Artensterben: Amphibien stark gefährdet

Es gibt Mittel gegen Unkraut oder gegen Insekten – sie werden im heimischen Garten oder in der Landwirtschaft verwendet. Sie erfüllen ihren Zweck: Die Ernte ist gesichert, die Ameisen bleiben aus der Küche fern. Aber was machen all diese Mittel mit dem Ökosystem, zu dem ja auch wir Menschen gehören? Einem Ulmer Forscherteam ist es gelungen, Auswirkungen von Pestiziden festzustellen: am Beispiel von Glyphosat und einer Kaulquappe.

Prof. Susanne Kühl, vom Institut für Biochemie und Molekularbiologie der Uni Ulm, untersucht mit ihrem Forschungsteam, wie sich bestimmte Pflanzenschutzmittel auf die Kaulquappe des Südafrikanischen Krallenfrosches auswirken. Aber warum gerade dieses Tier? Ein Grund ist: Die Kaulquappe ist größer als bei anderen Fröschen. Und so können die Forscher*innen Veränderungen deutlicher sehen.

Ein Krallenfroschembryo aus der Kontrollgruppe. Diese Kaulquappe hatte keinen Kontakt mit Neonikotinoiden
Gesunde Kaulquappe  | Bild: Uni Ulm / Dr. Hannah Flach

Herz und Hirn des Krallenfrosches sind massiv geschädigt

„So konnten wir beispielsweise recht einfach feststellen, dass unter Glyphosat-Einfluss die Mobilität der Kaulquappen erhöht ist, die Herzen deutlich langsamer schlagen oder die Hirnnerven stark verändert ausgebildet waren“, erklärt die Biologin. Es sind massive Fehlbildungen, die das Forscherteam erkennen konnte. Und nicht nur Herz und Gehirn sind betroffen, auch der Körper des heranwachsenden Frosches ist verkürzt, die Augen verkleinert und die Mobilität erhöht.

Glyphosat ist das meistverkaufte Unkrautbekämpfungsmittel der Welt

Und als wäre dieser Befund nicht beunruhigend genug: Die Fehlbildungen und Entwicklungsstörungen setzen bereits bei einer Glyphosat-Konzentration ein, die weltweit in Naturgewässern nachgewiesen wurde. „Erste Entwicklungsdefekte beobachten wir bei einer Konzentration von 0,1 mg/L Glyphosat“, erklärt Prof. Susanne Kühl. Aktuelle Befunde haben in natürlichen Gewässern deutlich höhere Konzentrationen von Glyphosat gefunden. Beispielsweise in den USA 1,7 mg/L, in Portugal 2,45 mg/L, in Kolumbien 2,78 mg/L oder deutlich gesteigert in China mit 15,21 mg/L; negativer Spitzenreiter ist eine Messung in Argentinien mit 105 mg/L. Sehr viele Lebensmittel, die wir in Deutschland kaufen können, stammen auch aus diesen Ländern.

Und welche Werte wurde in Deutschland gemessen? Die Wissenschaftlerin der Universität Ulm kann hier trotz vergleichbar geringerer Werte keine Entwarnung geben. Ihr sind die Messungen hierzulande nicht ausreichend. Zum einen müssten Messungen im Frühling, direkt nach dem Spritzen, stattfinden. Und sie fordert, direkt vor Ort, also im Tümpel neben dem bewirtschafteten Feld, nachzumessen.

Hannah Flach und Prof. Susanne Kühl
Dr. Hannah Flach und Prof. Susanne Kühl  | Bild: Uni Ulm / Vanessa Ihle

»Die Wirkung von Pestiziden ist demnach deutlich komplexer und Pestizide können eine deutlich breitere Tierwelt beeinflussen als bisher angenommen.«

Neueste Forschung blickt jetzt auf die Wirkung von Insektenvernichtungsmitteln

Neueste Ergebnisse von dem Forschungsteam beziehen sich nicht mehr rein auf Glyphosat, sondern zeigen auch negative Auswirkungen von Neonikotinoiden, also Insektenvernichtungsmitteln. Für die Biologin Prof. Susanne Kühl vom Institut für Biochemie und Molekulare Biologie an der Universität Ulm heißt das, dass diese Pestizide nicht nur, wie lange angenommen, bestimmte Pflanzen oder Insekten abtöten, sondern auch andere Tiere schädigen können: : „Das wiederum bedeutet, dass die Wirkung von Pestiziden eine deutlich breitere Tierwelt beeinflussen als bisher angenommen.“

Amphibien sind im Bereich der Wirbeltiere am stärksten vom Aussterben bedroht

Derzeit sind etwa 41 Prozent aller bekannten Amphibienarten akut vom Aussterben bedroht. Und die Gründe fürs Artensterben seien vielfältig, sagt Susanne Kühl: „Klimawandel, Zerstörung der Lebensräume durch Begradigung von Gewässern, Versiegelung der Landschaften, Einsatz von Düngemitteln und ganz speziell ein besonderer Pilz (Chytridpilz Batrachochytrium dendrobatits). Zudem gehören Schadstoffe zu den Hauptursachen. Dazu zählen Pestizide.“

»Grundsätzlich gilt, dass das Ökosystem auf einem komplexen Zusammenspiel vieler Arten aufbaut. Nimmt man hier einen Baustein heraus, hat das wiederum Einfluss auf andere Arten, unter Umständen eben auch auf uns Menschen. Das menschliche Leben fußt quasi auf dem Artenreichtum.«

Was bedeuten die Ergebnisse für uns Menschen?

