Mo., 05.03.18 | 04:50 Uhr
Das Erste
Schweiz: Droht das Ende des öffentlich-rechtlichen Rundfunks?
Hier in den Schweizer Alpen im Kanton Wallis ist die Welt eigentlich in Ordnung. Doch seitdem der Schweizer Rundfunk abgeschaltet werden soll, ist die Aufregung groß, etwa im Jodlerklub Alpenrösli in Siders: Sie sind stolz auf Ihre Tradition, vor fast 90 Jahren als Verein gegründet. Jede Region in der Schweiz hat Jodellieder mit eigenen Tonfolgen und Melodien – seit Jahrhunderten. Der Präsident Peter Loretan erklärt: "Unser Jodelclub ist Bestandteil des Brauchtums, der Kultur in der Schweiz. Und die Kultur ist sicher der Bereich, der von den Jungen weniger interessiert."
Auftritte in den öffentlich-rechtlichen Medien
Und immer wieder haben sie Auftritte, werden sie von Schweizer Fernsehen und Radio aufgenommen, wichtig für die Brauchtumspflege und Nachwuchsförderung. Auch darum sind die meisten gegen eine Abschaffung des Schweizer Rundfunks wie auch Peter Loretan: "Es gibt verschieden Sendungen, die heute diese Kulturen unter die Leute bringen und auch für dieses Brauchtum werben. Und diese Sendungen hätten sehr große Mühen weiter zu bestehen."
Gemeint sind etwa Musiksendungen wie diese. Trotz guter Einschaltquoten, auch in Siders gibt es kritische Stimmen. Die Schweizerische Radio und Fernsehgesellschaft, kurz SRG, müsse schlanker werden, mehr sparen, so auch Harald Glentz: "Mit dem Umgang mit dem Budget sind wir nicht zufrieden. Das ist etwas, was überarbeitet werden muss und da erhoffen wir uns Verbesserungen."
Für "No Billag" reicht Sparen nicht
"4.März – ja zu No Billag": Ihnen ist Sparen zu wenig. Die Initiatoren der Volksabstimmung wollen gleich die komplette Abschaffung der Gebühren – und damit auch ein Ende des öffentlich-rechtlichen Rundfunks – ein radikaler Systemwechsel. Sie wollen die Medien dem freien Markt überlassen. Florian Maier, Generalsekretär des "No Billag"-Komitees: "Es ist eine Zwangsgebühr. Es ist eine Bevormundung des Bürgers. Er kann nicht frei wählen, welche Medien er konsumieren will."
Wie hier in Zürich haben sie im ganzen Land für die Abschaffung geworben. Ihre Motive: zu hohe Gebühren, die SRG zu dominant, der unbedingte Glaube an den freien Markt. "No Billag": Benannt nach der schweizerischen Gebühreneinzugsstelle.
Und die Schweizer teilen die Kritik, so auch Brigitte Caldwell: "Heutzutage sind die Gebühren nicht mehr nötig, es ist eine reine Abzockerei." Samir Sulejmani ist pragmatisch: "Da ich nur Fussball schaue, dann diese hohen Billag-Gebühren, finde ich dann unfair."
Die rechtskonservative Schweizerische Volkspartei SVP, die einzige große Partei, die die Initiative unterstützt. Nationalrat Roger Köppel kann keinen Sinn in öffentlich-rechtlichen Medien sehen: "Wir brauchen kein staatlich gehätscheltes, staatlich finanziertes Zwangsgebührenmedienmonopol. Das brauchen wir nicht! Dass es ein Bedürfnis gibt, eine Nachfrage nach guten Fernsehsendungen, nach guten Nachrichtensendungen, das ist ja klar. Aber wenn diese Sendungen nachgefragt werden, kann man sie der Marktwirtschaft überlassen."
Spaltung der Schweiz
Die Initiative spaltet das Land. Für ein breites Bündnis von Künstlern, Sportlern, Politikern wäre eine rein kommerzialisierte Medienlandschaft ein Alptraum. Laura Zimmermann von Operation Libero: "Es gibt eben Sachen in einem Staat, die alle mittragen, auch wenn man es selber vielleicht gar nicht nutzt. Medien, eine gesunde Medienlandschaft, die Bürger informiert, die den Mächtigen auch kritisch auf den Fingern schauen können, sind essentiell in einer Demokratie."
Doch wie denkt die junge Generation über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Wir sind an der Universität Zürich. Wie informieren sich die Studenten? "Ich hole mir die Nachrichten vor allem über Apps im Internet. Ich habe zu Hause kein Fernsehen. Darum schaue ich das nicht und Zeitungen lese ich eigentlich auch nicht mehr, seit ich zu Hause ausgezogen bei meinen Eltern." Trotzdem – die meisten mit denen wir sprechen, wollen auf das Angebot des Schweizer Rundfunks nicht verzichten und haben auch nichts gegen Gebühren: "Wenn man gut informiert sein will, dann muss man auch etwas dazu zahlen. Wir leben auch in einer Demokratie und sie hat auch ihren Preis."
"Ich finde es vor allem wichtig, dass wir ein bisschen sozialer denken und das auch für andere mitbezahlen, die vielleicht nicht die Möglichkeit haben, sich über andere Quellen zu informieren." "Ich informiere mich hauptsächlich übers Internet und deswegen finde ich, dass man da die Bürger zwingt, 400 Franken im Jahr zu zahlen, auch wenn die das gar nicht wollen. Ja, ich finde das nicht okay!"
390 Euro für die SRG
Für das Angebot der SRG zahlt derzeit jeder Schweizer Haushalt rund 390 Euro im Jahr. Dafür bietet der Schweizer Rundfunk Informationssendungen, Unterhaltung, Kultur und Sport – alles in den vier Landessprachen.
Aufwendig: Bei der morgendlichen Redaktionssitzung des französischsprachigen Ablegers der SRG in Genf. Hier sind auch zwei Korrespondenten aus der Deutschschweiz dabei. Sie berichten aus der französischen Schweiz, der Westschweiz, denn einfach die Beiträge der französischsprachigen Kollegen übersetzen geht nicht, wie Korrespondentin Mirjam Mathis erklärt: "Die Schweiz ist ja sehr multikulturell, und wir sind deswegen fast ein bißchen wie Auslandskorrespondenten, denn die Westschweiz, die ist viel näher dran an Frankreich – kulturell gesehen – als an der Schweiz. Das heißt, wir haben hier eine Aufgabe, die Realität in der Westschweiz in der Deutschschweiz rüberzubringen."
Auf diese Vielfalt wollen sie hier nicht verzichten, in den Walliser Alpen beim Jodlerklub Alpenrösli. Hier hofft man, dass der Schweizer Rundfunk weiter senden darf. Und dann ist auch hier die Welt wieder in Ordnung.
Autor: Wolfgang Wanner, ARD Genf
Stand: 01.08.2019 07:49 Uhr
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