Faktencheck zu "maischberger"
Sendung vom 02.10.2024
Faktencheck
Bei Maischberger wird engagiert diskutiert, Argumente werden ausgetauscht, es wird auch schon mal emotional und manchmal bleibt am Ende keine Zeit, um alles zu klären. Wenn Fragen offen bleiben, Aussagen nicht eindeutig waren oder einfach weitere Informationen hilfreich sein könnten, schauen wir nach der Sendung noch einmal drauf – hier in unserem Faktencheck.
Den Faktencheck vom 3.10.2024 haben wir am 4.10.2024 ergänzt um Ausführungen zu bislang unveröffentlichten Zahlen zur Gewalt gegen Politiker. Unsere Ergänzung finden Sie unter dem Faktencheck.
Und das schauen wir uns an:
- Werden die Grünen von allen Parteien am häufigsten Opfer verbaler und tätlicher Übergriffe?
Werden die Grünen von allen Parteien am häufigsten Opfer verbaler und tätlicher Übergriffe?
Unsere Kommentatoren diskutierten in der Sendung u.a. über eine Rede von CDU-Chef Friedrich Merz auf dem NRW-Landesparteitag, in der er Vizekanzler Robert Habeck (B’90/Grüne) einen "Kinderbuchautor" nannte. Pinar Atalay und Valerie Schönian sahen in dieser Äußerung einen herabsetzenden Unterton. Schönian ergänzte, die Äußerung von Merz füge sich ein in einen "Anti-Grünen-Kurs" der CDU, den sie selbst kritisch sehe – auch vor dem Hintergrund, dass die Grünen von allen Parteien am häufigsten Opfer verbaler und tätlicher Übergriffe seien, so Schönian. Ob das stimmt, schauen wir uns hier noch einmal genauer an.
Maischberger: "Also, der Kinderbuchautor – da gab es Viele, die gesagt haben, das ist aber eine Herabsetzung. Kann man das so sehen?"
Atalay: "Ja, ein bisschen schon. Ich glaube, er meint es ja auch so, ne? Also, er stellt sich ja dann daneben mit seinem Beruf sozusagen, also von daher würde ich sagen, ein bisschen schon."
(…)
Maischberger: "Aber es könnte ja bei Friedrich Merz auf ihn selber zurückfallen. Also, der eine ist promovierter Literaturwissenschaftler, der andere ist promovierter Jurist. Aber der eine hat neun Jahre Ministererfahrung, der andere noch gar keine, bei Friedrich Merz. Also glauben Sie, Herr Merz kommt mit dem Argument durch, Frau Schönian?"
Schönian: "Ich glaube, es könnte ihm, wenn er es jetzt so formuliert, schon auch noch auf die Füße fallen, weil man sich ja fragen kann, na gut, Herr Habeck hat ja trotzdem schon, war jahrelang Landesminister, war Bundesminister. Herr Merz hat das alles nicht. Ich finde trotzdem auch, dass das Zitat schon irgendwie okay ist im politischen Wettkampf. Aber es schlägt natürlich, daher kommt ja auch die Frage, in diesen Anti-Grünen-Kurs der CDU rein, den ich halt auch für fragwürdig und, ehrlich gesagt, auch ein bisschen unsolidarisch finde. Also ich meine, es wäre vielleicht vor dreißig Jahren, vor vierzig Jahren alles so okay gewesen, aber wir haben mit der AfD eine Partei im System, die systemfeindlich ist. Also wir haben Systemfeinde im System. Und ich finde, das merkt man ja auch die ganze Zeit am politischen Diskurs, und sich dann da so auf die Grünen einzuschießen, das halte ich für gefährlich, weil die Grünen – keine Partei wird so oft angegriffen, tätlich oder verbal, wie die Grünen."
Maischberger: "Die AfD wird auch gewaltsam angegriffen, das ist immer bei den Statistiken mit dazu zu sagen."
Schönian: "Genau, aber die Grünen mit Abstand am meisten."
Stimmt das? Werden die Grünen von allen Parteien am häufigsten Opfer verbaler und tätlicher Übergriffe?
Übergriffe gegen Parteien, ihre Mitglieder, Büros oder Wahlplakate werden – wie jede andere Straftat auch – von den örtlichen Polizeidienststellen aufgenommen. Auf Basis dieser Meldungen erstellt das Bundeskriminalamt jährliche Statistiken über die verübten Delikte. Im Rahmen der Beantwortung einer Kleinen Anfrage der AfD-Fraktion veröffentlichte der Deutsche Bundestag am 26.1.2024 vorläufige Zahlen für das Jahr 2023.