Es gibt einen Zusammenhang zwischen dem Amphibiensterben mit Krankheiten beim Menschen, sagt die Biologin. „In einer Studie der Universität von Kalifornien konnte gezeigt werden, dass die Malariafälle in Panama und Costa Rica in den letzten Jahren signifikant gestiegen sind. Das Autorenteam geht davon aus, dass das Amphibiensterben für bis zu zwei Drittel dieser Malaria-Fälle verantwortlich ist. Schlicht aus dem Grund, weil die Anzahl der natürlichen Fressfeinde, die Amphibien, der Malaria-übertragenden Mücken zurückgegangen ist.“ Der Mensch muss sich immer als Bestandteil des Ökosystems betrachten, so ihr Fazit.

Gießkanne
Gießkanne  | Bild: Andrea Wieland

Was man konkret tun kann: Wieder mehr Natur in den Gärten zulassen

„Kein Einsatz von Pflanzenschutzmitteln, weniger mähen, mehr blühende heimische Pflanzen, mehr unordentliche Ecken im Garten“, empfiehlt Susanne Kühl. So könne die Natur und dadurch auch die Biodiversität mehr Raum in urbanen Gebieten gewinnen. Interessant sei in diesem Zusammenhang die Beobachtung, dass inzwischen der Artenreichtum in unseren Städten höher ist als in ländlichen Regionen mit intensiver Landwirtschaft, stellt die Wissenschaftlerin Prof. Susanne Kühl fest.

Tipps für Haustierbesitzer: Vorsicht bei Zeckenhalsbändern

In Tierarzneimitteln befinden sich auch Neonikotinoide, beispielsweise in Anti-Insekten-Mittel für Hunde und Katzen. So kann Imidacloprid in Zeckenhalsbändern für Hunde und Katzen enthalten sein, und zwar in vielfach höherer Menge als die 0,1 mg/L, bei denen das Forscherteam negative Effekte beobachten konnte. In den Zeckenhalsbändern für Hunde ist der Wirkstoff mit 1,25 g enthalten. Möglicherweise hat das auch negative Auswirkungen auf die Vierbeiner.

Bei Anti-Insekten-Sprays auf die Inhaltsstoffe achten

Der Stoff Acetamiprid, ebenfalls ein Neonikotinoid, findet sich auch in Klebestreifen gegen Fliegen oder in Anti-Insekten-Sprays gegen Fliegen, Ameisen, Bettwanzen, Flöhe, Milben, Motten oder Spinnen, die für die Anwendung von Möbeln gedacht sind. Und zwar ebenfalls in 20.000fach höherer Menge als die 0,1 mg/L, die in den Experimenten zu einem negativen Effekt führten.

Landwirtschaft ist auf Wasser angewiesen
Traktor fährt über Felder | Bild: MDR

Der Giftschrank steht weiterhin offen

Verboten sind diese Stoffe nicht. Und auch für ein Verbot von Glyphosat gibt es wenig Hoffnung. „Die Zulassung für Glyphosat wurde erst vor kurzem für weitere 10 Jahre in der EU verlängert“, erklärt Prof. Susanne Kühl. Sie würde sich wünschen, dass regelhaft und deutlich mehr Pestizid-Messungen in Kleingewässern nahe landwirtschaftlich bewirtschafteter Felder erhoben werden würden. Und zwar direkt nach dem Ausbringen der Pestizide und Regenfällen, damit wir ein klareres Bild zu den realen Höchstwerten in den für Kaulquappen relevanten Gewässern bekämen.

Und wenn Prof. Susanne Kühl noch einen Wunsch frei hätte?

„Dann würde ich mir wünschen, dass die Ausbringung von Pestiziden stark eingeschränkt und auf ein absolutes Mindestmaß beschränkt werden würde, und zwar weltweit.“ Denn in der Realität sähe es bislang so aus: „Außerhalb der EU gibt es kaum eine Begrenzung zum Einsatz von Pestiziden.“ In der EU gibt es je nach Wirkstoff und Anwendungsgebiet Unterschiede in der Zulassung. Ein Neonikotinoid beispielsweise – das Acetamiprid – ist in der EU noch bis 2033 zugelassen. Die anderen untersuchten Pestizide sind in der EU zwar im Freigelände verboten, aber Notfallzulassungen sind für die Landwirtschaft noch immer möglich.