So., 16.07.23 | 19:00 Uhr
Das Erste
Israel: Auf dem Weg zum Gottesstaat?
Kein Strom mehr am Shabbat? Geschlechtertrennung im öffentlichen Nahverkehr? Das alles könnte Realität in Israel werden, wenn es nach dem Willen von Ultra-Orthodoxen und nationalistisch-religiösen Hardlinern geht. So stark wie nie zuvor sind sie derzeit in der Regierungskoalition vertreten. Sie lassen Premier Netanjahu spüren, dass er auf sie angewiesen ist und setzen sich kompromisslos für die eigenen Belange ein. Damit bedienen sie vor allem ihre eigenen Wähler – national-religiöse Siedler, die größtenteils in Siedlungen im von Israel besetzten Westjordanland leben. Dem gegenüber steht ein säkulares Israel: Hunderttausende Menschen, die seit Monaten gegen die Regierung Netanjahu demonstrieren, auch weil sie eine stärkere religiöse Ausrichtung des Staates verhindern wollen.
Von einem Parkplatz in West-Jerusalem aus startet Tal Sagi wieder ihre Mission. Sie will mit einer Gruppe Touristen nach Hebron, eine palästinensische Großstadt, aber teils vom israelischen Militär besetzt und von jüdischen Siedlern bewohnt. "Wird es heute gefährlich? Die Siedler dort sind ja nicht die einfachsten richtig?", fragen wir. Tal antwortet: "Nein, aber ich hoffe, dass es okay ist heute, und dass uns keiner stört."
Es wird anders kommen. Radikale Siedler werden die Gruppe schnell nach der Ankunft entdecken.
Israelische Regierung extrem rechts-religiös
Tal gehört zur Organsistaion von Breaking the Silence und überzeugt, dass die israelische Besatzung ein Fehler ist und die jüdische Religion werde missbraucht, um sie zu rechtfertigen. Vor allem durch die neue israelische Regierung. So extrem rechts-religiös war sie noch nie. Jede Woche demonstrieren Zehntausende gegen sie. Auch Tal. Doch wie lange halten sie noch durch? Tal ist selbst in einer religiösen Familie aufgewachsen und in einer Siedlung. "Unser Hauptziel ist es, die Besatzung zu beenden. Wir glauben, der erste Schritt dahin ist, dass Leute sehen, was es heißt, wenn das Militär über so viele Jahre Millionen von Menschen kontrolliert."
Kurz vor der Stadt Hebron gibt es einen Zwischenstopp in der Siedlung Kyriat Arba. Das Ziel: das Grab von Baruch Goldstein. Er war ein nationalistisch-religiöser jüdischer Siedler. Tal will hier von einem Massaker berichten, für das er verantwortlich war. Er hat vor knapp 30 Jahren in einer Moschee in Hebron 29 Muslime erschossen. Und manche Siedler verehren ihn öffentlich dafür.
Ein Siedler spricht Tal an: "Warum lügst Du? Warum erzählst Du Lügen?" Tal: "Könnt ihr gehen, ihr stört! Er sagt, dass Baruch Goldstein ein Held ist. Also, er sagt, dass Goldstein die Juden geschützt hat." Die radikalen Siedler bekommen Verstärkung. Hier hat es keinen Sinn mehr. Tal und die Gruppe ziehen weiter – zum Grab des Massenmörders Goldstein. Ein zweiter Siedler küsst unterdessen das Grab. Tal sagt: "Ich glaube ich muss das nicht kommentieren." "Vereehrt Gott den Herrn, mit aller Freude”, singen sie. Der zweite Siedler sagt: "Los, haut ab! Geht nach Gaza, dann sehen wir weiter." Tal gibt zu: "Ich glaube, ich habe euch nicht gut vorbereitet. Sorry dafür. Das kommt manchmal vor, ich habe das nicht erwartet."
Hebron seit 30 Jahren im Ausnahmezustand
Weiter nach Hebron. Für Tal wird hier deutlich, wozu Besatzung führt Seit dem Goldstein-Anschlag vor 30 Jahren herrscht hier Ausnahmezustand. Das Militär patrouilliert, es herrscht Angst vor Racheakten. Die Siedler hier würden aggressiver, sagt Tal, ermutigt von den Nationalistisch-Religiösen Kräften in der Regierung: "Jetzt, nach einer gewissen Zeit in der die Regierung nun aktiv ist, werden sie immer gewalttätiger. Ihre Zufriedenheit über die gewonnene Wahl ist weg. Jetzt sind sie eben so."
Hebron zeigt wie unter einem Brennglas den Konflikt unter Israelis. Die neue rechts-religiöse Regierung lässt nicht erkennen, dass sie ihn entschärfen will.
Autoren: Christian Limpert und Andreas Neukamm, ARD Studio Tel Aviv
Stand: 17.07.2023 15:48 Uhr
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