Faktencheck zu "maischberger"

Sendung vom 16.01.2024

Faktencheck

Die Gäste (v.l.n.r.): Carlo Masala, Gregor Peter Schmitz, Yasmine M’Barek, Waldemar Hartmann, Janine WIssler
Die Gäste (v.l.n.r.): Carlo Masala, Gregor Peter Schmitz, Yasmine M’Barek, Waldemar Hartmann, Janine WIssler | Bild: WDR / Oliver Ziebe

Bei Maischberger wird engagiert diskutiert, Argumente werden ausgetauscht, es wird auch schon mal emotional und manchmal bleibt am Ende keine Zeit, um alles zu klären. Wenn Fragen offen bleiben, Aussagen nicht eindeutig waren oder einfach weitere Informationen hilfreich sein könnten, schauen wir nach der Sendung noch einmal drauf – hier in unserem Faktencheck.

Und das schauen wir uns an:

  • Wie soll der vom Landwirtschaftsminister geforderte Tierwohl-Cent genau funktionieren?

Wie soll der vom Landwirtschaftsminister geforderte Tierwohl-Cent genau funktionieren?

Unsere Kommentatoren diskutierten in der Sendung u.a. über die Einführung eines sogenannten Tierwohl-Cents, die aktuell von Landwirtschaftsminister Cem Özdemir gefordert wird. Der langjährige ARD-Moderator Waldemar Hartmann bezweifelte, dass sich eine solche Lebensmittelabgabe positiv für die Bauern auswirken werde. Stern-Chefredakteur Gregor Peter Schmitz gab außerdem zu bedenken, dass der Tierwohl-Cent vor allem unter dem sozialen Aspekt problematisch sei und deshalb politisch wohl keine Mehrheit finden werde. Wie genau die Abgabe nach den Plänen des Landwirtschaftsministers funktionieren soll, schauen wir uns hier noch einmal näher an. 

Mögliche Agrar-Entlastung: Wie soll der vom Landwirtschaftsminister geforderte Tierwohl-Cent genau funktionieren?

Maischberger: "Es gibt aber jetzt viele neue Ideen, die, wenn man hinguckt, gar nicht so neu sind. Also, der Tierwohl-Cent, den jetzt – da lachen Sie (gemeint ist Waldemar Hartmann, Anm. d. Red.) schon, weil das ist ein alter Hut, oder? Es kommt von Özdemir jetzt."

Hartmann: "Der eine sagt Bürokratieabbau und der andere baut gerade eine auf."

Maischberger: "Gut, ach so. Aber das wäre ja am Ende so, wenn ich das richtig gesehen habe, es gibt eine Verteuerung von Milch, Eiern, Fleisch. Die Berechnungen sagen, es kostet beim Fleischverbrauch den durchschnittlichen deutschen Bürger etwa 20 Euro im Jahr, bringt aber den Bauern 3,6 Milliarden pro Jahr. Nicht gut?"

Hartmann: "Frau Maischberger, ich glaube all diesen Zahlen nicht mehr."

Maischberger: "Okay."

Hartmann: "Weil ich nicht weiß, wie sie gewürfelt worden sind. Nach dem alten Spruch ‚Ich glaube nur der Statistik, die ich selbst gefälscht habe‘. Das sind Hochrechnungen von Wissenschaftlern, die dann weit weg von jedem Acker und jedem Stall sind. Und deswegen glaube ich das nicht."

(…)

Schmitz: "Ja, das wäre deutlich mehr Geld für die Bauern. Gleichzeitig wäre es natürlich eine Art Erhöhung der Preise für Lebensmittel und so weiter. Man muss dazu wissen, oder wir wissen es alle selber als Verbraucherinnen und Verbraucher, die Deutschen sind nicht bereit, viel Geld zu bezahlen für Lebensmittel, ja? Also, wir sind da extrem geizig gegenüber anderen Nationen. Und es ist nicht erkennbar, dass das jetzt Leuten helfen würde. Weil wer gibt am meisten für Lebensmittel aus? Das sind in der Regel Menschen, die nicht so viel verdienen. Die Agrarsubventionen werden über Steuern bezahlt, wo Besserverdiener mehr beitragen. Also, wenn man rein sozial wieder hinschaut, wäre das keine Verbesserung, glaube ich, für viele Menschen. Und deswegen glaube ich auch, dass es politisch nicht durchkommen wird. Und deswegen ist es ja auch schon mehrfach versucht worden und immer wieder still beerdigt worden."

