Faktencheck zu "maischberger"

Sendung vom 10.09.2024

Faktencheck

Die Gäste (v.l.n.r.): Paul Ronzheimer, Gregor Gysi, Jagoda Marinić, Florian Schroeder, Karl-Theodor zu Guttenberg, Carlo Masala
Die Gäste (v.l.n.r.): Paul Ronzheimer, Gregor Gysi, Jagoda Marinić, Florian Schroeder, Karl-Theodor zu Guttenberg, Carlo Masala | Bild: WDR / Oliver Ziebe

Bei Maischberger wird engagiert diskutiert, Argumente werden ausgetauscht, es wird auch schon mal emotional und manchmal bleibt am Ende keine Zeit, um alles zu klären. Wenn Fragen offen bleiben, Aussagen nicht eindeutig waren oder einfach weitere Informationen hilfreich sein könnten, schauen wir nach der Sendung noch einmal drauf – hier in unserem Faktencheck.

Und das schauen wir uns an:

  • Was hat es mit der geplanten Stationierung von US-Raketen in Deutschland auf sich?

Was hat es mit der geplanten Stationierung von US-Raketen in Deutschland auf sich?

Gregor Gysi (Die Linke) und Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) sprachen in der Sendung über die Stationierung US-amerikanischer Mittelstreckenraketen in Deutschland. Während zu Guttenberg die Stationierung als präventive Maßnahme zur Verhinderung eines Krieges bewertete, äußerte Gysi die Sorge, Deutschland könnte dadurch im Kriegsfall zum vorrangigen Ziel werden. Was es mit diesen Raketen genau auf sich hat, was geplant ist und welche Überlegungen dahinterstecken, schauen wir uns hier noch einmal näher an.

US-Raketen ab 2026 in Deutschland: Was hat es mit dem Beschluss auf sich?

Gysi: "Viele gehen ja davon aus, dass die USA Atomwaffen in Deutschland [haben], und wenn wir jetzt Mittelstreckenraketen bekommen, die bis Moskau fliegen können, dass unsere Sicherheit dadurch erhöht wird. Ich sehe das anders und sage, wenn es wirklich zu einem Krieg kommt, sind wir dann eines der ersten Kriegsziele, um das zu vernichten. Also, das ist hochinteressant, wie unterschiedlich man an diese Frage herangehen kann."

Maischberger: "Ja, weil man die Zukunft beurteilen muss, und sie ist noch nicht da. Wir müssen Chancen abwägen."

zu Guttenberg: "Und bei mir wäre dann, da würde ich sagen, ich gehe aus Kriegsverhinderungsaspekten in die andere Argumentationslinie hinein."

Gysi: "Verstehen Sie, so unterschiedlich. Und dann höre ich ihm zu und er hört mir zu, und dann stelle ich fest, das hat auch eine gewisse Logik. Und er stellt fest, das hat aber auch eine gewisse Logik."

Maischberger: "Aber geeinigt haben Sie sich in der Frage nicht?"

Guttenberg: "In der Frage haben wir uns tatsächlich nicht geeinigt und haben trotzdem danach eine gute Flasche Wein getrunken."

Hintergrund: Was hat es mit der geplanten Stationierung von US-Raketen in Deutschland auf sich?

Im Rahmen des NATO-Gipfels in Washington im Juli 2024 gaben die USA gemeinsam mit Deutschland bekannt, Mittelstreckenwaffen in Deutschland stationieren zu wollen. Dabei geht es um Marschflugkörper vom Typ Tomahawk mit mehr als 2.000 Kilometern Reichweite, um Flugabwehrraketen vom Typ SM-6 und um neu entwickelte Überschallwaffen. Ab 2026 sollen die ersten dieser Waffensysteme nach Deutschland gebracht werden. Wo genau die Raketen stationiert werden sollen, ist noch nicht bekannt.

Bei der Stationierung soll es sich um eine vorübergehende Maßnahme handeln. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) betonten mehrfach, dass mit den US-Raketen eine "Lücke" in der Abschreckungsfähigkeit Europas geschlossen werde, die seit dem Ende des sogenannten INF-Vertrags (engl. Intermediate Range Nuclear Forces Treaty) im Jahr 2019 besteht.

