So., 26.03.23 | 18:30 Uhr
Paraguay: Das Müllorchester
Ein riesiger Müllberg thront über dem Viertel Cateura in Paraguay. Es ist ein bewohntes Sumpfgebiet, voller Dreck, Müll – arm und trist. Es liegt am Rande der Hauptstadt Asunción.
Favio Chavez wollte das ändern. Vor 17 Jahren fuhr er zum ersten Mal nach Cateura – in seinem neuen Job als Umweltingenieur auf der Müllkippe. Damals beschloss er, das Leben der Menschen, vor allem der Jugendlichen hier zu ändern. "Die Kinder, die hier jeden Morgen aufwachen, sehen am Horizont diesen Müllberg, wo jeden Tag mehr abgeladen wird. Ich wollte, dass die Musik ihnen neue Horizonte schenkt."
Gitarren aus Blechdosen
Als Hobbymusiker begann Favio, die Kinder und Familien des Viertels für Musik und Instrumente zu begeistern. Viele hier leben von dem Wenigen, was ihnen das Sammeln und Recyceln von Müll einbringt. Mit dem 14-jährigen Adner Chena übt Favio seit vier Jahren – auf einer Gitarre. "Die Leute hier empfangen mich jedes Mal mit einem Lächeln. Als ob ich ihnen das Schönste der Welt bringen würde. Ich bringe lediglich Musik mit. Aber das reicht ihnen", sagt Favio Chavez, Direktor des Orchestra de Reciclados de Cateura.
Mittlerweile spielt Adner auf seiner Gitarre aus Blechdosen Volkslieder. "Ich will einmal so sein, wie Favio. Das ist mein Traum. Er hilft Leuten wie uns und ist immer voller Freude", sagt Adner. In das Viertel der Müll-Sammler hat Favio die Musik gebracht. Und damit ein Stück Hoffnung. Nicht weit entfernt liegt seine Musikschule. Hier bastelt William Wilson Lopez gerade an neuen Instrumenten: "Ich kenne mittlerweile die Geheimnisse eines guten Klangs. Dieses Backblech zum Beispiel klingt besser, wenn das Essen darin früher oft angebrannt ist." William ist Spezialist für Instrumente aus Müll. Aus Dosen, Löffeln und Gabeln: "Dieser Kontrabass war früher Mal ein Ölfass. Das haben wir an irgendeiner Straßenecke gefunden. Oder im Meer. Keine Ahnung, was für ein Öl da früher drin war, aber er klingt verdammt gut."
Als Favio vor 17 Jahren auf der Müllkippe arbeitete, musizierte er immer nach Feierabend mit den Kindern der Müll-Sammler. Jede Woche wurden es mehr. "Als immer mehr Kinder Geige spielen wollten, fehlten uns Instrumente. Doch Geigen sind hier teurer als eine ganze Hütte. Weil wir uns nicht anders zu helfen wussten, bauten wir kurzerhand Instrumente aus Müll. Damals hätte ich nie gedacht, dass diese Idee weltweit bekannt werden würde", erinnert sich Favio.
Mit den besten Musikschülern auf Welttournee
Mittlerweile kommen Schüler wie Adner jeden Samstag in die neu gebaute Musikschule. Finanziert durch Spenden aus der ganzen Welt und durch Konzertauftritte. Meist üben hier mehr als 400 Musiker und Musikerinnen. Die Schule – inzwischen der Mittelpunkt des Viertels Cateura. "Diese Schule ist wie eine Oase im Armenviertel. Wir unterrichten die Jugendlichen ja nicht nur in der Musik. Wir geben ihnen auch sozialen Halt, was wichtig ist. Denn die Menschen in Cateura müssen irgendwie überleben – trotz Konflikten, Drogenhandel und Kriminalität. Deshalb brauchen sie diesen Freiraum", sagt Favio.
Mit den besten Schülern geht Favio jedes Jahr auf Welttournee mit seinen Instrumenten aus Müll. Mal auf Einladung von Südkorea, mal von der spanischen Königin. Selbst beim Papst waren sie schon. Familien wie die von Adner erhalten auch Sozialhilfe vom Orchester, um Schulmaterialien und Gesundheitsausgaben bezahlen zu können. Immer weniger im Viertel geraten auf die schiefe Bahn. "Jedes Mal wenn er ein Konzert spielt, gehen wir hin. Es fasziniert mich zu sehen, wie mein Sohn musiziert", sagt Mirta Fariña, die Mutter von Adner.
Die Idee wurde aus der Not geboren. Jetzt sind sie dank ihrer Müll-Instrumente weltberühmt.
Autor: Matthias Ebert, ARD-Studio Rio de Janeiro
Stand: 26.03.2023 19:37 Uhr
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