Mo., 05.12.22 | 23:50 Uhr
Das Erste
Geschichte im Ersten: #unterAlmans
Salwa Houmsi trifft Menschen, die in den letzten 70 Jahren nach Deutschland kamen. Sie erzählen ihre Geschichte von Deutschland Ost und West als zweiter Heimat, von ihren Hoffnungen und Enttäuschungen. Sie tauschen sich aus über Wut, Heimat und die Frage, was Deutschsein für sie bedeutet. Was Einwanderungsland in Wahrheit heißt, wo Rassismus salonfähig war und ist und ob sie sich anders heimisch fühlen als ihre Großeltern, die ersten Einwanderer.
Salwa Houmsi, gerade ausgezeichnet mit dem Deutschen Fernsehpreis und Moderatorin von "13 Fragen" und "Aspekte", geht der Frage nach, was man aus den Etappen der Vergangenheit mitnehmen kann und ob und unter welchen Voraussetzungen Deutschland in Zukunft mit Stolz sagen kann: "Wir sind ein Einwanderungsland und das ist auch gut so!" Es wird eine bunte, generationenübergreifende, emotionale Reise durch die Jahrzehnte.
Comedian Özcan Cosar macht auf der Bühne Witze über gute und schlechte Ausländer und erzählt, wie es in den 90er Jahren noch völlig normal war als "Scheiß Türke" angefeindet zu werden. Politikerin Aminata Touré erklärt, dass ihre Heimat selbstverständlich Schleswig-Holstein ist und wie sie Menschen ermutigen will, aus den Schubladen auszubrechen, in die sie gesteckt werden.
Ata Canani hat schon in den 1980er Jahren die Probleme der Gastarbeiter besungen – sogar bei Biolek im Fernsehen. Heute steht er immer noch auf der Bühne und fordert: "Auch wenn wir in Hanau erschossen werden: Deutschland ist auch unsere Heimat, wir sind ein Teil von Deutschland!" Daniel Magel kommt aus Kasachstan nach Bremen und muss erleben, dass er sich zwar als Deutscher fühlt, das viele aber anders sehen.
Huong Trute erlebt als Kind den Vietnamkrieg und nutzt die Chance, für eine Ausbildung in die DDR zu gehen. Hautnah erlebt sie, wie zu Wendezeiten Tausende vietnamesische Vertragsarbeiter der DDR von ost- und westdeutscher Politik einfach vergessen wurden. Heute betreibt sie ein Restaurant in Wernigerode und ist eigentlich rundum zufrieden – wenn da nicht ein Drohbrief wäre …
Es geht um die Menschen, die eine Migrationsbiographie haben und also "unter Almans" – inmitten einer biodeutschen Mehrheitsgesellschaft – leben. Ihre Erfahrungen eröffnen eine neue Perspektive auf deutsche Geschichte. Sie erzählen, warum ihre Eltern, die oft als "Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter" in die Bundesrepublik, kamen, eben nicht, wie vorgesehen, in ihre Heimat zurückkehren konnten oder wollten. Auch wenn man ihnen die Politik inmitten der Wirtschaftskrise der 80er Jahre dafür einiges an Geld geboten hatte.
Sie erzählen auch, wie nach der Wende die rassistische Stimmung gegen Migrantinnen und Migranten stärker wurde und wie sie unter der Gewalt gelitten haben. Sie beschreiben, wie sich eine "Kopftuch-Debatte" und antimuslimischer Rassismus ganz konkret in ihrem Alltag auswirkt, weil sie keinen Job und keine Wohnung finden. All diese persönlichen Geschichten trägt Salwa Houmsi zusammen und formuliert daraus Fragen. Wie können durch Migration zerrissene Familien dieses Trauma überwinden und im Einwanderungsland eine Heimat finden? Was ist der gesellschaftliche Nährboden für Rassismus und wie kann man loswerden? Was muss ein Land den Eingewanderten bieten, damit sie sich sicher fühlen? Und wie umfassend nutzt Deutschland das große Potenzial von Menschen mit Migrationsgeschichte?
Antworten sucht Salwa bei Expertinnen und Experten auf diesem Gebiet: Naika Foroutan (dt. Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung), Ozan Zakariya Keskinkiliç (Politikwissenschaftler) und Marina Weisband (Psychologin) erläutern im Gespräch mit Salwa Houmsi Zusammenhänge, geben Lösungsansätze – und Prognosen. Die deutsche Gesellschaft wird sich unweigerlich globalisieren, doch das wird nicht ohne Widerstand aus dem rechten Spektrum geschehen. Was also tun?
Doch es gibt nicht nur die schlechten Erfahrungen, zerplatzte Träume und angestaute Frustration. Es gibt auch Menschen, die in Deutschland glücklich geworden sind, die hier ein Zuhause gefunden und die Ziele in ihrem Leben erreicht haben – trotz der Traumata in ihrer Vergangenheit. Haeng-Ja Fischer kam als junge Koreanerin in den 1960er Jahren nach Bochum, um als Krankenschwester zu arbeiten. Sie floh vor einer koreanischen Gesellschaft, in der Frauenrechte noch nicht auf der Tagesordnung standen. Ihre Hoffnungen haben sich erfüllt, sie hatte ein erfülltes Arbeitsleben, ihre Kinder konnten eine gute Ausbildung bekommen und heute will sie Deutschland etwas zurückgeben: Seit 2015 hat sie einen jungen Mann, der aus Eritrea geflohen ist, bei sich aufgenommen.
Auch Abdul Saymoa ist heimisch geworden in Deutschland. Mit seiner syrischen Käserei beliefert er Supermärkte und Restaurants in ganz Deutschland. Er kam 2015 aus Syrien nach Deutschland und lebt mit seiner Familie im Saarland. Salwa Houmsi fragt auch andere, was Heimat für sie bedeutet. Ist es die Sehnsucht nach einem früheren Zuhause? Oder ist es ein Abendessen mit Freundinnen und Freunden? Für wen kann Deutschland eine Heimat sein?
"#unterAlmans" erzählt Migrationsgeschichten aus BRD und DDR, Geschichten aus der Nachkriegszeit, der Wende und von heute und montiert sie zu einer spannenden Zeitreise. Seltene Aufnahmen, unter anderem aus privaten Archiven, unterstreichen die persönliche Perspektive der Protagonistinnen und Protagonisten und erwecken Migrationsgeschichte seit den 1950ern mit vielen neuen Aspekten zum Leben.
Ein Film von Yasemin Ergin und Kristin Siebert, Sebastian Bellwinkel und Marlene Wynants
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