"Ich habe bewegende Momente erlebt"
Interview mit Eckart von Hirschhausen
Was hat Sie als etablierten Fernsehmoderator daran gereizt, drei so persönliche und "hautnahe" Reportagen zu drehen?
Für "Hirschhausens Quiz des Menschen" habe ich ja bereits viele "Hirschhausen unterwegs"-Filme gedreht, bei denen ich in die Lebenswirklichkeit von anderen für einen Tag eintauche. Diese Filme sind immer nur fünf Minuten lang. Ich hatte schon länger den Wunsch, diese Art des teilnehmenden Reporters auszubauen, und bin dankbar für die Gelegenheit, das jetzt mit drei zentralen Lebensbereichen für jeweils 45 Minuten machen zu dürfen. Außerdem fand ich das Konzept von "Hirschhausens Check-up" spannend: Ich gehe dahin, wo keiner gerne hingeht, ich bin dabei, mittendrin und verbinde die Geschichten der Menschen mit der Innensicht von mir, ergänzt durch zwei Reporter, die durch Interviews und Experimente eine zweite Perspektive liefern, sowie grafische Wissenseinschübe.
Sie gehen ins Altenheim, in die Psychiatrie und auf eine Intensivstation für Kinder. Wie weit kam Ihnen da Ihre Erfahrung als Arzt zugute?
Im Grunde meines Herzens bin ich ja immer Arzt geblieben, auch wenn ich mich seit 20 Jahren dafür einsetze, Menschen gesund zu halten und gesundes Wissen und Ideen für einen günstigen Lebensstil zu verbreiten. In den Reportagen merkt man mir wahrscheinlich an, dass ich keine Berührungsängste habe, da ich diese Welten schon kenne, auch wenn sich natürlich viel geändert hat. Ich habe aber versucht, den Menschen und ihren Geschichten auf Augenhöhe zu begegnen und gerade nicht die professionelle Distanz zu wahren, die ein Arzt natürlich haben muss.
Im dritten Teil gehen Sie zurück zu Ihren Wurzeln und sind für drei Tage wieder auf einer Kinderstation. Was hat sich da geändert?
Ich erinnere mich noch an die ganzen Brutkästen und die Diskussionen, wie nah die Mutter dem Frühchen kommen darf. Heute ist klar: Körperliche Nähe ist das Beste für das Kind, seine Entwicklung und Bindung. Die Medizin ist da viel menschlicher geworden – wurde aber auch Zeit!
Wenn man in ein Altersheim zieht, mit vielen dementen Bewohnern, erlebt man ja, was einem später selbst mal drohen könnte. Wie ging es Ihnen damit?
In meiner Arztausbildung vor 25 Jahren habe ich noch gelernt, Alter und den Tod als bösen Feind zu betrachten. Was für ein Quatsch! Denn, dass heute mehr Menschen mit Alzheimer in Deutschland leben, ist salopp gesagt ein gutes Zeichen. Es bedeutet: Man ist nicht vorher schon an etwas anderem gestorben. Dieses Jahr werde ich 50. Und nur mit sehr viel Optimismus kann ich das als Halbzeit bezeichnen. Wovor habe ich Angst, wovor haben wir alle Angst, wenn wir ans Älterwerden denken? Wer Höhenangst hat, geht am besten Schritt für Schritt auf Türme. Wer Spinnen fürchtet, tastet sich an Gummispinnen heran. Und wer Angst vor dem Alter hat, übernachtet am besten einfach mal in einer Einrichtung für alte Menschen.
Im zweiten Teil lassen Sie sich "einliefern". Wie war es für Sie als Patient, in der Psychiatrie in einem Vierbettzimmer zu liegen?
Meine drei Mitbewohner haben mir viel beigebracht und mich nachdenklich gemacht. Einer hörte die Stimme seiner Mutter, was er aber als angenehm empfand. Heutzutage in der modernen Psychiatrie gilt: Die Patienten bestimmen das Behandlungsziel. Stimmen alleine müssen nicht "weggemacht" werden, sondern erst wenn der Patient darunter leidet, wird geholfen. Die anderen beiden hatten typische Suchtprobleme durch zu viel Alkohol. Die drei Tage auf der Station haben mir wieder gezeigt, wie häufig sowohl Depressionen als auch Sucht sind, und wie wichtig es ist zu zeigen: Es gibt Hilfe. Psychische Erkrankungen können erfolgreich behandelt werden, und es ist keine Schande, sich Hilfe zu holen.
Die allermeisten Patienten in der Psychiatrie sind heilfroh, wenn sie erleben, dass es wirksame Psychotherapien, Gruppen- und Einzelgespräche und auch Medikamente gibt. Was mich besonders berührt hat, war zu erleben, wie viel die Patienten sich auch gegenseitig helfen. Ein zentraler "Therapieraum" war das Raucherzimmer, wo viele Gespräche stattfinden, ohne dass ein Arzt oder Therapeut dabei ist.
Was sind für Sie die berührendsten Erfahrungen gewesen?
Ganz viele, in jeder der Stationen habe ich tolle und bewegende Momente erlebt. Um nur einen zu erwähnen: Die Musiktherapeutin Manon Bruinsma hat uns gezeigt, wie man dementiell Erkrankte gezielt mit der Musik ihrer Jugend erreichen kann. Ich drehte mich im Walzertakt mit einer 93-Jährigen zu "Ich tanze mit Dir in den Himmel hinein". Ich erlebte, wie eine in sich zusammengesunkene Frau die Augen aufschlug, als mit "Veronika der Lenz ist da" ein bisschen Frühling bei ihr einzog. Und bei einem bettlägerigen, schwer dementen 69-jährigen Mann fing unter der Bettdecke der Fuß an zu zucken, als er "I can't get no satisfaction" über die Kopfhörer bekam.
Haben Sie selbst die Angst vor dem Altern verloren?
Ja! Solange es genug kompetente und zugewandte Pflegekräfte in Deutschland gibt, möchte ich lieber alt werden als früh sterben! In jeder Lebensphase können wir neue Dinge schätzen lernen und damit reifen. Unfreiwillig komisch sind Menschen, die mit 60 immer noch die gleichen Ziele verfolgen wie mit 20 – in den gleichen Klamotten. Im großen Kreis des Lebens werden viele im Alter heiter und gelassen. Humor hilft heilen, auch wenn etwas nicht zu heilen ist. Über alle Sinne, die noch offenstehen, können Reize von außen etwas tief im Inneren hervorkitzeln. Maßgeblich gelingt das über Berührung, Humor und Musik. Warum gehen die gestressten Großstädter zum Entschleunigen in teure exotische Wellnesshotels? Nach meiner Erfahrung kann ich sagen: Tempo rausnehmen und Geduld kann man in jedem Heim um die Ecke günstiger lernen.
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