Mo., 26.11.18 | 04:50 Uhr
Das Erste
Italien: Rom gegen Brüssel
So könnte die Zukunft der Arbeit in Italien aussehen: Elisa della Libera, 33 Jahre, studierte Kommunikationswissenschaftlerin: arbeitslos, jobbt, allerdings schwarz, muss noch bei ihren Eltern wohnen und was die Zukunft ihres Landes angeht, da ist Elisa nicht optimistisch: "Es gibt keine Arbeit. Die Mieten sind zu hoch. Wer einen Arzttermin braucht, wartet bis zu einem Jahr. Überall gibt es Probleme. Wir sind noch nicht wie Griechenland, aber auf dem besten Weg dahin."
Ehrenamtlich hilft Elisa in diesem Bürgerbüro. All jenen, die sich im Dschungel der Bürokratie nicht zurechtfinden, die Hilfe bei der Steuererklärung brauchen oder schlicht arbeitslos sind und nicht weiter wissen. Die Zahl derer wächst stetig, findet auch Agostino Zelli: "Heute ist die Schwarzarbeit das große Geschäft in Italien. Ordentliche Arbeitsverträge werden die Unternehmer nie mehr abschließen wollen. Sie wollen nicht mehr Leute anstellen wie früher, unbefristet. Ich habe Verträge gesehen für zwei Stunden am Tage, zum Putzen oder Verträge von einem Tag oder einer Woche. So können sie die Angestellten wieder wegschicken."
Leere Staatskassen
Italien ist verschuldet, die Wirtschaft schwächelt, die Arbeitslosigkeit hoch. Der neue Haushalt sieht weitere Ausgaben vor: Frühverrentung, Grundsicherung – doch die Staatskassen sind leer. Wer soll das bezahlen? Ungewiss – ein Grund, warum Brüssel den Haushalt abgelehnt hat. Der Ministerpräsident Giuseppe Conte gibt sich gelassen: "Wir sind davon überzeugt, dass unser Haushaltsentwurf gut ist, durchdacht und wohl begründet. Wir sind überzeugt davon, dass es eine solide Wirtschaftspolitik ist."
In Mailand, an der katholischen Universität ist manch einer skeptisch, vor allem der dortige Professor Carlo Cottarelli. Er unterrichtet Finanzen und war "Übergangsministerpräsident" für ein paar Tage. Cottarelli hält diesen Haushaltsentwurf für gefährlich: "Ich bin besorgt, weil die italienische Wirtschaft seit 20 Jahren nicht gewachsen ist. Wir haben ein durchschnittliches Jahreseinkommen wie vor 20 Jahren. In der italienischen Wirtschaft muss sich etwas ändern. Ich würde damit anfangen: Bürokratie abbauen, Kampf gegen Steuerhinterziehung und Korruption, eine schnellere und effizientere Justiz – diese Reformen würden uns produktiver machen und wettbewerbsfähiger."
Der Weg zum Arbeitsamt
Damit wäre auch Elisa geholfen. Wir begleiten sie zum Arbeitsamt. Vor sechs Jahren war sie zum ersten Mal hier. Die Regierung plant auch die Arbeitsvermittlung zu reformieren. Kosten dafür: geschätzte zwei Milliarden Euro. Die wäre auch dringend nötig. Der Besuch hier – eine Odyssee. Viele Formulare, zig Ansprechpartner, ewige Wartezeiten: frustrierend. Elisa della Libera zu ihren Erfahrungen: "Da ich nie Informationen weder per Mail noch telefonisch bekommen habe, habe ich eigentlich keine Versuche mehr unternommen, um über dieses System Arbeit zu finden."
Kein Job heißt nämlich auch: keine soziale Absicherung, also kein Arbeitslosengeld, nichts. Aber Elisa gibt nicht auf. Ein bisschen hofft sie auch auf die Grundsicherung, die die Fünf-Sterne-Bewegung verspricht, damit sie nicht länger ihren Eltern auf der Tasche liegen muss. Doch sie weiß, langfristig bringe ihr die nichts. Sie braucht Arbeit: "Ich wollte nachfragen, ob ich noch im System als Arbeit suchend registriert bin?"
Elisa arbeitet immer – irgendwo. Gerade gibt sie Nachhilfeunterricht, verdient 240 Euro schwarz im Monat und ist zufrieden, dass sie überhaupt eigenes Geld verdient. In ihrem Freundeskreis sind Leute, die im Auto schlafen, weil sie sich eine Wohnung nicht leisten können. Eine schnelle Hilfe heute wieder nicht in Sicht, denn es gebe verschiedene Anlaufstellen, dann müsse sie sich selbst passende Angebote suchen und wieder zurückkommen.
"Italiener zuerst"
"Zuerst die Italiener" – das ist die Marschrichtung der Regierung. Alles soll anders werden. Ihre Idee: Geschenke verteilen, dann wächst die Wirtschaft wie von allein. Carlo Cottarelli bezweifelt stark, dass so aus dem Patienten Italien die strahlende Nation von früher werde: "Ich glaube nicht, dass dieses Prinzip in einem Land funktioniert, mit solch gewaltigen Schulden. Denn wenn ein verschuldetes Land viel ausgibt, dann passiert das, was gerade passiert: Spread und Zinsen schießen in die Höhe. Das bremst die Wirtschaft. Ich glaube, am Ende wächst nicht die Wirtschaft, sondern nur der Schuldenberg."
Zurück im Arbeitsamt: Stellenangebote gibt es. Beworben hat sich Elisa oft – ohne Erfolg. Sie sei mit Uniabschluß überqualifiziert, heißt es, wenn es um solche Stellen geht. Wie es soweit kommen konnte? Elisa glaubt, die Politik habe viel falsch gemacht und Brüssels Spardiktat habe Italien in die Krise geführt: "Ums kurz zu machen: es liegt alles in meiner Hand. Beim Arbeitsamt gewesen zu sein, hat mein Leben mal wieder nicht verändert."
Was bleibt, ist die Angst. Elisa fragt sich täglich, wie lange sie es noch in Italien aushält oder ob sie nicht doch im Ausland nach Arbeit suchen soll.
Autorin: Ellen Trapp, ARD Rom
Stand: 30.08.2019 02:38 Uhr
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