Faktencheck zu "maischberger"

Sendung vom 08.10.2024

Faktencheck

Die Gäste (v.l.n.r.): Christoph Schwennicke, Kerstin Palzer, Sophie von der Tann, Werner Sonne
Die Gäste (v.l.n.r.): Christoph Schwennicke, Kerstin Palzer, Sophie von der Tann, Werner Sonne | Bild: WDR / Oliver Ziebe

Bei Maischberger wird engagiert diskutiert, Argumente werden ausgetauscht, es wird auch schon mal emotional und manchmal bleibt am Ende keine Zeit, um alles zu klären. Wenn Fragen offen bleiben, Aussagen nicht eindeutig waren oder einfach weitere Informationen hilfreich sein könnten, schauen wir nach der Sendung noch einmal drauf – hier in unserem Faktencheck.

Und das schauen wir uns an:

  • Was fordern Kretschmer, Woidke und Voigt in ihrem FAZ-Gastbeitrag zur Ukraine-Politik?

Was fordern Kretschmer, Woidke und Voigt in ihrem FAZ-Gastbeitrag zur Ukraine-Politik?

Unsere Kommentatoren diskutierten u.a. über einen Gastbeitrag der drei ostdeutschen Spitzenpolitiker Kretschmer, Woidke und Voigt, der kürzlich in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) erschien. Sie fordern darin stärkere diplomatische Bemühungen, um einen Waffenstillstand in der Ukraine zu erreichen. Kerstin Palzer äußerte sich in der Sendung zur Kritik, die dieser Gastbeitrag ausgelöst hat, und gab zu bedenken, dass die drei Politiker darin die territoriale Integrität der Ukraine als Bedingung für einen Waffenstillstand formulieren. Christoph Schwennicke entgegnete, dieser Aspekt gehe in der aktuellen Diskussion weitgehend unter. Was genau in dem Gastbeitrag gefordert wird und wie die Reaktionen darauf ausfielen, schauen wir uns hier noch einmal näher an.

Gastbeitrag zur Ukraine-Politik: Was forderten Kretschmer, Woidke und Voigt in der FAZ? | Video verfügbar bis 08.10.2025

Maischberger: "Dieser Gastbeitrag von Herrn Kretschmer, von Herrn Woidke und von Herrn Voigt für eben Waffenstillstand und Verhandlungen, da gibt’s auch einen Kommentar von Frau Strack-Zimmermann. Sie nennt das eine 'erbärmliche Rückgratlosigkeit', die drei Herren hätten 'Männchen' vor dem BSW gemacht. Sehen Sie das auch so?"

Palzer: "Nee, das sehe ich so nicht. Also, ich denke, das war – ich denke, Frau Wagenknecht hat sich über den Beitrag in der FAZ sehr gefreut, da bin ich mir ziemlich sicher. Da steht aber nicht nur drin, dass sie sich für Verhandlungen einsetzen, sondern da steht zum Beispiel auch ein Hinweis auf die UN-Charta drin. Und wenn man das ein bisschen genauer sich anschaut, dann ist schon klar, dass die drei Herren einen klaren Hinweis darauf machen, dass es eine Richtlinie gibt, und das ist die Außengrenze der Ukraine, wie sie vor dem kriegerischen Konflikt, vor dem Krieg war."

(…)

Schwennicke: "Ja, da sind Dinge eingebaut, zum Beispiel das Budapester Memorandum, wo man sagen würde, okay, da steht ja drin oder wurde ja festgeschrieben, dass der Ukraine die territoriale Integrität zugesichert wird. Dafür muss man entweder wissen oder sich noch mal anschauen, was das Budapester Memorandum war. Die Außenwirkung ist schon erst mal eine ganz andere. Denn wenn ich das zu Ende denke, was die Herren dann da aufgeschrieben haben, dann hat dieses Papier letztlich eine automatische Selbstauflösung. Denn man muss mit Herrn Putin nicht anfangen zu sprechen, wenn man sagt, es gilt das – also jedenfalls Stand jetzt – es gilt dieses Budapester Memorandum, jeder Quadratzentimeter gehört der Ukraine und bleibt da auch. Also, es ist schon in erster Linie eine Hommage an Teile der eigenen Wählerschaft und eine Handreichung an Frau Wagenknecht – mit, da gebe ich Ihnen Recht, diesen eingebauten Kleinigkeiten, die keine Kleinigkeiten sind, die aber in der Diskussion eher untergehen."