Daraus geht hervor, dass Vertreter und Mitglieder der Grünen im Jahr 2023 am häufigsten angegriffen wurden. Die Gesamtzahl beläuft sich hier auf 1.219 registrierte Delikte. Die AfD folgt mit insgesamt 478 Übergriffen. Allerdings muss diese Statistik differenziert betrachtet werden. Denn die Zahlen beinhalten nicht nur körperliche Angriffe, sondern auch Fälle von strafbarer Hassrede, sogenannte Äußerungsdelikte. Letztere machten bei den Grünen einen Anteil von fast 80 Prozent aus (947 registrierte Äußerungsdelikte). Bei der AfD beläuft sich dieser Anteil auf knapp 50 Prozent (236 Delikte). Über das Ausmaß der einzelnen Delikte lässt sich allerdings keine klare Aussage treffen. Äußerungsdelikte umfassen ein breites Spektrum, angefangen bei übler Nachrede oder Beleidigung, bis hin zu Nötigung und Bedrohung. Diese Abstufungen werden in der Statistik nicht näher abgebildet.
Bei den Äußerungsdelikten liegen die Ampelparteien SPD (293), FDP (266) und Grüne (947) allesamt vor der AfD (236).
Anders sieht es bei den sogenannten Gewaltdelikten aus. Hier waren AfD-Vertreter mit insgesamt 86 Delikten häufiger betroffen als Repräsentanten der Grünen (62 Delikte) und der anderen Parteien. Der Begriff des Gewaltdelikts ist sehr breit gefächert und umfasst Tötungsdelikte, Körperverletzungen, Brandstiftungen, Sprengstoffdelikte, Landfriedensbruch, gefährlichen Eingriff in den Verkehr, Freiheitsberaubung, Raub, Erpressung, Widerstandsdelikte, Sexualdelikte. Wie auch bei den Äußerungsdelikten gibt die BKA-Statistik keine Aufschlüsselung darüber, welches dieser Delikte im konkreten Einzelfall vorlag.
Bei den Angriffen gegen Parteieinrichtungen, z.B. Sachbeschädigungen an den jeweiligen Büros, liegen die Grünen mit 224 Attacken an erster Stelle. Parteieinrichtungen der AfD wurden 115-mal angegriffen, ebenso häufig wie Gebäude der SPD.
Bei den Angriffen auf Wahlplakate liegt die AfD mit 546 registrierten Vergehen an erster Stelle des Rankings. Die Grünen folgen auf dem zweiten Rang mit 521 beschädigten Wahlplakaten.
Fazit: Die "Zeit"-Journalistin Valerie Schönian sagte in der Sendung, dass die Grünen von allen Parteien am häufigsten Opfer verbaler und tätlicher Übergriffe seien. Diese Aussage muss genauer eingeordnet werden. Es stimmt, dass Vertreter und Mitglieder der Grünen im Jahr 2023 laut BKA-Statistik am häufigsten angegriffen wurden. Die Gesamtzahl beläuft sich auf 1.219 registrierte Delikte. Den größten Teil (knapp 80 Prozent) machten dabei sogenannte Äußerungsdelikte aus, also verbale Attacken, die von übler Nachrede bis hin zu Nötigungen oder Bedrohungen reichen können. Insgesamt zeigt sich, dass die Ampelparteien SPD, FDP und Grüne allesamt stärker von Äußerungsdelikten betroffen waren als die AfD. Bei Gewaltdelikten hingegen waren AfD-Vertreter mit insgesamt 86 Fällen häufiger betroffen als alle anderen Parteien.
Abschließend noch eine Korrektur in eigener Sache: Sandra Maischberger sagte in dem oben zitierten Ausschnitt aus der Sendung, CDU-Chef Friedrich Merz sei promovierter Jurist. Das stimmt nicht. Merz studierte Rechts- und Staatswissenschaften und legte im Jahr 1985 das Zweite juristische Staatsexamen ab. Er promovierte jedoch nicht.
Ergänzung: Grundlage unseres Faktenchecks sind die bislang veröffentlichten Zahlen des Bundesinnenministeriums (BMI), die sich auf das Jahr 2023 beziehen. Für 2024 hat das BMI noch keine Zahlen veröffentlicht. Aktuelle Berichte, etwa von "Die Welt", beziehen sich auf bislang unveröffentlichte Zahlen für das 1. Halbjahr 2024. Diese Zahlen stammen aus einer noch nicht veröffentlichten Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der AfD.
Den Angaben der "Welt" zufolge setzt sich der Trend aus 2023 auch in 2024 fort: Die Grünen seien demnach in der ersten Hälfte dieses Jahres am häufigsten von politisch motivierten Straftaten betroffen gewesen. Von insgesamt 1.965 registrierten Straftaten gegen Parteirepräsentanten bzw. Parteimitglieder seien 740 gegen die Grünen gerichtet gewesen, 516 gegen die SPD und 494 gegen die AfD. Speziell bei den Gewaltdelikten sei weiterhin die AfD am häufigsten betroffen, nämlich in 48 von insgesamt 84 Fällen. Die Grünen folgen dahinter mit 13 Fällen.
Die Antwort der Bundesregierung, auf die sich "Die Welt" beruft, soll in den nächsten Tagen veröffentlicht werden. Wenn dann in unserem Faktencheck noch Ergänzungen notwendig sein sollten, melden wir uns nochmal.
Stand: 04.10.2024
Autor: Tim Berressem