Faktencheck zu "maischberger"
Sendung vom 10.01.2024
Faktencheck
Bei Maischberger wird engagiert diskutiert, Argumente werden ausgetauscht, es wird auch schon mal emotional und manchmal bleibt am Ende keine Zeit, um alles zu klären. Wenn Fragen offen bleiben, Aussagen nicht eindeutig waren oder einfach weitere Informationen hilfreich sein könnten, schauen wir nach der Sendung noch einmal drauf – hier in unserem Faktencheck.
Und das schauen wir uns an:
- Zahlen Spitzenverdiener heutzutage weniger Steuern als unter Helmut Kohl?
Zahlen Spitzenverdiener heutzutage weniger Steuern als unter Helmut Kohl?
Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) und Sandra Maischberger diskutierten in der Sendung u.a. über die Ausgestaltung des Spitzensteuersatzes. Sandra Maischberger merkte an, dass Vielverdienende heutzutage weniger Einkommensteuern zahlen müssten als noch unter Bundeskanzler Helmut Kohl. Lindner widersprach.
Lindner: "Sie als Topverdienerin zahlen eben auch prozentual –"
Maischberger: "Ich zahle weniger bei Ihnen als bei Helmut Kohl. Hab ich mir gar nicht gewünscht."
Lindner: "Nee, das stimmt nur dann, wenn Sie einen schlechten Steuerberater haben."
Maischberger: "Nein, es stimmt einfach wirklich."
Lindner: "Nein, es stimmt nicht."
Maischberger: "Herr Lindner, es stimmt einfach. Ich zahle seit 30 Jahren Steuern. Ich weiß es."
Lindner: "Aber es stimmt aus einem Grund nicht."
Maischberger: "Ich kann Ihnen meine Steuererklärung zeigen. Das geht ein bisschen zu weit hier, aber es ist tatsächlich so, dass ich bei Ihnen weniger zahle als damals."
Lindner: "Aber ich sage Ihnen, warum es nicht stimmen kann. Der Spitzensteuersatz unter Helmut Kohl – das ist ein Standardargument übrigens der politischen Linken – der betrug zwar 53 Prozent. Die Ausnahmetatbestände waren aber größer."
(…)
Maischberger: "Menschen, die so viel verdienen wie ich, zahlen heute weniger Steuern, als sie es damals getan haben. Stellen wir gerne in den Faktencheck."
Lindner: "Können wir machen."
Maischberger: "Absolut. Trifft auf Sie ganz genauso zu wie auf mich."
Lindner: "Aber bitte dann nicht nach der Prozentzahl."
Stimmt das? Zahlen Spitzenverdiener heutzutage weniger Steuern als unter Helmut Kohl?
Um diese Frage beantworten zu können, muss man zunächst verstehen, wie die Einkommensteuer überhaupt berechnet wird. Als Berechnungsgrundlage dient immer das sogenannte zu versteuernde Einkommen (zvE). Dieses ergibt sich aus der Summe aller Einkünfte abzüglich der Werbungskosten, Freibeträge und sonstigen abzugsfähigen Ausgaben. Das zu versteuernde Einkommen ist also immer niedriger als das Brutto-Einkommen. In welcher Höhe das Einkommen besteuert wird, legen die verschiedenen Steuertarife fest. Diese sind progressiv gestaffelt, das heißt, sie steigen mit dem zu versteuernden Einkommen an. Die Grenzen werden dabei regelmäßig angepasst. Im Jahr 2024 gelten gemäß Paragraph 32a Einkommensteuergesetz (EStG) folgende Steuertarife:
Die Besteuerung verläuft dabei schrittweise. Das bedeutet: Wer ein zvE von über 277.826 Euro hat, der wird nicht pauschal mit 45 Prozent besteuert. Stattdessen wird das zvE für die Berechnung anhand der fünf oben gezeigten Steuertarife zerlegt und dementsprechend ausdifferenziert besteuert. So wird der Reichensteuersatz von 45 Prozent nur auf den Teil des Einkommens angewendet, der die Grenze von 277.825 Euro übersteigt. Diesem Prinzip folgend gilt auch der Grundfreibetrag für jeden Steuerzahler – egal, ob sein zvE 10.000 oder 10 Millionen Euro beträgt.