Hintergrund: Wie soll der vom Landwirtschaftsminister geforderte Tierwohl-Cent genau funktionieren?

Seit Jahren ist in der Landwirtschaft ein zunehmender Trend zur Massentierhaltung zu beobachten, die Betriebe werden immer größer, Tiere müssen auf immer engerem Raum leben. So hat sich etwa die Anzahl der pro Betrieb gehaltenen Schweine seit dem Jahr 2005 mehr als vervierfacht. Tierschützer kritisieren diese Entwicklung. 

Um Maßnahmen zur Verbesserung des Tierwohls zu erarbeiten, setzte die frühere Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) im Jahr 2019 das "Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung" ein. In diesem Expertengremium kamen sowohl Wissenschaftler als auch Vertreter der Bauern- und Naturschutzverbände sowie Tierschützer zusammen. Den Vorsitz hatte Klöckners Amtsvorgänger Jochen Borchert (CDU), weswegen die Arbeitsgruppe oft auch als Borchert-Kommission bezeichnet wird. 

Im Jahr 2020 präsentierte die Kommission ein Konzept zur Umgestaltung der Nutztierhaltung und schlug darin die Einführung einer Tierwohlabgabe vor. Das Prinzip hinter diesem sogenannten Tierwohl-Cent ist simpel: Wer tierische Produkte kauft, soll dafür in Zukunft mehr bezahlen, damit die Bauern den zumeist kostspieligen Umbau ihrer Ställe zugunsten einer besseren Tierhaltung finanzieren können. Um den Investitionsbedarf zu decken, schlug die Borchert-Kommission vor, etwa zwei Cent pro Liter Milch, pro Kilogramm Milchprodukte und Eier, 15 Cent pro Kilo Käse, Butter und Milchpulver sowie 40 Cent pro Kilo Fleisch zu erheben.

Was das konkret für den Verbraucher bedeutet, zeigt eine Beispielrechnung: Laut Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) verzehrten die Deutschen im Jahr 2022 durchschnittlich 52,2 Kilogramm Fleisch pro Kopf. Würde man der Empfehlung der Borchert-Kommission folgen und eine Tierwohlabgabe von 40 Cent pro Kilo Fleisch erheben, würden sich die Mehrkosten für den Verbraucher also auf etwa 20 Euro pro Jahr belaufen. Führt man diese Berechnung für alle von der Abgabe betroffenen Produktgruppen durch, ergibt sich eine Gesamtsumme von ungefähr 30 Euro, die der durchschnittliche Verbraucher pro Jahr zusätzlich bezahlen müsste.

Auf der anderen Seite würden sich die Mehreinnahmen nach Berechnungen der Kommission auf etwa 3,6 Milliarden Euro jährlich belaufen, die direkt an die Tierhalter weitergegeben werden sollen. Zum Vergleich: Die Subvention des Agrardiesels, deren Abschaffung derzeit kontrovers diskutiert wird, belief sich bislang auf 440 Millionen Euro pro Jahr. 

Politisch wurde der Vorschlag der Borchert-Kommission bisher jedoch nicht umgesetzt, weder durch die damals noch amtierende Große Koalition unter Angela Merkel noch durch die Ampel-Koalition, die im Dezember 2021 ihre Regierungsgeschäfte aufnahm. Die Borchert-Kommission selbst löste sich im Sommer 2023 auf. Doch vor dem Hintergrund der aktuellen Bauernproteste setzte Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (B’90/Grüne) das Konzept nun erneut auf die Agenda. "Wir müssen das Rad nicht neu erfinden, vielmehr müssen wir es jetzt endlich mal einbauen", sagte Özdemir der Süddeutschen Zeitung. "Schon wenige Cent mehr pro Kilo Fleisch würden bedeuten, dass unsere Landwirte Tiere, Klima und Natur besser schützen können – so, wie es doch alle verlangen. Wer es wirklich ernst meint mit einer zukunftsfesten Landwirtschaft, muss da endlich springen", betonte der Agrarminister. Vertreter von SPD und FDP unterstützten den Vorstoß.

