Mo., 12.12.22 | 23:25 Uhr
Das Erste
Geschichte im Ersten: 1923! Der lange Schatten der Inflation
Die Inflation – ein Schreckgespenst. Das Gespenst weckt besonders in Deutschland tief verwurzelte Ängste. Aus einer aktuellen Umfrage geht hervor, dass 40 Prozent der befragten Deutschen aktuell die Inflation als größte Sorge betrachten. Erst danach folgten der Ukraine-Krieg, die Corona-Pandemie und der Klimawandel.
Die Ängste vor einer Inflation wurden vor Generationen gesät: Die Hyperinflation von 1923 ist fast 100 Jahre her und hat sich dennoch bis heute tief ins kollektive Gedächtnis der Deutschen gefressen. Sie wurde zu dem wirtschaftlichen Urerlebnis, das bis heute den Umgang mit Geld prägt. Die Radio-Bremen-Autoren Susanne Brahms und Rainer Krause begeben sich in "Geschichte im Ersten: 1923! Der lange Schatten der Inflation" auf Spurensuche bei Wirtschaftsexperten, Historikern und in Familiengeschichten: Was kann man aus der Geschichte lernen?
Die Geldentwertung von 1914 bis 1923 war eine der radikalsten einer großen Industrienation. Vier Billionen zweihundert Milliarden Mark waren am 15. November 1923 gerade mal einen US-Dollar wert. Die Inflation von 1923 lag bei über 29.000 Prozent und vernichtete Sparguthaben, Vermögen, Renten und Existenzen.
Über Generationen hinweg überlieferte Geschichten
Das hat sich tief ins kollektive Gedächtnis der Familien gegraben. Bei Bremen hält eine Familie eine Standuhr in Ehren, die die Großmutter 1923 noch eben schnell für 80 Millionen Mark gekauft hat. Ein Münchner erzählt, dass ihn seine Eltern in der Notzeit 1923 einfach bei einem Bauern abgegeben haben, weil sie ihn nicht mehr ernähren konnten – er sah sie nie wieder. Dass ein Anzug beim Schneider an einem Tag eine Summe kostete, für die man am Tag drauf nur noch die Knöpfe bekam – das sind Geschichten, die von Generation zu Generation weitergegeben wurden. Vor allem in den großen Städten führte die Inflation zu großer Not – konnten sich die Stadtbewohner doch nicht selbst versorgen. Doch es gab auch Profiteure: Schieber, Schwarzmarkthändler, Besitzer von Devisen erlebten ihre große Stunde. "Für ´nen Dollar in der Tasche gab‘s nicht halb, es gab ganz Berlin zu kaufen!", erzählt Historiker Björn Weigel.
Überraschende Erkenntnis: Die Deutschen haben unverdrossen schon kurz nach der Inflation 1923 wieder ihr Geld auf die Bank getragen. "Sparwunder" nannten das die Zeitgenossen und rieben sich erstaunt die Augen.
Es halten sich viele Mythen rund um diese Inflation. Sind tatsächlich die Armen am stärksten betroffen gewesen oder hat die Inflation die Schere zwischen arm und reich verringert? War die Inflation von Anfang an eine Katastrophe oder hat sie womöglich dabei geholfen, die Wirtschaft im Deutschen Reich nach dem Ersten Weltkrieg wieder aufzubauen? War die Inflation Ursache für die Machtergreifung der Nazis? Und: Wiederholt sich die Geschichte gerade? Welche Unterschiede oder auch Gemeinsamkeiten gibt es zwischen der Inflation heute und der von 1923?
Warum ein Mord die Inflation weiter anheizte
Die Radio-Bremen-Autoren Susanne Brahms und Rainer Krause begeben sich auf Spurensuche in Archiven und Familienerinnerungen. Sie besuchen Händler, für die die riesengroßen Inflationsscheine ein gutes Geschäft sind, vor allem in China! Am Grab von Walter Rathenau auf dem Waldfriedhof von Oberschöneweide besprechen sie, warum die Ermordung des damaligen Außenministers die Inflation weiter anheizte "Die Ermordung von Walter Rathenau hat im Grunde auch die Ermordung der Mark bedeutet", sagt Fondsmanager und Buchautor Georg von Wallwitz.
Und sie klären mit Social Media-Influencer Robin Kiera und anderen Finfluencern, ob für sie heute die historische Inflation noch Lehren bereithält.
Ein Film von Susanne Brahms und Rainer Krause
Eine Produktion der BlindCat Documentary GmbH im Auftrag von Radio Bremen für Das Erste 2022.
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