Mo., 16.04.18 | 04:50 Uhr
Das Erste
Israel: Grenzen in Gefahr
Er weiß wie sensibel diese Grenze ist, wie trügerisch die Ruhe: der israelische Oberstleutnant Yaniv Kariaf ist mit seinen Soldaten an der libanesischen Grenze im Einsatz. Er führt uns in die Pufferzone, von wo aus die Israelis einen weiten Blick ins Feindesland haben: die israelische Seite gut zu erkennen, weil bepflanzt und bewirtschaftet. Im Libanon herrscht Dürre.
Der letzte Krieg liegt nun 12 Jahre zurück: Die schiitischen Hisbollah-Milizen hatten eine israelische Grenzpatrouille überfallen, acht Soldaten getötet, zwei verschleppt. Daraufhin begannen die Kämpfe zwischen Hisbollah und israelischer Armee, die mit einem Waffenstillstand am 14. August 2006 vorläufig zu Ende gingen. Wenig später wurden auch die See- und Luftblockade aufgehoben. Mehr als 1000 Tote haben beide Seiten damals insgesamt offiziell zugegeben. Und heute wissen beide Seiten: Bei einem neuen Krieg wären es wohl eher Tausende.
Fragiler Frieden
Zwischen der israelischen Flagge links, der libanesischen rechts: das blaue Fass als Grenzmarkierung der UN, die das Gebiet zwischen zwei Feindesländern überwachen. Die Hisbollah, vom schiitischen Regime des Iran unterstützt und hochgerüstet, hat sich im Libanon zu einem militärischen, politischen und sozialen Machtfaktor entwickelt. Sie hat Kampferfahrung – allerdings zu einem hohen Blutpreis – unter anderem im Syrien-Krieg gewonnen und die Dörfer entlang der Grenze zu Israel mit Kämpfern und Waffen unterwandert.
Oberstleutnant Yaniv Kariaf: "Wir wissen von unserem Aufklärungsdienst, dass in diesen libanesischen Orten nicht Landwirtschaft oder Tourismus betrieben werden, wie das in den Dörfern auf unserer Seite geschieht. Sondern diese Orte dienen hauptsächlich militärischen Zwecken: die Hisbollah benutzt die Häuser der Bewohner oder auch Moscheen und Schulen als Waffenlager. Die Zivilisten dienen ihr als lebende Schutzschilder."
Sima Shine hat für die israelische Regierung, den Mossad und das Militär als Iran-Expertin gearbeitet. Für sie steht fest, ein neuer Krieg gegen die mittlerweile viel stärker bewaffnete und vom Iran unterstützte Hisbollah hätte für Israel eine ganz andere Dimension als 2006 als es nur gegen eine Terrormiliz ging: "Und vom israelischen Standpunkt aus gesehen, sind Libanon und Syrien eine gemeinsame Front, denn der Iran hat sich bekanntlich in beiden Ländern militärisch etabliert. Das sind unsere Hauptbedenken. Der Iran kann sofort an zwei Fronten gegen Israel Krieg eröffnen."
Alarmbereitschaft am Golan
Die strategisch wichtigen Golan-Höhen hat Israel im Sechs-Tage-Krieg 1967 von Syrien erobert. Auch an dieser Grenze herrscht Daueralarmbereitschaft. Israel fliegt seit einiger Zeit Einsätze gegen iranische Stellungen in Syrien sowie auf Waffenlieferungen an die Hisbollah. In den Krieg dort, in den so viele Parteien verwickelt sind, will man offiziell nicht eingreifen, aber eben auch nicht zulassen, dass der Erzfeind Iran seine militärische Präsenz weiter ausbaut. In den vergangenen Wochen drohte die Situation an der schwerbefestigten Grenze zu eskalieren.
Im Grenzgebiet leben etwa 20.000 Drusen wie Djschad Oussaui, dessen Familie hier seit Generationen Obst anbaut. Die Religionsgemeinschaft der Drusen hat sich vor Jahrhunderten von den Schiiten abgespalten, ist in Israel anerkannt. Die Drusen stehen dem Assad-Regime nah. Sie sind froh hier vor dem Krieg in Schutz zu sein. Vor allem bei Ihnen ist nun die Sorge groß, wie Djschad Oussaui betont: "Wir verfolgen natürlich ständig die Nachrichten im Fernsehen. Und die Lage verschlimmert sich. Das ist ein sehr unangenehmes Gefühl. Wir befürchten, dass der Krieg hier nur noch eine Frage von Tagen ist."
Sein jüdischer Nachbar David Cohen-Calles dagegen zeigt demonstrative Gelassenheit: Er baut sein Land auf dem Golan an der syrischen Grenze gerade weiter aus, investiert in eine neue Bewässerungsanlage: "Wir haben keine Angst. Es tut uns leid, was auf der anderen Seite passiert, was den Menschen in Syrien angetan wird. Wir hoffen sehr, dass bei denen bald Ruhe einkehrt."
Und vor allem hofft man in Israel, dass der Einfluss des Iran in der Region zurückgedrängt wird, denn einen direkten Konflikt mit Teheran will Jerusalem zwar auf jeden Fall vermeiden. Aber man geht auch davon aus, dass die jüngsten Luftschläge gegen iranische Stellungen und die Hisbollah in Syrien nicht folgenlos bleiben, befürchtet im Gegenteil schon in den nächsten Tagen eine Vergeltungsaktion. Und mit jeder Eskalationsstufe steigt die Kriegsgefahr an den Nordgrenzen Israels.
Autorin: Susanne Glass, ARD Tel Aviv
Stand: 02.08.2019 22:42 Uhr
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