Hintergrund: Was fordern Kretschmer, Woidke und Voigt in ihrem FAZ-Gastbeitrag zur Ukraine-Politik?

Der besagte Gastbeitrag erschien am 3.10.2024 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Die amtierenden Ministerpräsidenten von Sachsen und Brandenburg, Michael Kretschmer (CDU) und Dietmar Woidke (SPD), sowie der Thüringer CDU-Vorsitzende Mario Voigt setzen sich darin "für einen Waffen­stillstand und Verhandlungen" zwischen der Ukraine und Russland ein. Um dies zu erreichen, brauche es eine "internationale Allianz". Doch Deutschland und die EU, so kritisieren die Politiker in dem Gastbeitrag, hätten den diplomatischen Weg bislang noch zu unentschlossen verfolgt. Speziell die Bundesregierung müsse "ihre außenpolitische Verantwortung durch mehr erkennbare Diplomatie aktiver wahrnehmen."

Autoren des Gastbeitrags verweisen auch auf Völkerrecht

Wie Kerstin Palzer in der Sendung sagte, verweisen die drei Politiker dabei auf das Recht der Ukraine auf ein unversehrtes Hoheitsgebiet. Wörtlich heißt es in dem Gastbeitrag: "Wir wollen, dass das Leid der Menschen durch diesen verheerenden Krieg ein Ende hat und setzen uns für einen Waffenstillstand und Verhandlungen unter Wahrung der Charta der Vereinten Nationen und im Geist des Budapester Memorandums zwischen der Ukraine und Russland ein, um weiteres Blutvergießen und Zerstörungen zu vermeiden." In diesem Zitat werden zwei bedeutende Dokumente des Völkerrechts angesprochen, nämlich die UN-Charta sowie das Budapester Memorandum.

Die UN-Charta ist der Gründungsvertrag der Vereinten Nationen und bildet als solcher die Grundsätze ab, zu denen sich alle 193 Mitgliedstaaten – somit auch Russland – mit ihrer Unterschrift bekannt haben. Als zentraler Handlungsgrundsatz gilt das allgemeine Gewaltverbot, das in Artikel 2 der UN-Charta festgeschrieben ist. Es verbietet den Mitgliedsstaaten in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete Androhung oder Anwendung von Gewalt. Diesen Grundsatz hat Russland mit seinem Angriff auf die Ukraine verletzt.

Das Budapester Memorandum ist ein Abkommen, das sich speziell auf die Ukraine bezieht. Es wurde im Dezember 1994, also kurz nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, unterzeichnet und verpflichtete die Vertragspartner Russland, USA und Großbritannien dazu, die Souveränität der Ukraine zu achten und die Unversehrtheit ihrer territorialen Grenzen zu garantieren. Im Gegenzug beseitigte die Ukraine damals sämtliche Nuklearwaffen auf ihrem Gebiet. Auch dieses Abkommen brach Russland durch den Einmarsch in die Ukraine am 24. Februar 2022.

Die russische Invasion benennen Kretschmer, Woidke und Voigt in ihrem Gastbeitrag als "völkerrechtswidrigen Angriff", angesichts dessen es darum gehen müsse, "einen Waffenstillstand zu erreichen und der Ukraine belastbare Sicherheitsgarantien zu bieten."

