Faktencheck zu "maischberger"

Sendung vom 01.10.2024

Faktencheck

Die Gäste (v.l.n.r.): Jan Fleischhauer, Nicole Diekmann, Philipp Türmer, Wolfgang Bosbach, Béla Réthy, Renate Künast
Die Gäste (v.l.n.r.): Jan Fleischhauer, Nicole Diekmann, Philipp Türmer, Wolfgang Bosbach, Béla Réthy, Renate Künast | Bild: WDR / Oliver Ziebe

Bei Maischberger wird engagiert diskutiert, Argumente werden ausgetauscht, es wird auch schon mal emotional und manchmal bleibt am Ende keine Zeit, um alles zu klären. Wenn Fragen offen bleiben, Aussagen nicht eindeutig waren oder einfach weitere Informationen hilfreich sein könnten, schauen wir nach der Sendung noch einmal drauf – hier in unserem Faktencheck.

Und das schauen wir uns an:

  • Was war der Auslöser für den Eklat im Thüringer Landtag?

Was war der Auslöser für den Eklat im Thüringer Landtag?

Die Kommentatoren diskutierten in der Sendung u.a. über den Eklat bei der konstituierenden Sitzung des thüringischen Landtags. Jan Fleischhauer sagte, die AfD sei dabei einem "Drehbuch" gefolgt, wohingegen die übrigen Fraktionen am Ende durch ein Urteil des thüringischen Verfassungsgerichtshofs gerettet worden seien. Was im Einzelnen bei der ersten Landtagssitzung vorgefallen ist und wie das Gericht letztlich entschieden hat, schauen wir uns hier noch einmal näher an.

Eklat in Erfurt: Was passierte bei der konstituierenden Sitzung des Thüringer Landtags? | Video verfügbar bis 01.10.2025

Fleischhauer: "Die Einen hatten ja hier ein Drehbuch, das haben sie ja auch durchgezogen, das sieht man – die AfD. Die haben sich mal angeguckt, was geht, was sind die Abläufe, wo sind noch Unklarheiten. Das gibt’s immer in Geschäftsordnungen von Landtagen. Das nutzen wir jetzt aus. Und die anderen dachten offenbar, dass sie mit ein paar Zwischenrufen und irgendwie der Macht, weil sie ja in der Mehrheit sind, das erledigen können. Das konnten sie halt nicht, und das beobachte ich öfter im Umgang mit der AfD, dass man offenbar immer noch es sich zu leicht macht, sich eben nicht richtig vorbereitet. Und mal darüber nachdenkt, also wenn die das machen, dann kommen wir mit dem Schachzug. Am Ende wurden sie gerettet vom thüringischen Verfassungsgerichtshof, der eben ihren Anträgen stattgegeben hat."

Hintergrund: Was war der Auslöser für den Eklat im Thüringer Landtag?

Der Streit während der konstituierenden Sitzung des 8. Thüringer Landtags am 26. September 2024 drehte sich um die Wahl des Landtagspräsidenten. Diese Wahl ist ein zentraler Tagesordnungspunkt jeder konstituierenden Sitzung, denn erst wenn das Amt des Landtagspräsidenten bekleidet ist, kann der Landtag seine eigentliche Arbeit aufnehmen. Nach der thüringischen Landesverfassung muss das innerhalb von 30 Tagen nach der Landtagswahl geschehen.

Gestritten wurde im Thüringer Landtag zunächst über den Modus der Präsidentenwahl. Konkret ging es um die Frage, welche Fraktion einen Kandidaten vorschlagen darf. Bislang galt die Regelung, dass die stärkste Fraktion, aktuell also die AfD, über das erste Vorschlagsrecht verfügt. CDU und BSW wollten die Geschäftsordnung durch einen entsprechenden Antrag ändern, damit auch die übrigen Fraktionen bereits im ersten Wahlgang einen Kandidaten vorschlagen können.

Der Hintergrund: Auch wenn es aus pragmatischen Gründen üblich ist, dass nach einem erfolglosen ersten Wahlgang auch die übrigen Fraktionen einen Kandidaten aufstellen, ist dies in der Geschäftsordnung nicht explizit festgeschrieben. CDU und BSW befürchteten deshalb eine Blockadehaltung der AfD, der sie durch den Änderungsantrag vorbeugen wollten.

Alterspräsident der AfD ignorierte Änderungsantrag

Der AfD-Politiker Jürgen Treutler, der die Sitzung als Alterspräsident leitete, ignorierte diesen Antrag jedoch und ließ nicht über die geforderte Änderung abstimmen. Er ließ keine Wortmeldungen zu, erteilte Ordnungsrufe, wollte sogar die Mikrofone abstellen lassen. Zudem unterbrach er die Sitzung mehrfach. Als auch nach vier Stunden immer noch keine Einigung in Sicht war, vertagte man die Sitzung schließlich. Die CDU rief den thüringischen Verfassungsgerichtshof an, um über den Streit zu entscheiden.

