Faktencheck zu "maischberger"

Sendung vom 16.10.2024

Faktencheck

Die Gäste (v.l.n.r.): Markus Feldenkirchen, Alev Doğan, Theo Koll, Sönke Neitzel
Die Gäste (v.l.n.r.): Markus Feldenkirchen, Alev Doğan, Theo Koll, Sönke Neitzel | Bild: WDR / Oliver Ziebe

Bei Maischberger wird engagiert diskutiert, Argumente werden ausgetauscht, es wird auch schon mal emotional und manchmal bleibt am Ende keine Zeit, um alles zu klären. Wenn Fragen offen bleiben, Aussagen nicht eindeutig waren oder einfach weitere Informationen hilfreich sein könnten, schauen wir nach der Sendung noch einmal drauf – hier in unserem Faktencheck.

Und das schauen wir uns an:

  • Wie hoch war der Kernenergie-Anteil am deutschen Strommix zu Beginn des Ukraine-Kriegs?

Wie hoch war der Kernenergie-Anteil am deutschen Strommix zu Beginn des Ukraine-Kriegs?

Katharina Dröge (B’90/Grüne) und Jens Spahn (CDU) diskutierten in der Sendung u.a. über die deutsche Energiepolitik der letzten Jahre. Dröge sagte in diesem Zusammenhang, dass Kernenergie zum Zeitpunkt des russischen Angriffs auf die Ukraine fünf Prozent am gesamten deutschen Strommix ausmachte. Jens Spahn widersprach.

Atomausstieg in Krisenzeiten: Wie hoch war der Kernenergie-Anteil am deutschen Strommix zu Beginn des Ukraine-Kriegs?

Spahn: "Erst unsere Entscheidung, aus Kernkraft und Kohle rauszugehen, hat die Abhängigkeit von russischem Gas auf 50 Prozent erhöht. Aus heutiger Sicht war das falsch, aber es war eine gemeinsam getragene Politik."

(…)

Dröge: "Zur Atomkraft: Das hat zu dem Zeitpunkt, als Russland die Ukraine angegriffen hat, noch fünf Prozent am deutschen Strommix ausgemacht. Sie haben hier einen Popanz aufgebaut über fünf Prozent."

Spahn: "Das stimmt ja nicht."

Dröge: "Können Sie nachgucken, auch das können Sie nachgucken."

Maischberger: "Machen wir gerne als Faktencheck."

Dröge: "Deswegen ist das eine Ausrede an dieser Stelle."

Hintergrund: Wie hoch war der Kernenergie-Anteil am deutschen Strommix zu Beginn des Ukraine-Kriegs?

Die offiziellen Zahlen des Fraunhofer-Instituts zeigen, dass der Anteil der Kernenergie am deutschen Strommix schon in den Jahren vor dem endgültigen Atomausstieg im April 2023 kontinuierlich gesunken ist. Während im Jahr 2011 noch fast ein Fünftel des in Deutschland erzeugten Stroms aus Kernkraftwerken kam, betrug der Anteil zehn Jahre später nur noch 12 Prozent. Von 2021 zu 2022 halbierte sich der Anteil sogar und lag schließlich bei 6 Prozent.

Die oben genannten Zahlen beziehen sich auf das jeweilige Gesamtjahr. Um die Aussage von Katharina Dröge zu überprüfen, müssen wir also genauer hinschauen. Dröge sagte in der Sendung, die Atomkraft habe zum Zeitpunkt, "als Russland die Ukraine angegriffen hat, noch fünf Prozent am deutschen Strommix ausgemacht." Russland vollzog seinen Angriff am 24. Februar 2022. Laut Statistik des Fraunhofer-Instituts betrug der Kernenergie-Anteil an diesem Tag 5,1 Prozent. In dieser Größenordnung liegen auch die Monatswerte für Januar 2022 (5,6 Prozent) und Februar 2022 (5,4 Prozent).

Auffällig ist, dass der Anteil der Kernenergie mit dem Jahreswechsel 2021/2022 abrupt gesunken ist – von 11,1 Prozent im Dezember 2021 auf 5,6 Prozent im Januar 2022. Der Grund: Zum 31.12.2021 wurden drei der letzten sechs verbliebenen deutschen Atommeiler abgeschaltet. Konkret gingen damals die Kraftwerke Grohnde, Gundremmingen C und Brokdorf vom Netz. Die AKW Isar 2, Emsland und Neckarwestheim 2 blieben bis zum geplanten Abschalttermin Ende 2022 weiter in Betrieb. Vor dem Hintergrund der Energiekrise, die durch den russischen Angriffskrieg verursacht wurde, verschob der Bundestag die endgültige Abschaltung auf den 15. April 2023, um im Fall einer Versorgungslücke auf die AKW zurückgreifen zu können. Wie die Statistik zeigt, stammte ein kleiner Teil (1,4 Prozent) des 2023 in Deutschland erzeugten Stroms aus diesen Kraftwerken.

Durch den schrittweisen Wegfall der Kernenergie haben sich die Anteile der übrigen Energiesektoren verändert. Von 2021 zu 2022 sind sowohl die fossilen Energien (von 46,7 auf 48,4 Prozent) als auch die erneuerbaren Energien (von 41,5 auf 45,6 Prozent) gewachsen. Während letztere ihr Wachstum im Jahr 2023 weiter fortsetzten (auf 54,4 Prozent), sanken die fossilen Energien auf 44,2 Prozent. Die aktuellen Zahlen für das laufende Jahr 2024 (Stand: 17.10.2024, 13:38 Uhr) bestätigen diesen Trend: Während 60,5 Prozent des erzeugten Stroms aus erneuerbaren Quellen stammen, sind es bei den fossilen Energieträgern 39,5 Prozent.

Der Atomausstieg wurde im Jahr 2002 durch die rot-grüne Regierung unter Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) beschlossen. Die schwarz-gelbe Regierungskoalition unter Angela Merkel (CDU) machte diese Entscheidung jedoch im Jahr 2010 rückgängig. Um Energiemangel vorzubeugen und CO2-Emissionen zu reduzieren, beschloss man damals eine Laufzeitverlängerung der deutschen AKW. Doch schon wenige Monate später, im März 2011, führte die Atomkatastrophe im japanischen Fukushima zu einer neuerlichen politischen Kehrtwende. Bundeskanzlerin Angela Merkel setzte sich fortan für eine Rückkehr zum Atomausstieg ein, der schließlich zum 31.12.2022 beschlossen wurde.

Fazit: Schon vor dem endgültigen Atomausstieg im April 2023 ist der Anteil der Kernenergie am deutschen Strommix kontinuierlich gesunken. Durch die schrittweise Abschaltung der Kraftwerke lag der Anteil im Jahr 2022 nur noch bei 6 Prozent. Speziell am Tag des russischen Angriffs auf die Ukraine waren es 5,1 Prozent. Durch den Wegfall der Kernenergie haben sich die Anteile der übrigen Energiesektoren verändert. Sowohl fossile als auch erneuerbare Energien gewannen zunächst gleichermaßen an Bedeutung für die hiesige Stromerzeugung. Im weiteren Zeitverlauf wuchsen die erneuerbaren Energien deutlich, während der Anteil der fossilen wieder sank. Dieser Trend scheint sich aktuellen Daten nach auch im Jahr 2024 fortzusetzen.

Stand: 17.10.2024

Autor: Tim Berressem