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Argentinien: G20-Gipfel im Krisenland

Argentinien: G20-Gipfel im Krisenland | Bild: BR

Schichtbeginn für die Metallschmelzer von La Matanza. Seit mehr als hundert Jahren schon bringen sie in diesen Hallen glühendes Eisen in Form – für Gullydeckel oder Gewindestangen. Früher arbeiteten hier 700 Männer – heute gerade mal noch 70. Eigentlich sollte die Schmelze komplett dicht gemacht werden. Doch die Arbeiter selbst hatten das verhindert, wie Jesús Alvarez erklärt: "Dies ist jetzt eine Kooperative. Wir Arbeiter haben diese Fabrik besetzt und führen sie nun in Eigenregie, um unsere Familien zu ernähren."

Jesús Alvarez
Jesús Alvarez | Bild: BR

Jesús Alvarez weiß noch, wie er in der letzten Wirtschaftskrise um seinen Job bangte, damals – in den 90ern – als die Aufträge einbrachen und der Familienbetrieb im globalen Wettbewerb unterzugehen drohte. Seitdem sind Jesús und die Anderen offiziell Fabrikbesetzer und froh, zumindest 120 Euro Gehalt jeden Monat mit nach Hause zu nehmen, wie auch Jorge Fernandez beschreibt: "Wir wollen keine Almosen, sondern einfach Arbeit. Der Staat soll uns nicht mit hohen Abgaben umbringen, sondern die Hand reichen."

Die Kosten steigen

In der Schmelzerei
In der Schmelzerei | Bild: BR

Derzeit bangt Jorge Fernandez – mehr denn je – um die Schmelze, denn die Preise für Strom und Gas sind gestiegen: in einem Jahr um mehr als das Doppelte, seit die Regierung die Subventionen gestrichen hat. Jorge Fernandez analysiert: "Wir sehen derzeit in Argentinien, wie Firmen verschwinden. Geschäfte und große Lebensmittel-Fabriken müssen dicht machen. Auch weil die Stromrechnungen explodiert sind."

Immer weniger Aufträge, immer höhere Kosten. Die Metallschmelzer von La Matanza – einst Argentiniens Stolz – stemmen sich gegen den Untergang. Doch wie lange noch? Im Umkreis – in den Vororten von Buenos Aires – sind dutzende Fabriken bereits Geschichte.

Jetzt – in der aktuellen Krise in Argentinien – einst einem der reichsten Länder der Erde – wächst wieder die Armut. Nicht zum ersten Mal steckt das Land in einem Teufelskreis aus Wirtschaftsabschwung, hoher Staatsverschuldung und einer galoppierenden Inflation. Schwierig für die meisten Argentinier – aber auch profitabel für einige wenige.

An der Krise verdienen

Juan Martin Rinaldi
Juan Martin Rinaldi | Bild: BR

Die Finanzspekulanten von Balanz Capital verwalten einen der wichtigsten Investmentfonds des Landes. Dank der Kurssprünge der letzten Monate machen Börsenmakler wie Juan Martín Rinaldi Profit. Der 28-Jährige wettet auf zukünftige Wechselkursschwankungen: "Es geht darum, wie sich zum Beispiel der Dollar-Kurs im Dezember oder Januar verändern wird. Wir entwerfen eine Kurve, wie diese Entwicklung des Dollars zum argentinischen Peso aussehen könnte. Dann beginnt unser Geschäft: Wir kaufen Dollar zum Tageswert und setzen einen zukünftigen Wert fest und durch die Differenz entsteht unser Gewinn."

Die Börsianer atmeten auf, als der Internationale Währungsfond Argentinien zuletzt einen dringend benötigten Kredit zusagte: 50 Milliarden Euro. Juan Martin Rinaldi, Balanz Capital: "Der Währungsfond hat den größten Kredit in seiner Geschichte gewährt. Um Argentinien zu helfen, weil unser Land gezeigt hat, dass es bereit ist, seine Wirtschaft zu verändern – marktorientierter und kapitalistischer."

Harte Sparmaßnahmen durch den IWF

Das kritisieren viele Argentinier: Bei ihnen ist der Währungsfonds verhasst. Denn der hatte mit seinem letzten Kredit, in der letzten Krise, auch harte Sparmaßnahmen durchgesetzt. Das gleiche passiert jetzt wieder – trotz des erbitterten Widerstands vieler Argentinier.

Fabrikgelände
Fabrikgelände | Bild: BR

Zurück in La Matanza: Einige Arbeiter müssen dort leben, wo sie arbeiten: auf dem Werksgelände, auch Jesús Alvarez mit seiner Frau und ihren drei Kindern. Draußen konnte sich die Familie die Miete nicht mehr leisten. Klagen wollen sie nicht, denn sie sind froh, dass sie zumindest Arbeit und ein, wenn auch geringes, Einkommen haben. Laris Larivero, die Frau von Jesús: "Wir erleben Elend, Armut. Ich kenne Menschen, die nichts zum Essen haben. Das gab es früher nicht: Hungernde, die um Essen betteln müssen. Das tut mir weh, denn jeder sollte doch die Chance auf einen fairen Job haben und nicht betteln müssen."

Von ihrer Arbeit leben können – mit jedem Monat schwieriger für die Metallschmelzer. Sie sagen: Die Regierung tue nicht genug für Arbeiter wie sie. Metallschmelzer Damian Marín: "Es geht doch darum, was mit den argentinischen Steuereinnahmen gemacht wird. Und wenn uns das Ausland die hohen Staatsschulden nicht erlässt, dann werden noch meine Enkel so schuften müssen wie ich. Ich habe nach Feierabend einen Zweitjob als Handwerker. Mein Traum wäre, dass es meinem Sohn einmal besser geht."

Jorge Fernandez
Jorge Fernandez | Bild: BR

Derzeit sieht es düster aus: Wenn die Aufträge weiter zurückgehen, sagt Jorge Fernandez, drohe bald schon das endgültige Aus für die Metallschmelze: "Uns Arbeiter macht es glücklich, wenn wir sehen, wie auf unseren Balkons am Wochenende die Blaumänner zum Trocknen aufgehängt werden. Das heißt: Man arbeitet. Wir sind doch Malocher."

Sie sprechen oft von Würde, die sie dank ihrer Arbeit empfinden, doch keiner weiß, wie lange noch.

Autor: Matthias Ebert, ARD Rio de Janeiro

Stand: 30.08.2019 02:38 Uhr

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