe, muss sich auch für die Subunternehmer ihrer Subunternehmer interessieren", sagt Olíbio de Freitas, Gewerkschaftspräsident der Landarbeiter Uruguaiana.

Die BASF verurteilt die Menschenrechtsverletzungen, für die es zuvor keine Anhaltspunkte gegeben habe. Stellt klar, dass es kein direktes Vertragsverhältnis zu den betroffenen Arbeitern gab, betont jedoch, dass sie auch ihre Subunternehmer grundsätzlich vertraglich verpflichtet, die Menschenrechte in ihrer Lieferkette einzuhalten. Die BASF zahle freiwillig umgerechnet 1.670.000 Euro an die Arbeiter und für soziale Projekte. Und will zukünftig verstärkt kontrollieren. "Jedoch ist für uns als Unternehmen, das mit mehr als 90.000 direkten Zulieferern und entsprechend vielen indirekten Zulieferern in komplexen Lieferketten zusammenarbeitet, eine vollständige und permanente Kontrolle leider nicht praktisch umsetzbar."

Keine Verpflegung, keine Toilette, keine Schutzkleidung

Ein Mann spricht in die Kamera.
Marcelo Campos arbeitet als Inspekteur des Arbeitsministeriums. | Bild: NDR

Zurück auf den Kaffeeplantagen in Minas Gerais: Hier muss das Ermittler-Team oft so einige Hindernisse überwinden. Und durch Handys sind die Landwirte schnell gewarnt. "Der Besitzer sagt, es gäbe hier keine Arbeiter. Das glauben wir aber nicht und schauen selbst", sagt Marcelo Campos. Und er hat das richtige Gespür. Hier haben sie gerade noch Kaffeekirschen gepflückt. Nur widerwillig bleibt ein Mann stehen, behauptet hier nur einen Spaziergang gemacht zu haben. Doch als noch zwei Arbeiter gefunden werden, fliegt die Lüge auf.

Keine Verpflegung, keine Toilette, keine Schutzkleidung. Die ist aber ist kein Luxus. Marcelo zeigt uns eine giftige Schlange, die sie eben zwischen den Kaffeesträuchern getötet haben. Doch mehr als vor Schlangen haben die Arbeiter Angst vor dem Zorn ihres Chefs: "Wenn ich auf die Idee käme über die Arbeitsbedingungen hier vor einem Gericht zu klagen, dann arbeite ich hier auf keinem Hof mehr. Dann ist dein Name so beschmutzt, als hättest du gestohlen oder Schlimmeres", sagt Arbeiter Valdecir da Silva.

Das Team um Marcelo Campos ist zufrieden. Die Mentalität der reichen Farmer muss sich ändern, sagen sie. Und das geht offenbar nur durch Strafen. Die Arbeit der Inspekteure wird lange nicht enden.

Autorin: Xenia Böttcher, ARD Studio Rio de Janeiro

Stand: 17.07.2023 14:45 Uhr

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