In einem Eilverfahren urteilten die Weimarer Richter schon am Tag nach der unterbrochenen Sitzung, dass der AfD-Politiker Treutler seine Kompetenzen als Alterspräsident überschritten und die Rechte der Abgeordneten mehrfach verletzt habe. Er hätte in der Sitzung die Beschlussfähigkeit des Parlaments feststellen und anschließend im Rahmen der Tagesordnung über den Änderungsantrag von CDU und BSW abstimmen lassen müssen, so das Gericht.

Thüringer Verfassungsgerichtshof: Alterspräsident darf Anträge nicht ablehnen

Treutler selbst hatte argumentiert, dass der Landtag die Geschäftsordnung nur ändern könne, wenn er konstituiert ist, also bereits ein Präsident oder eine Präsidentin gewählt ist. Der Thüringer Verfassungsgerichtshof machte deutlich, dass Treutler damit falsch liegt. Das Parlament hat ein Selbstorganisationsrecht, das sich aus der Verfassung ergibt. So dürfen sich die Abgeordneten selbst ihre Regeln (die Geschäftsordnung) geben. Und das sei jederzeit möglich, so die Richterinnen und Richter: "Die Thüringer Verfassung trifft keine Regelung zur Reihenfolge der einzelnen Konstituierungshandlungen. Die Verfassung gibt insbesondere nicht vor, dass die Wahl des Landtagspräsidenten noch vor dem Beschluss einer Geschäftsordnung zu erfolgen hat."

Zur Aufgabe des Alterspräsidenten stellte das Gericht fest: "Er hat allein eine 'dienende Aufgabe' gegenüber dem Parlament, indem er die Handlungs- und Arbeitsfähigkeit des neu gewählten Landtags herbeiführt. Aus dieser Stellung folgt insbesondere, dass er weder zu einer Entscheidung über die Auslegung der Geschäftsordnung befugt ist noch Anträge des Plenums ablehnen darf."

Am Samstag, den 28.9.2024, wurde die konstituierende Sitzung fortgesetzt. Alterspräsident Treutler folgte dem Gerichtsurteil und ließ den Landtag über den Antrag von CDU und BSW abstimmen. Die Mehrheit votierte für eine Änderung des Vorschlagsrechts. So konnten CDU, BSW, Linke und SPD schon im ersten Wahlgang ihren gemeinsamen Kandidaten Thadäus König (CDU) aufstellen. König erhielt die notwendige einfache Mehrheit und ist damit neuer Landtagspräsident in Thüringen.

Kritik am Alterspräsidenten auch auf Bundesebene

Das Verhalten des Alterspräsidenten wurde auch über die Grenzen Thüringens hinaus heftig kritisiert. Bundesratspräsidentin Manuela Schwesig (SPD) sagte vor dem Hintergrund des Eklats, die AfD sei keine Partei, die Verantwortung tragen solle. "Das Chaos, was die AfD anrichtet, diese Willkür, wird herrschen in jedem Bereich unseres Lebens, wenn die AfD in Regierungsverantwortung kommt", so die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern am Rande einer Bundesratssitzung. Der Eklat von Erfurt sei "erst der Anfang" gewesen. Auch der ehemalige Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) zeigte sich besorgt. Wenn ein Alterspräsident gezielt versuche, demokratische Abläufe zu verhindern, sei das eine "Attacke auf unser System", sagte Lammert der "Hannoverschen Allgemeinen Zeitung".

Die Grünen in Thüringen hatten bereits in der Vergangenheit vorgeschlagen, die Geschäftsordnung so zu ändern, dass nicht der älteste, sondern der dienstälteste Abgeordnete die konstituierende Sitzung leitet. Diese Regel herrscht seit 2017 im Bundestag. Die CDU-Fraktion in Thüringen stellte sich bislang gegen eine solche Änderungen.

Fazit: Der Eklat während der konstituierenden Sitzung des Thüringer Landtags drehte sich um die Wahl des Landtagspräsidenten. Die Geschäftsordnung sah bislang vor, dass im ersten Wahlgang nur die stärkste Fraktion, aktuell die AfD, einen Kandidaten aufstellen durfte. CDU und BSW wollten dies durch einen entsprechenden Antrag ändern. Der AfD-Politiker Jürgen Treutler, der die Sitzung als Alterspräsident leitete, ignorierte den Antrag jedoch, woraufhin die Sitzung vertagt werden musste. Der thüringische Verfassungsgerichtshof verpflichtete Treutler dazu, bei Wiederaufnahme der Sitzung über den Antrag abstimmen zu lassen. Die Mehrheit der Abgeordneten votierte schließlich für die Änderung der Geschäftsordnung und wählte anschließend den CDU-Politiker Thadäus König im ersten Wahlgang zum neuen Landtagspräsidenten. Das Verhalten des Alterspräsidenten Treutler sorgte nicht nur in der thüringischen Landespolitik, sondern auch auf Bundesebene für deutliche Kritik.

Stand: 02.10.2024

Autor: Tim Berressem