So., 08.01.23 | 18:30 Uhr
Das Erste
Weltspiegel: Russland im Krieg
Russlands Einmarsch in die Ukraine war ein Schock für Europa. Doch anders als im Westen erwartet, bleiben Massenproteste in Russland weitgehend aus: Weder unmittelbar nach Kriegsbeginn noch im Herbst, als Putin die Teilmobilisierung der Bevölkerung anordnet, kommt es zu nennenswerten Protesten. Die Staatsgewalt hat das Land fest im Griff.
Deutlich spürbare Veränderungen in Russland
Doch während auf den ersten Blick in Russland Normalität herrscht, hat sich doch für die Russinnen und Russen eine Menge verändert. Fast unsichtbar ist die Veränderung, aber sie ist immer deutlicher spürbar. Das Land schottet sich vom Westen ab, westliche Firmen verlassen Russland, Reisen ins europäische Ausland sind kaum noch möglich, die Redefreiheit ist massiv eingeschränkt. Wem vorgeworfen wird, Falschaussagen über den Krieg oder das russische Militär zu verbreiten, dem drohen bis zu 15 Jahre Haft.
ARD-Korrespondent Demian von Osten lebt seit fast fünf Jahren in Russland. Er hat selbst erlebt, wie sich ein lähmendes Schweigen im Land ausbreitet, wie die letzten Freiheiten schwinden, wenn es um den Krieg und Politik geht. Für die "Weltspiegel"-Doku hat er seit Kriegsbeginn vier Russinnen und Russen begleitet.
Gefährlich für Andersdenkende
Darja Heikinen aus St. Petersburg demonstrierte noch kurz nach Kriegsbeginn, wurde dann aber festgenommen – jetzt sieht sie in politischer Arbeit keinen Sinn mehr. Es ist gefährlich geworden für Andersdenkende in Russland. Hunderttausende haben das Land verlassen, weil sie sich ihre Meinung nicht nehmen lassen wollen oder in Russland keine Zukunft mehr sehen.
Auch Konstantin Osnos aus Moskau hat entschieden: Sein Russland existiert nicht mehr. Gemeinsam mit seiner Frau und den zwei Kindern ist der 54-jährige im Sommer nach Israel ausgewandert. Noch vor der Teilmobilmachung, die weitere Hunderttausende Russen in die Flucht getrieben hat. Konstantin hat Freunde und Familie zurück gelassen - auch seine Eltern, die sich nun fragen, ob sie ihren Sohn und ihre Enkel jemals in Russland wiedersehen werden.
Dmitrij Surusow aus Kaluga ist geblieben. Aber in seiner Stadt ist heute vieles anders. Dmitrij hat in der Qualitätskontrolle im Volkswagen-Werk gearbeitet. Doch das Werk steht still - wie viele andere westliche Unternehmen erwägt offenbar auch VW einen Verkauf. Volkswirte erwarten, dass die Wirtschaftsleistung in diesem Jahr um vier Prozent sinkt. Die Inflation liegt bei mehr als zwölf Prozent. Und Dmitrij hat Angst, dass er in Russlands Armee einberufen werden könnte.
Mitmachen oder Schweigen
Roman Ponomarjow aus Stawropol unterstützt Russlands Ukraine-Krieg. Der Landwirt hat auf seinem Hof ein großes "Z" aus Stroh aufgestellt - und lässt Kritik an Russlands Krieg nicht zu. Er ist einer von den vielen, die Putins Kurs mittragen, die der Propaganda im Staatsfernsehen Glauben schenken. Nur wenige Kilometer entfernt von seinem Hof finden sich die Spuren dieses Krieges: frische Gräber von Soldaten, die in der Ukraine gestorben sind.
Die Doku zeigt eindrücklich, wie sich das Leben für die Menschen in Russland im Laufe des letzten Jahres verändert hat und wie die russische Gesellschaft über den Angriffskrieg auf die Ukraine denkt. Dabei räumen die Autoren auf mit manchen Erwartungen aus dem Westen, wie die Russinnen und Russen wohl reagieren würden. Und gleichzeitig nimmt Korrespondent Demian von Osten die Zuschauerinnen und Zuschauer auch mit hinter die Kulissen - und zeigt auf, wie schwierig die Arbeit für Journalistinnen und Journalisten in Russland geworden ist. Ein Land, das viele seiner Bürger seit Kriegsausbruch im Februar 2022 vor die Wahl gestellt hat: Gehen oder Schweigen.
Ein Film von Demian von Osten und Ulrike Brincker
Stand: 04.01.2023 09:35 Uhr
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