Strack-Zimmermann: Gastbeitrag sei "rückgratloser Kotau"

Im politischen Berlin rief der Vorstoß der ostdeutschen Spitzen­politiker ein geteiltes Echo hervor. Der Vorsitzende des Europa­ausschusses im Bundestag, Anton Hofreiter (B’90/Grüne), bezeichnete den Gastbeitrag als "Kotau" vor der BSW-Vorsitzenden Sahra Wagenknecht. Der Hintergrund: Alle drei Verfasser müssen nach den Wahlen in ihren jeweiligen Bundesländern wohl mit dem BSW zusammenarbeiten, um eine Regierung bilden zu können. Als Bedingung dafür fordert Sahra Wagenknecht von ihren möglichen Koalitionspartnern ein Bekenntnis gegen weitere Waffenlieferungen an die Ukraine.

Vor diesem Hintergrund kritisierte auch die FDP-Europaabgeordnete Marie-Agnes Strack-Zimmermann den Gastbeitrag mit deutlichen Worten. Sie sprach gegenüber der "Rheinischen Post" von einem "rückgratlosen Kotau". Strack-Zimmermann weiter: "Man hat das Gefühl, die freiheitlichen Werte unseres Landes werden gerade für ein bisschen Machterhalt und Wahlkampf auf dem Ramschtisch verscherbelt."

CDU-Chef Friedrich Merz distanzierte sich vom Vorstoß der drei Landespolitiker. Gegenüber der "Süddeutschen Zeitung" sagte er: "Die Ukraine kämpft um ihr schieres Überleben. Dabei müssen wir ihr auch in unserem eigenen Interesse weiter helfen. Friedensgespräche wird es nur geben, wenn beide Seiten dazu bereit sind." Auch seitens der SPD wird Kritik an den Forderungen laut. "Sollte der Brief der drei designierten Ministerpräsidenten als Weichspüler für Koalitionsverhandlungen mit dem BSW gemeint gewesen sein, rate ich zu großer Skepsis", so der SPD-Politiker Michael Roth gegenüber der "Süddeutschen Zeitung".

Wagenknecht lobt "klugen und differenzierten" Gastbeitrag

Der CDU-Außenexperte Johann Wadephul indes sieht den Gastbeitrag weniger kritisch: "Der Vorschlag ist verantwortbar, weil er unsere Grundlinien einhält – den Völkerrechtsbruch Russlands, unsere feste Verankerung in EU und NATO – und eine Lösung nur im Einklang mit der UN-Charta sieht", sagte Wadephul dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Auch dass man auf die Bedingungen von Wagenknecht eingehe, verteidigte er: "Die Wahlergebnisse in den drei Ländern machen Gespräche mit dem BSW nötig, wenn man richtigerweise eine Regierungs­beteiligung der AfD verhindern will."

Wagenknecht selbst begrüßte den "klugen und differenzierten" Gastbeitrag, der sich in ihren Augen "wohltuend abhebt von einer Debatte, die sich mit großer moralischer Attitüde immer nur um die Frage dreht, welche Waffen als nächste geliefert werden sollten, ohne irgendeine Perspektive für ein Ende des Krieges aufzuzeigen".

Fazit: In einem Gastbeitrag, der am 3.10.2024 in der FAZ erschien, fordern die amtierenden Ministerpräsidenten von Sachsen und Brandenburg, Michael Kretschmer (CDU) und Dietmar Woidke (SPD), sowie der Thüringer CDU-Vorsitzende Mario Voigt stärkere Bemühungen, den Krieg in der Ukraine auf diplomatischem Wege zu beenden. Die drei Spitzenpolitiker setzen sich in ihrem Appell für einen Waffenstillstand und für Friedensverhandlungen ein. Dabei verweisen sie auch auf völkerrechtliche Verträge, die der Ukraine das Recht auf territoriale Unversehrtheit garantieren. Vor dem Hintergrund, dass alle drei Verfasser des Gastbeitrags in ihren jeweiligen Bundesländern eine Koalition mit dem BSW anstreben, wurde ihr Vorstoß vielfach als Zugeständnis gegenüber der BSW-Vorsitzenden Sahra Wagenknecht kritisiert. Wagenknecht selbst lobte den Gastbeitrag.

Stand: 09.10.2024

Autor: Tim Berressem