Wie hoch war der Spitzensteuersatz unter Bundeskanzler Kohl?
In den ersten acht Jahren der Kanzlerschaft Helmut Kohls (CDU), also zwischen 1982 und 1990, lag der Spitzensteuersatz bei 56 Prozent. Dieser galt ab einem zvE von 130.000 D-Mark. Eingeführt hatte diesen Steuersatz noch Kohls SPD-Vorgänger Helmut Schmidt. 1990 senkte ihn die Kohl-Regierung auf 53 Prozent ab einem zvE von 120.000 DM.
Zahlen Spitzenverdiener heutzutage weniger Steuern als unter Helmut Kohl?
Der Spitzensteuersatz war unter Kohl also höher als heutzutage und setzte zudem bereits bei einem niedrigeren zvE ein. Aber was bedeutet das im konkreten Fall?
Das Bundesfinanzministerium bietet auf seiner Website die Möglichkeit, die Steuerlast über die Jahrzehnte hinweg zu vergleichen. Ein Beispiel: Ein alleinstehender, selbstständig arbeitender Topverdiener mit einem zvE von 300.000 Euro müsste im Jahr 2023 eine Einkommensteuer von 116.692,00 Euro entrichten. Hinzu kommt der Solidaritätszuschlag, der ab einer Einkommensteuer von 17.543 Euro erhoben wird. In unserem Beispiel beträgt dieser 6.418,06 Euro. Insgesamt ergibt sich also eine Summe von 123.110,06 Euro, die in diesem Beispiel ans Finanzamt gezahlt werden müsste. Die durchschnittliche steuerliche Belastung liegt in diesem Fall bei 41,04 Prozent.
Zum Vergleich springen wir zurück in das Jahr 1995, als Kohl Kanzler war und der Spitzensteuersatz 53 Prozent betrug. Wieder gehen wir von einem zvE von 300.000 Euro aus, das der Online-Rechner des Finanzministeriums automatisch in D-Mark umrechnet. Die zu zahlende Einkommensteuer beträgt in diesem Fall umgerechnet 147.310,34 Euro. Der damals gerade neu eingeführte Solidaritätszuschlag schlägt mit 11.048,27 Euro zu Buche. So ergibt sich eine Gesamtsumme von 158.358,61 Euro – also knapp 35.000 Euro mehr als im Jahr 2023. 1995 ist die durchschnittliche steuerliche Belastung in diesem konkreten Beispiel knapp 10 Prozent höher als 2023.
Geht man also von einem gleichbleibenden zvE aus, zahlen Spitzenverdiener heutzutage tatsächlich weniger Steuern als unter Helmut Kohl. Allerdings haben sich in der Zwischenzeit die Rahmenbedingungen bei der Ermittlung des zvE verändert. In der Praxis konnten Vielverdiener während der Kohl-Jahre ihr zvE durch entsprechende Abschreibungen noch deutlich stärker senken, als es heutzutage möglich ist. Konkrete Zahlen sind hier schwer zu nennen, da die Ermittlung des zvE immer vom Einzelfall abhängt. Was man aber weiß: In den Neunzigerjahren war ein erheblicher Rückgang des Aufkommens aus veranlagter Einkommensteuer zu verzeichnen, zunächst von 41,5 Milliarden DM im Jahr 1992 auf 11,6 Milliarden DM im Jahr 1996 und schließlich 5,8 Milliarden DM im Jahr 1997. Gleichzeitig blieb das Lohnsteueraufkommen im gleichen Zeitraum nahezu unverändert (247,3 Milliarden DM im Jahr 1992 und 248,7 Milliarden DM im Jahr 1997). Laut Bundesfinanzhof wurde diese Entwicklung insbesondere auf die "Inanspruchnahme steuerlicher Gestaltungsmöglichkeiten durch gutverdienende Steuerpflichtige" zurückgeführt. Vereinfacht ausgedrückt: Durch Steuersparmodelle gingen dem Staat einige Milliarden an Einkommensteuer durch die Lappen.