Kritiker hingegen bemängeln, dass nur diejenigen Landwirte von einer solchen Regelung profitieren würden, die sich auf tierische Produkte spezialisiert haben. Ein Landwirt, der ausschließlich Getreide anbaut, hat nichts von der Tierwohlabgabe. Als Kompensation für die auslaufende Agrardieselsubvention, die für alle Landwirte gleichermaßen gilt, könne der Tierwohl-Cent deshalb nicht betrachtet werden. 

Wie unser Studio-Gast Gregor Peter Schmitz bereits in der Sendung skizzierte, ist der Tierwohl-Cent auch unter dem sozialen Aspekt umstritten. Da die Abgabe direkt auf den Ladenpreis für tierische Produkte aufgeschlagen wird, findet hier keine Unterscheidung zwischen Geringverdienern und finanziell Bessergestellten statt – beide zahlen denselben Preis. Doch in Relation zum Gesamteinkommen geben Geringverdiener durchschnittlich rund 10 Prozent mehr Geld für Lebensmittel aus als Besserverdiener, wie Zahlen des Statistischen Bundesamts belegen. Die Abgabe würde also Menschen, denen von vornherein weniger Geld zur Verfügung steht, höher belasten. Darin unterscheidet sich der Tierwohl-Cent von anderen Agrarsubventionen, die aus den einkommensabhängig erhobenen Steuergeldern finanziert werden. 

Deutliche Kritik an Özdemirs Vorstoß kam zuletzt von der Wirtschaftsweisen Veronika Grimm. Eine Tierwohlabgabe sei aus ihrer Sicht nicht die richtige Maßnahme. "Statt vieler kleinteiliger Ideen, die jetzt wieder hervorgeholt werden, weil man sie schon immer durchsetzen wollte, braucht es eine Reformagenda aus einem Guss, die man den Menschen erklären kann", sagte Grimm dem Handelsblatt. "Dass diese Regierung die Kraft dazu hat, ist aktuell nicht ersichtlich." Dass die Politik zahlreichen Interessengruppen finanzielle Entbehrungen zumuten müsse, sei unvermeidlich. "Die Zumutungen werden aber nur dann im Rahmen bleiben, wenn wir es gemeinsam schaffen, auf einen Wachstumspfad zu kommen", betonte die Ökonomin. Das sei jedoch "unwahrscheinlich mit einer interventionistischen Wirtschaftspolitik, die immer die zahlreichen starken Interessengruppen und Lobbys bedienen muss".

Eine Einigung zur Umsetzung des Tierwohl-Cents gibt es bislang nicht. Die Ampel-Koalition kündigte lediglich an, noch im ersten Quartal konkrete Vorhaben zur Entlastung der Landwirte vorlegen zu wollen. Auch die Einführung einer Tierwohlabgabe werde in diesem Zusammenhang diskutiert, erklärte der SPD-Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich am gestrigen Dienstag (16.1.24). 

Fazit: Das Konzept des sogenannten Tierwohl-Cents wurde bereits im Jahr 2020 von einem Expertengremium aus Wissenschaftlern, Tier- und Naturschützern sowie Vertretern der Bauernverbände vorgelegt. Die Idee: Durch zusätzliche Abgaben auf tierische Produkte sollen die Landwirte beim tiergerechten Umbau ihrer Höfe unterstützt und das Tierwohl somit gestärkt werden. Durchschnittlich würden Verbraucher mit etwa 30 Euro pro Jahr zusätzlich belastet werden. Die Mehreinnahmen für die Tierhalter würden sich laut Berechnungen auf jährlich etwa 3,6 Milliarden Euro belaufen. Das Konzept wurde bislang nicht umgesetzt. Ob Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir trotz mitunter erheblicher Kritik eine Mehrheit für die Einführung des Tierwohl-Cents finden wird, bleibt abzuwarten. 

Stand: 17.01.2024

Autor: Tim Berressem