Faktencheck zu "maischberger"
Sendung vom 17.09.2024
Faktencheck
Bei Maischberger wird engagiert diskutiert, Argumente werden ausgetauscht, es wird auch schon mal emotional und manchmal bleibt am Ende keine Zeit, um alles zu klären. Wenn Fragen offen bleiben, Aussagen nicht eindeutig waren oder einfach weitere Informationen hilfreich sein könnten, schauen wir nach der Sendung noch einmal drauf – hier in unserem Faktencheck.
Und das schauen wir uns an:
- Welche Maßnahmen sieht die EU-Asylrechtsreform vor?
Welche Maßnahmen sieht die EU-Asylrechtsreform vor?
Unsere Kommentatoren diskutierten in der Sendung u.a. über die temporären Grenzkontrollen, die Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) kürzlich anordnete. Michael Bröcker äußerte Verständnis für diesen Schritt, insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Reform des europäischen Asylsystems GEAS erst in zwei Jahren umgesetzt werde. Welche Maßnahmen diese Reform im Einzelnen umfasst, schauen wir uns hier noch einmal näher an.
Bröcker: "Wir haben ein Problem, dass [wir] bestimmte Gruppen, und zwar Zehntausende, noch mehr Geduldete, aber zehntausende Ausreisepflichtige in diesem Rechtsstaat nicht mehr hinaus bekommen. Obwohl der Rechtsstaat eigentlich gelten sollte. Vertrauen in die demokratischen Institutionen wird dadurch massiv beschädigt. Wenn ich die nicht rausbekomme, muss ich dann nicht wenigstens versuchen, weil diese rechtsstaatlichen Regeln so sind, dass weniger kommen? Wie sollen weniger kommen? Die Außengrenzen, die 2027 im GEAS – man muss sich das mal vorstellen, zwei Jahre lang dauert das noch, bis GEAS vielleicht ganz umgesetzt wird. Bis diese EU-Außengrenzen wirklich geschützt sind, sagt jetzt das Land Deutschland, das am meisten leider bedrängt wird, weil eben die Flüchtlinge doch durchgewunken werden von anderen Ländern, die eigentlich die Asylverfahren machen müssten – so herum wird vielleicht auch mal ein Schuh draus. Jetzt sagt Deutschland, wir machen Grenzkontrollen. Die sind natürlich keine Ideallösung, aber natürlich können sie Menschen kontrollieren, sie können Menschen registrieren, und sie könnten sogar theoretisch Menschen zurückweisen. Dann macht es das nächste Land auch, das nächste Land auch, und plötzlich sind wir wieder an der EU-Außengrenze. Die Logik ist eigentlich ziemlich bestechend, wenn das Eine nicht funktioniert hat, nämlich im Land Ordnung zu schaffen."
Hintergrund: Welche Maßnahmen sieht die EU-Asylrechtsreform vor?
Um eine Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) wurde viele Jahre politisch gerungen. Insbesondere die Frage, wie die in Europa ankommenden Flüchtlinge verteilt werden, sorgte immer wieder für Diskussionen zwischen den Mitgliedstaaten. Doch am 14. Mai 2024 einigten sich der Europäische Rat und das Europäische Parlament schließlich auf verbindliche Richtlinien.
Strengere Kontrollen an EU-Außengrenzen
Der wesentliche Kern der Reform besteht darin, alle an den EU-Außengrenzen ankommenden Schutzsuchenden zunächst auf ihren potenziellen Anspruch auf einen Schutzstatus zu überprüfen. Haben Menschen eine Staatsangehörigkeit, deren Asyl-Anerkennungsquote bei unter 20 Prozent liegt, sollen sie an der Grenze festgehalten werden. Ihr Anspruch auf Asyl soll dann direkt vor Ort und innerhalb von zwölf Wochen im sogenannten Grenzverfahren festgestellt werden. Für die Dauer des Verfahrens gelten diese Menschen juristisch als nicht in die EU eingereist, obwohl sie bereits europäischen Boden betreten haben. Wer nach dem Grenzverfahren keine Aussicht auf Asyl hat, soll direkt abgeschoben werden – entweder in das Herkunftsland oder in einen "sicheren Drittstaat", wenn die Person eine Verbindung zu dem Drittstaat hat, etwa durch dort lebende Angehörige. Von den strikten Abschiebeverfahren ausgenommen sind unbegleitete minderjährige Flüchtlinge.
