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Die Story im Ersten: Querdenker

Wie sich Menschen aus der Mitte radikalisieren

Demonstration
Demonstration | Bild: NDR

Seit anderthalb Jahren machen die "Querdenker*innen" Schlagzeilen. Aber wer sind diese Menschen, die meist maskenlos in großen Gruppen gegen die Corona-Strategie der Bundesregierung und oft auch gegen ‚das System‘ insgesamt demonstrieren? Die NDR-Autorinnen Svea Eckert und Caroline Schmidt haben drei von ihnen begleitet – und seltene Einblicke in eine Gruppe gewonnen, die sich zunehmend radikalisiert hat.

Viele Querdenker*innen kommen aus der Mitte der Gesellschaft. Leif H. und Jana H. etwa leben in einem Dorf in Schleswig-Holstein. Er ist Segellehrer, sie Kindergärtnerin gemeinsam haben sie vier Kinder. Anfangs war ihre Impfskepsis eher Nebensache. Doch das ändert sich im Frühjahr 2020. Schon im April stehen die beiden mit einem großen Schild auf dem Marktplatz in Eckernförde und fordern ein Ende der Corona-Maßnahmen. Ihr Protest wird die beiden schließlich bis an die Ränder des politischen Spektrums führen.

Querdenker Leif H. demonstriert in Kiel gegen die Corona-Maßnahmen der Regierung. Je länger die Pandemie dauert, desto radikaler sein Protest.
Querdenker Leif H. demonstriert in Kiel gegen die Corona-Maßnahmen der Regierung. Je länger die Pandemie dauert, desto radikaler sein Protest. | Bild: NDR / Henning Wirtz

Wieso werden Bürger*innen plötzlich zu Systemfeinden?

Dasselbe gilt für Selina F. aus Hamburg. Sie ist angehende Verwaltungsfachangestellte und hat zwei Kinder. Im März 2020 hält sie sich noch an die Corona-Maßnahmen, dann liest sie viel im Internet und sieht Deutschland plötzlich auf dem Weg in eine "Corona-Diktatur". Später eröffnet sie ihren eigenen Telegram-Kanal, stellt sich an die Spitze von "Querdenken Hamburg", initiiert Demonstrationen, zu denen wir sie begleiten können. Anders als die meisten ihrer Gruppe spricht sie mit den NDR-Journalistinnen, weil sie eine Verständigung noch immer für möglich und nötig hält.

Er hat sich in sozialen Medien radikalisiert: Marcel H. glaubte an Verschwörungstheorien. Inzwischen hat er den Ausstieg aus den Netzblasen geschafft.
Er hat sich in sozialen Medien radikalisiert: Marcel H. glaubte an Verschwörungstheorien. Inzwischen hat er den Ausstieg aus den Netzblasen geschafft. | Bild: NDR / Alexander Rott

Marcel H. weiß, wie schnell man sich radikalisieren kann. Auch er war mal "Systemgegner". Das war 2014, während der Ukrainekrise. Damals wurden seine Ansichten immer extremer. Irgendwann bezeichnete er Kanzlerin Merkel als "Führerin", die Deutschland in einen blutigen Krieg ziehen wolle. Die NDR-Autorinnen dürfen seine Facebook-Historie auswerten und können anhand der Einträge seine Radikalisierung unabhängig von seiner subjektiven Erinnerung exakt nachzeichnen. H. schaffte den Ausstieg aus den Verschwörungsblasen, heute studiert er und ist im SPD-Ortsverein aktiv.

Wie kommt es, dass etablierte Bürger*innen plötzlich zu Systemfeinden werden? Der Konfliktforscher Andreas Zick sieht uralte soziale Mechanismen am Werk. Befeuert werden sie besonders in Krisen durch die Sozialen Medien, die es Menschen in nie gekannter Weise erlauben, sich öffentlich auszutauschen und zu organisieren. Der Politologe Josef Holnburger untersucht seit Jahren Telegram-Gruppen und hat in der Corona-Krise ein enormes Wachstum an Interaktionen festgestellt: Noch nie waren so viele Menschen aus der Mitte der Gesellschaft Tag und Nacht in diesen Welten unterwegs – und viele hat das offenbar nachhaltig verändert.

Ein Film von Svea Eckert und Caroline Schmidt

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