Mo., 29.10.18 | 04:50 Uhr
Das Erste
USA: Der Anschlag auf die Synagoge
Sie trauern um die Opfer: eine spontane Gedenkveranstaltung, organisiert von Studenten und Anwohnern, nicht weit entfernt von dem Ort, an dem elf Menschen in der Synagoge des Stadtteils Squirrel Hill brutal getötet wurden.
Das eiskalt verübte Verbrechen, es macht die Menschen hier betroffen, und hilflos. Vielleicht, so hoffen sie, spendet die Gemeinschaft ja ein wenig Trost, wie Anwohnerin Emily Pressman meint: "Vor ein paar Stunden haben ein paar Freunde und ich überlegt: Wir können doch nicht einfach rumsitzen und nichts tun. Wir dachten, es muss doch etwas geschehen jetzt, auch für die anderen in unserem Stadtteil."
So richtig fassen können sie immer noch nicht, was in der Synagoge mit dem Namen "Baum des Lebens" passiert ist. Mike Doyle, Kongressabgeordneter der Demokratischen Partei: "Ein sinnloses Hass-Verbrechen. Die Leute waren in einem Haus des Gebets und wurden von jemandem umgebracht, der sie wegen ihrer Religion hasst. Das ist eine Sache, an die man doch nicht denkt, wenn man zum Beten geht: Dass so etwas passieren könnte."
Antisemitismus in den USA
Dabei grassiert der Antisemitismus den USA wie hier in Pennsylvania, wo Anfang 2017 mehrere Hundert jüdischer Grabsteine geschändet werden. Oder in Florida, wo Bombendrohungen gegen ein jüdisches Gemeindezentrum eingehen und sich die Schüler in Sicherheit bringen. Auch viele der Rechtsradikalen, die Mitte August 2017 in Charlottesville gewaltsam demonstrieren, bekennen sich offen zu ihrem Judenhass.
Die Anti-Defamation-League, die gegen Diffamierung jüdischer Menschen und Organisationen eintritt, warnt deshalb: Antisemitische Übergriffe haben im vergangenen Jahr um 57 Prozent zugenommen.
Der Anschlag auf die Synagoge trifft US-Präsident Trump mitten im Wahlkampf vor den Kongresswahlen. Seit Tagen steht Trump für seine scharfe und häufig beleidigende Sprache in der Kritik. Durch seine verbalen Aggressionen würden bei vielen die Hemmungen fallen, so der Vorwurf, gegen den sich der Präsident immer wieder verwahren muss.
Vor Anhängern in Illinois appelliert er an die Solidarität: "Wir müssen zu unseren jüdischen Brüdern und Schwestern stehen, um Antisemitismus zurück zu schlagen, und die Kräfte des Hasses zu besiegen. Über viele Jahrhunderte sind Juden verfolgt worden. Wir wissen davon, haben darüber gelesen: Menschen jüdischen Glaubens haben viel ertragen müssen. Diejenigen, die sie zerstören wollen, werden wir zerstören."
Drohungen wie diese hinterlassen bei vielen allerdings Zweifel, ob Donald Trump die sozialen Spaltungen im Land und all die Aggressionen überhaupt beenden will: In einer ersten Reaktion hatte er der jüdischen Gemeinde in Pittsburgh noch vorgeworfen, keine eigenen bewaffneten Sicherheitsleute vor ihrer Synagoge postiert zu haben.
Debatte in der Politik
New Yorks Bürgermeister Bill De Blasio entgegnet: "Wir sollten die Opfer einer solchen Attacke niemals so beschuldigen. Wir sollten niemals fordern, dass ein Ort des Gebets von bewaffneten Sicherheitsleuten geschützt werden muss. Das ist nicht Amerika!"
Der 46-jährige Verdächtige Robert B. lebte eine knappe halbe Stunde entfernt von der Synagoge, ein registrierter Waffenbesitzer, der sich in einem sozialen Netzwerk offenbar rassistisch äußerte. Für die Nachbarn: unauffällig, ein ganz normaler Kerl eben, wie Nachbar Chris Hall erklärt: "Er blieb für sich, saß oft im Auto, hat geraucht, fuhr weg, kam spät wieder und hat seinen Fernseher angeschaltet. Das Beängstigendste ist wohl, wie normal er daherkam: keine seltsamen Tätowierungen oder so, einfach ein normaler Mann um die 50."
Nach seiner Verhaftung wurde die Wohnung des Verdächtigen noch in der Nacht durchsucht. Inzwischen gibt es eine Anklage gegen ihn.
Autor: Clas Oliver Richter, NDR Hamburg
Stand: 29.08.2019 03:12 Uhr
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