Dem versuchte Gerhard Schröders rot-grüne Regierung ab 1998 mit entsprechenden Beschränkungen entgegenzuwirken. Begrenzt wurde z.B. der sogenannte Verlustabzug, durch den ein Steuerzahler sein zvE bis dahin ganz erheblich senken konnte. Auch Steuerersparnisse durch die Investition in geschlossene Fonds – z.B. Medien-, Immobilien- oder Schiffsfonds – wurden in den Folgejahren durch entsprechende Gesetzesänderungen praktisch unmöglich gemacht. Auf diese steuerrechtlichen Veränderungen spielte Christian Lindner in der Sendung an, als er sagte, Sandra Maischberger hätte unter Kohl nur dann mehr Steuern bezahlt, "wenn Sie einen schlechten Steuerberater haben".
Tatsächlich deuten die Zahlen darauf hin, dass die Einkommensteuer heutzutage effektiver erhoben wird als zu Zeiten Helmut Kohls. Zwischen 2005 und 2021 erhöhte sich der Anteil der veranlagten Einkommensteuer am Gesamtsteueraufkommen stetig von 2,2 auf 8,7 Prozent. Zum Vergleich: Im Jahr 1997 machte die veranlagte Einkommensteuer gerade mal einen Anteil von etwa 0,7 Prozent des Steueraufkommens aus.
Wie hat sich der Spitzensteuersatz nach Helmut Kohl weiterentwickelt?
Unter Bundeskanzler Schröder und Finanzminister Hans Eichel (beide SPD) wurde der Spitzensteuersatz zwischen den Jahren 2000 und 2005 schrittweise von 53 auf 42 Prozent abgesenkt. 2007 führte Schröders Nachfolgerin Angela Merkel (CDU) zusammen mit ihrem damaligen Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) die sogenannte Reichensteuer in Höhe von 45 Prozent ein. Diese setzte zunächst bei einem zvE von über 250.000 Euro an, in den Folgejahren ist die Grenze schrittweise gestiegen. Heute liegt sie bei knapp 278.000 Euro (siehe oben).
Wie wirkt sich die kalte Progression aus?
Als kalte Progression wird die schleichende Steuererhöhung bezeichnet, die sich ergibt, wenn die steuerliche Progression, also der Übergang in den nächsthöheren Steuertarif, nicht an die Preisentwicklung angepasst wird. Der Steuerzahler profitiert in diesem Fall nicht von seinen höheren Einkünften, ganz im Gegenteil: Er muss auf Grund der höheren Einkünfte sogar noch mehr Steuern zahlen. Diesen realen Einkommensverlust will die Ampel-Regierung durch eine Anhebung des Grundfreibetrags zum 1. Januar 2024 ausgleichen. Durfte man 2023 noch 10.908 Euro pro Jahr verdienen, ohne Steuern zahlen zu müssen, liegt dieser Betrag nun bei 11.604 Euro (siehe oben). Außerdem steigt der Kinderfreibetrag von bisher 6.024 Euro auf 6.384 Euro.
Fazit: Ob Spitzenverdiener heutzutage weniger Steuern zahlen müssen als unter Helmut Kohl, darüber waren sich Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) und Sandra Maischberger in der Sendung uneinig. Tatsächlich muss die Frage differenziert beantwortet werden. Geht man davon aus, dass das zu versteuernde Einkommen (zvE) damals und heute identisch ist, so ergibt sich für die Kohl-Jahre eine höhere Steuerlast als heute. Denn der Spitzensteuersatz war unter Kohl höher als heutzutage und setzte zudem bereits bei einem niedrigeren zvE ein. Gleichzeitig muss man jedoch bedenken, dass Spitzenverdiener zu Kohls Zeiten vielfältigere Möglichkeiten hatten, ihr zvE durch entsprechende Steuersparmodelle zu senken. Dies wurde durch Gesetzesänderungen der Regierung Schröder strenger reguliert. In der Folge stieg der Anteil der veranlagten Einkommensteuer am gesamten Steueraufkommen deutlich an. Insgesamt betrachtet kann man also davon ausgehen, dass die Einkommensteuer heutzutage effektiver erhoben wird als zu Zeiten Helmut Kohls.
Stand: 11.01.2024
Autor: Tim Berressem