Die Verkehrswende ist abhängig von Zuverlässigkeit und Taktdichte im ÖPNV
Eine wissenschaftliche Analyse der ARD-Mitmachaktion #besserBahnfahren zeigt jetzt: Die meisten Deutschen werden nur dann vom Auto auf Busse und Bahnen umsteigen, wenn sich das ÖPNV-Angebot stark verbessert.
Wo kein Zug fährt, kann auch kein Mensch mitfahren….
Fahrtzeit, Wartezeit, Pünktlichkeit, Taktdichte, das sind nicht nur für einen Fahrgast aus dem Main-Kinzig-Kreis (Osthessen) die entscheidenden Faktoren. Im Zuge der ARD Mitmachaktion #besserBahnfahren sind fast 6000 solcher Erfahrungsberichte von Nutzer:innen des Öffentlichen Personen-Nahverkehrs (ÖPNV) eingegangen. Ein typisches Statement: „Es gibt oftmals nur wenige oder keine Verbindungen, die Wartezeiten sind dementsprechend lang, was auch für die Fahrtzeiten gilt, die im Vergleich zum Auto ein Vielfaches länger sind.“ Daraus ziehen Viele die Konsequenz: „Das Deutschlandticket werde ich mir nicht kaufen.“
ARD-Mitmachaktion #besserBahnfahren lief über 4 Monate
Das Baden-Württemberg Institut für nachhaltige Mobilität hat die Publikumsaktion ausgewertet. Der Analyse zufolge ist Zuverlässigkeit das ausschlaggebende Kriterium der Deutschen bei der Wahl ihres Verkehrsmittels. In der Reihenfolge der danach wichtigsten Faktoren landen Taktdichte auf Platz 2 und die Fahr- und Wartezeit auf Platz 3 und 4, noch vor den Fahrpreisen. Vor Einführung des Deutschlandtickets hatten die Kosten noch weitaus mehr Gewicht bei der Frage Auto oder ÖPNV, sagt Verkehrsökologe Prof. Jochen Eckart von der Hochschule Karlsruhe, der das Auswertungsteam leitet. Fakt ist aber, dass es gerade bei der Zuverlässigkeit der Bahn hapert. Zu Jahresbeginn waren 27% der Fernzüge deutlich verspätet, im Juli 36%. Und auch jeder Zehnte Nahverkehrszug hat mehr als 5 Minuten Verspätung. Dabei fließen komplett ausgefallene Züge oder solche, die ihre Fahrt vorzeitig beenden genau so wenig in die Statistik ein wie ausgelassene Haltestellen.
Führt das Deutschlandticket dazu, dass Autos seltener genutzt werden?
Fragt man die Menschen im Land, dann sollte das wohl so sein. Das zeigt eine repräsentative Meinungsumfrage von Infratest Dimap im Auftrag des SWR. Der zufolge geben 23 Prozent der Besitzerinnen und Besitzer eines Deutschlandtickets an, seltener mit dem Auto zu fahren, seit sie das Ticket haben. „Das ist aus meiner Sicht ein überraschend deutlicher Beitrag zur erforderlichen Mobilitätswende“, so Prof. Jochen Eckart. Die ARD Mitmachaktion zeigt: 10 Prozent der Menschen, die ein Deutschlandticket besitzen, steigen vom Auto auf den ÖPNV um. Bei Personen ohne Deutschlandticket ist das so gut wie nie der Fall.
Wenn tatsächlich 10% der Nutzer:innen des Deutschlandtickets komplett vom Auto auf den ÖPNV umsteigen würden, wäre das ein spürbarer Beitrag zum Klimaschutz. Prof. Eckart berechnet den Einspar-Effekt dann auf ca. 1,6 Mio t pro Jahr. Das ist gut 1% der Treibhausgas-Emissionen des Verkehrssektors. Bei einem Teil-Umstieg entsprechend weniger. Allerdings ist der Absatz von Benzin und Diesel im Mai, dem Monat der Einführung des Tickets, zunächst nicht zurückgegangen, sondern gegenüber dem Vorjahresmonat sogar deutlich angestiegen.
Vielen bringt das Deutschlandticket offenbar nichts
Für 42 Prozent der von Infratest Dimap bundesweit Befragten (mehr als 2.700 Personen) kam die Nutzung des Deutschlandtickets allerdings nicht in Frage. 40 Prozent können sich den Kauf vorstellen und 16 Prozent haben bereits ein Deutschlandticket. Die meisten (72 %) Käufer des Deutschlandtickets hatten aber auch zuvor schon mindestens einmal pro Woche den ÖPNV genutzt. Abonniert wird das Deutschlandticket hauptsächlich von ÖPNV-Vielfahrern, Menschen unter 35 Jahren, die in Ballungsräumen wohnen. Das zeigt die repräsentative Umfrage von Infratest Dimap:
Dominanz des Autos ungebrochen
Für Nicht-Besitzer eines Deutschlandtickets ist immer noch das Auto das Verkehrsmittel der Wahl: Sieben von zehn (71 Prozent) fahren mehrmals pro Woche mit dem Auto. Kein Wunder, dass hierzulande 48,8 Millionen Pkw zugelassen wurden, ein neuer Rekord. Detlef Neuss, Bundesvorsitzender des Fahrgastverbands Pro Bahn, sagte der Tagesschau: "Die Kunden, die wirklich vom Auto auf den Nahverkehr umgestiegen sind, machen zwischen drei und acht Prozent der Neukunden aus. Das ist nicht so viel, das muss man ganz klar sagen. Die Leute strömen nicht massenweise vom Auto in die Züge."
Für eine erfolgreiche Mobilitätswende ist noch viel zu tun
Prof. Eckart ist weniger skeptisch. Seine Einschätzung: „Die Einführung des Deutschlandtickets hat eine Änderung des Verkehrsverhaltens bewirkt: Durch das Deutschlandticket wird der ÖPNV häufiger und das Auto seltener genutzt. Für eine Mobilitätswende müssen jedoch darüber hinaus Maßnahmen ergriffen werden, um den ÖPNV attraktiver zu machen und auch alle zu erreichen, die ihn noch nicht nutzen.“ Die Verkehrsunternehmen müssten deshalb, so Prof. Eckart, den ÖPNV dringend zuverlässiger bzw. pünktlicher machen und die Bundesländer als Aufgabenträger für höhere Taktdichte und kürzere Fahrt- und Wartezeit sorgen.