Der INF-Vertrag trat 1988 in Kraft und verpflichtete die USA, Russland und elf weitere Nachfolgestaaten der Sowjetunion, landgestützte ballistische Raketen und Marschflugkörper mit einer Reichweite zwischen 500 und 5.500 Kilometern sowie ihre Startvorrichtungen und Infrastruktur zu zerstören. Zudem verbot der Vertrag die Produktion neuer Waffen vergleichbaren Typs. Damit minderte das Abkommen deutlich das Risiko einer militärischen Eskalation zwischen den beiden Blöcken und galt daher als Meilenstein auf dem Weg zur Überwindung des Kalten Krieges. 2007 drohte Russland erstmals mit einem Ausstieg. Hintergrund waren Bedenken gegen ein neues US-Raketenabwehrsystem, das die Vereinigten Staaten in Rumänien stationierten. Mehrere US-Präsidenten warfen dagegen dem Kreml vor, mit der Entwicklung eines neuen Marschflugkörpers gegen den INF-Vertrag zu verstoßen. Am 1. Februar 2019 kündigte die US-Regierung unter Präsident Donald Trump den Vertrag schließlich mit einer sechsmonatigen Frist auf. Einen Tag später erklärte die Russische Föderation ebenfalls, den Vertrag zum August 2019 verlassen zu wollen. Und so geschah es dann auch: Am 2. August 2019 erklärten die USA und Russland den INF-Abrüstungsvertrag offiziell für beendet.

Um in Zukunft einen möglichen Angriff aus Russland effektiv abschrecken zu können, plant ein Zusammenschluss europäischer NATO-Mitglieder – dazu gehören Deutschland, Frankreich, Italien und Polen – nun die Entwicklung eigener Marschflugkörper mit einer Reichweite von mehr als 500 Kilometern. Diese Waffensysteme sollen nach Angaben der beteiligten Länder in fünf bis sieben Jahren einsatzbereit sein. Bis dahin soll die Abschreckung durch die Stationierung US-amerikanischer Raketen in Deutschland gewährleistet werden.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat die geplante Stationierung mehrfach verteidigt. Am Rande des NATO-Gipfels in Washington im Juli 2024 sprach Scholz von einer "sehr guten Entscheidung". Vizekanzler und Bundeswirtschaftsminister Rober Habeck (Die Grünen) bezeichnete die Entscheidung als notwendig, auch wenn er sich mit Aufrüstung nicht leicht tue. "Wir müssen die Wehrhaftigkeit steigern, weil wir in einer sehr bedrohlichen Zeit leben“, so Habeck am 11.7.2024 gegenüber der "Neuen Westfälischen".

Kritik an der Entscheidung bekam die Regierung teilweise aus den eigenen Reihen. So warnte SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich vor dem Risiko einer militärischen Eskalation. Unter den Oppositionsparteien sprechen sich vor allem die AfD und das BSW deutlich gegen die Raketenstationierung aus. Die BSW-Vorsitzende Amira Mohamed Ali betonte am 4.9.2024 im Deutschlandfunk: "Die Stationierung der US-Mittelstreckenraketen lehnen wir ganz strikt ab." Ihre Partei betrachte diese als eine Maßnahme, die die Kriegsgefahr für Deutschland unmittelbar erhöhe. Die scheidende Linken-Vorsitzende Janine Wissler warnte zudem vor einem Wettrüsten, das niemand gewinnen könne.

Fazit: Ab 2026 sollen reichweitenstarke Raketen und Marschflugkörper der US-Armee in Deutschland stationiert werden. Das gaben die beiden Staaten beim NATO-Gipfel im Juli 2024 bekannt. Dabei soll es sich um eine vorübergehende Maßnahme handeln, um mögliche Angriffe aus Russland abzuschrecken, solange Europa dies nicht eigenständig gewährleisten kann. Aktuell verfügen die europäischen Staaten nicht über eigene Mittelstreckenwaffen, diese sollen jedoch in absehbarer Zeit entwickelt und bereitgestellt werden. Diese Aufrüstung ist eine Reaktion auf die Kündigung des INF-Abrüstungsvertrags durch die USA und Russland. Während die Bundesregierung die Entscheidung, US-Raketen hierzulande zu stationieren, mehrfach verteidigte, äußern vor allem BSW und AfD deutliche Kritik an dem Entschluss.

Stand: 11.09.2024

Autor: Tim Berressem