Mo., 16.04.18 | 04:50 Uhr
Das Erste
Libanon: Hisbollah vor neuen Kämpfen?
Die Familie trauert um ihren Sohn, um ihren Bruder in einem kleinen Ort, eine Autostunde südlich von Beirut. Haidar ist als Hisbollah-Kämpfer in den Krieg nach Syrien gegangen, um dort sunnitische Extremisten zu töten. Der Vater ist überzeugt, dass sein schiitischer Sohn für eine gute Sache gestorben ist. Er habe sunnitischen Terrorismus in der Region eingedämmt: "Wenn er dort nicht gekämpft hätte, dann hätten sie uns alle getötet, alle unsere Familien und unsere Verwandten; einfach alle wären tot. Diese Leute differenzieren nicht. Sie sind rücksichtslos."
Ein Märtyrer in der Familie
Haidar ist für seine Geschwister ein Vorbild, ein Held. Sie können nicht verstehen, dass die Hisbollah im Westen als Terrororganisation eingestuft wird. Tatsächlich habe ihr Bruder nur einen Akt der Selbstverteidigung begangen, wie Hassan Sebaiti sagt: "Dieser Krieg geht weit über Landesgrenzen hinaus. In diesem Krieg geht es um unsere Kultur, um unseren Glauben und unsere Ideen."
Die schiitischen Familien im Libanon bezahlen einen sehr hohen Preis für den Krieg in Syrien: Die Zahl der Gräber für die vielen toten Kämpfer der Hisbollah ist im Laufe der Jahre gestiegen.
Mohammed hat früher mit seinem Sohn Haidar zusammen Transparente für Werbung hergestellt. Es nähert sich der vierte Jahrestag der Beerdigung Haidars: Zeit ihn zu würdigen und daran zu erinnern, dass die schiitische Hisbollah von sunnitischen Feinden umgeben ist. Der Vater Mohammed ist überzeugt: "Sie versuchen uns zu kolonisieren. Sie umzingeln uns und versuchen uns von Syrien abzuschneiden; Syrien ist für uns überlebenswichtig. Weil wir dorthin gegangen sind, um uns zu verteidigen, ist es ist ihnen nicht gelungen, uns von Syrien abzutrennen."
Die Toten der Kriege
Hisbollah-Land ist Märtyrer-Land: Überall hängen Transparente, die an die Toten verschiedener Kriege erinnern, an den in Syrien, aber auch an den gegen Israel 2006. Im Hintergrund lenkt Hisbollah-Chef Nasrallah die Organisation, die sich wegen der Invasion Israels im Libanon 1982 gegründet hatte.
Ein Museum im Süden des Landes illustriert die vielen Kämpfe, die die Hisbollah gegen Israel geführt hat. Der letzte Krieg gegen den zionistischen Nachbarn, wie es in der Sprache der Hisbollah heißt, war 2006. Seitdem hat sie massiv aufgerüstet: mit geschätzt über 100.000 Raketen hat sich das Arsenal seitdem verzehnfacht. Vor allem haben viele Raketen eine größere Reichweite als bisher.
Politik-Professor Sadeq al Nablosi, persönlich bekannt mit Hisbollah-Chef Nasrallah, sieht schon den nächsten Krieg mit Israel kommen: "Seit dem Krieg 2006 bereitet sich Hisbollah auf die nächste Schlacht vor. Das heißt aber nicht, dass die Hisbollah angreifen wird. Alles, was wir machen, ist reine Selbstverteidigung. Seit damals haben wir uns vorbereitet, sowohl personell als auch logistisch."
Im Hisbollah-Land sehen die Menschen in Israel den ewigen Aggressor und deswegen sei der nächste Krieg wahrscheinlich.
Gedenken an Haidar
Am Jahrestag der Beerdigung Haidars bereiten die Brüder die Gedenkveranstaltung vor. Für die Schiiten im Libanon ist diese Form der Erinnerung eine Selbstverständlichkeit. Für die Eltern Haidars ist dies ein schwerer Moment: Aufnahmen von Haidar im Krieg in Syrien. Der Vater ist überwältig, er kann seine Gefühle nicht Worte fassen. Die Mutter erklärt: "Man erinnert sich: jeder Moment, jedes Bild hat eine eigene Erinnerung. Und jedes Bild lässt ein Gefühl der Traurigkeit und des Schmerzes zurück. Aber es macht dich stolz, dass er ein Märtyrer ist, dass er würdevoll und ehrenhaft aus der Welt schied."
Die letzte Aufnahme von Haidar im Libanon: In den Armen hält er seine Schwester.
Trotz der vielen Opfer im Syrienkrieg, ist die Motivation junger Männer für die Hisbollah zu kämpfen sehr hoch, vor allem auch deshalb, weil Saudi Arabien für sunnitische Extremisten in Syrien Partei ergriffen hat, wie Politik-Professor Sadeq al Nablosi sagt: "Derzeit versucht Saudi Arabien die Region nach eigenen Vorstellungen zu gestalten. Saudi Arabien ist der wichtigste Akteur für die neue Strukturierung der ganzen Region."
Das Gedenken an Haidar beginnt: Die Familie zeigt sich dankbar für die breite Anteilnahme im Dorf. Der Vater kann dann doch noch seinen Gefühlen Ausdruck verleihen: „Wir haben viel gelitten. Wir haben uns für unsere Nation aufgeopfert. Wir haben dafür einen hohen Preis bezahlt.“
Zwiespältige Gefühle: Trauer und Stolz eines Vaters.
Autor: Alexander Stenzel, ARD Kairo
Stand: 02.08.2019 22:42 Uhr
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