Um die Grenzverfahren durchzuführen, wollen die EU-Mitgliedsländer zunächst 30.000 Plätze in Grenzlagern schaffen, nach vier Jahren sollen es 120.000 sein.
Menschen mit einer Staatsangehörigkeit, deren Asyl-Anerkennungsquote über 20 Prozent liegt, durchlaufen das herkömmliche Asylverfahren. Im Gegensatz zu den Menschen im Grenzverfahren dürfen sie hierfür rechtmäßig in das Hoheitsgebiet der EU einreisen.
Gerechtere Verteilung innerhalb Europas
Ein weiteres Kernelement der Reform betrifft die Verteilung von Schutzsuchenden innerhalb Europas. Hier soll es künftig einen sogenannten Solidaritätsmechanismus geben, durch den diejenigen EU-Staaten entlastet werden, in denen besonders viele Geflüchtete ankommen, etwa Italien oder Griechenland. Durch die Reform sollen pro Jahr mindestens 30.000 Migranten aus diesen Ländern in andere EU-Staaten umverteilt werden. EU-Mitglieder, die die Aufnahme verweigern, müssen stattdessen Strafzahlungen leisten. Die Rede ist von 20.000 Euro pro Migrant. Alternativ können sie Grenzbeamte zur Unterstützung an der EU-Außengrenze entsenden oder migrationspolitische Projekte in Drittländern finanzieren.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen wertete die Reform als wichtigen Schritt, um das "richtige Gleichgewicht zwischen strengeren Regeln gegen den Missbrauch des Systems und der Fürsorge für die Schwächsten" zu schaffen. Bundeskanzler Olaf Scholz sprach von einem "historischen, unverzichtbaren Schritt". Die Reform stehe "für die Solidarität unter den europäischen Staaten". Mit den neuen Regelungen werde die irreguläre Migration begrenzt und sie entlasteten "endlich die Länder, die besonders stark betroffen sind".
Kritik an den beschlossenen Regelungen kam hingegen von zahlreichen Nichtregierungsorganisationen, besonders im Hinblick auf die geplanten Grenzverfahren in Lagern an der EU-Außengrenze. Die Reform sei "beschämend", so eine Sprecherin der Menschenrechtsorganisation Amnesty International. Für Menschen auf der Flucht vor Konflikten, Verfolgung oder wirtschaftlicher Unsicherheit bedeute die Reform "weniger Schutz und ein größeres Risiko, europaweit mit Menschenrechtsverletzungen konfrontiert zu werden". Weitere Organisationen, darunter der katholische Dachverband Caritas Europa, Pro Asyl und Ärzte ohne Grenzen bewerteten die Reform ebenfalls kritisch.
Wie Michael Bröcker in der Sendung bereits andeutete, haben die EU-Mitgliedstaaten zwei Jahre Zeit, um die verabschiedete Reform in die Praxis umzusetzen. Ab Juli 2026 sollen die vereinbarten Regelungen angewendet werden.
Fazit: Die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) besteht aus zwei wesentlichen Kernelementen: Strengere Kontrollen an den EU-Außengrenzen und gerechtere Verteilung innerhalb Europas. Menschen mit geringer Aussicht auf Asyl sollen künftig an den Außengrenzen festgehalten werden, beschleunigte Asylverfahren durchlaufen und bei negativem Ergebnis direkt abgeschoben werden. Für die Dauer dieses sogenannten Grenzverfahrens sollen die Menschen in eigens dafür errichteten Lagern an der Außengrenze untergebracht werden, was insbesondere von Menschenrechtsorganisationen scharf kritisiert wird. Die Verteilung der Schutzsuchenden soll durch einen sogenannten Solidaritätsmechanismus gerechter gestaltet werden. EU-Staaten, die die Aufnahme von Migranten verweigern, müssen dies durch Strafzahlungen oder alternative Leistungen kompensieren. Aktuell hat die Reform aber noch keine praktischen Auswirkungen. Erst ab Juli 2026 sollen die vereinbarten Regelungen angewendet werden.
Stand: 18.09.2024
Autor: Tim Berressem